Roland Schimmelpfennig

An und Aus


Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux


Uraufführung
am 9. Januar 2016

Schauspielhaus, Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Der Junge mit der Brille: Sven Prietz
Das Mädchen mit dem Fahrrad: Anne-Marie Lux
Frau Z. (Die Frau mit den zwei Köpfen): Katharina Hauter
Herr A. (Der Mann ohne Mund): Stefan Reck
Frau A. (Die Frau aus Stein): Ragna Pitoll
Herr Y. (Der Mann mit dem brennenden Herz): Fabian Raabe
Frau Y. (Die Motte): Hannah Müller
Herr Z. (Der tote Fisch): Reinhard Mahlberg

 

 


Pressestimmen:



"Sie sagt, sie ist die Biene und ich bin der Wal. So koen wir nie zusammen."
Es ist wohl auch besser so für den Jungen mit der Brille (Sven Prietz). Erfülltes Liebesverlangen hat eine immer kürzere Halbwertszeit. Er arbeitet an der Rezeption eines billigen Stundenhotels drunten am Hafen und muss drei One-Night-Stands mit Wiederholungscharakter sorgfältig auseinandersortieren. Seine Auserwählte, das Mädchen mit dem Fahrrad (Anne-Marie Lux), werkelt droben auf dem Berg. Eine Liebesbeziehung moderner Art. Statt heißer Küsse in Echtzeit SMS-Sehnsuchtsgeflüster. Jugendmoral im lustfreien japanischen Arbeitsalltag heute, während die Elterngeneration noch die Kreuz und die Quer realiter vögelt – wenn auch mit schlechtem Gewissen.
Am Mannheimer Nationaltheater hat Roland Schimmelpfennigs Stück "An und Aus" deutsche Erstaufführung. Er hat es 2013 als Auftragsarbeit für das New National Theatre Tokyo geschrieben und in die drollige Beziehungskiste gleich auch noch die Menschheitsängste nach der Atom-Katastrophe in Fukushima und dem großen Tsunami hineingepackt. Als wohlkalkulierter Zwitter, Komödie und Drama gleichermaßen, kommt das Stück daher.
Der Ausweg: Der Erfolgsautor verlagert seinen Plot wieder einmal in die Gefilde des Surrealen mit humanem Touch – everything goes – oder eben auch nicht.

Im Zimmer Nummer 1 des Stundenhotels verlustieren sich Frau Z. (Katharina Hauter) und Herr A. (Stefan Reck), im Zimmer Nummer 2 Frau A. (Ragna Pitoll) und Herr Y. (Fabian Raabe) und im Etablissement Nummer 3 Frau Y. (Hannah Müller) und Herr Z. (Reinhard Mahlberg). Da darf nichts schiefgehen, weil alle nur am Montag bumsfrei haben. Nur blöd, dass die Paarungen im selben Hotel stattfinden, selbstredend ohne Wissen des jeweils anderen Partners, der Partnerin. Menschen in Paarkonstellation haben erstaunlich oft wenig Ahnung voneinander. In dieses Sex-Bussiness as usual platzen eine Atom-Katastrophe und ein Tsunami. Regisseur Burkhard Kosminski, eigentlich ein Altmeister des naturalistischen Theaters, speziell des amerikanischen, hat das Puzzle aus kleinen und kleinsten Szenensplittern zu einem flott-ballettösen Ganzen zusammengeführt. Das Schwere so leicht, so poetisch. Selten erlebt man eine so rundum stimmige Meisterleistung, ein Teamwork aus Regie, Bühnenbild, schauspielerischer Differenziertheit voll praller Spiellust, Musik und Licht. Großes und Kleines, Lautes und Leises. Elementes des Nô-Theaters mit übergroßen Schattenfiguren und der Manga-Kultur, der japanischen Comic-Novellen, fügen sich nahtlos ein. Am Klavier interpretiert Anne-Marie Lux (zusätzlich zu ihrer Rolle) das Bühnengeschehen einfühlsam mit der Musik von Hans Platzgumer.

Die offene Bühne gibt den Blick frei auf die technische Maschinerie des Theaterbetriebs. Die Drehbühne begrenzt als großer weißer Kreis das Spielfeld. Links eine perspektivische, überdimensionale weiße Wand aus Papier. Auf sie zeichnen sich die Akteure ihre Liebeszimmer mit schwarzem Filzstift. Die Bettdecke wird ausgeschnitten, um hineinschlüpfen zu können. Der Rezeptionist entwirft immer wieder neue Schilder und präsentiert sie dem Publikum. Auf ihnen sind Requisiten wie die Empfangstheke oder ein Restauranttisch, aber auch Ortsangaben zu sehen. Die Bewegungselemente sind mal witzig, mal lyrisch, mal dramatisch choreographiert. Schließlich fallen die Papierbahnen herunter. Die Schauspieler und ihre Partnerinnen toben darunter herum. Das Papier rauscht und bewegt sich wie ein aufgewühltes Meer. Am Ende regnet es schwarze Flocken auf die Szenerie. Das unschuldige Weiß des Bodens wird zur schwarzen, unbewohnbaren Wüstenei. Hier gelingt eine Raumsituation von suggestiver Aussagekraft.
Nicht minder magisch sind die Bilder, die im Kopf entstehen und die, korrespondierend zum Bühnenbild, kein anderes Mittel als die Sprache zum Leuchten bringen kann. Während die drei Bettgeschichten ablaufen flackert mal kurz das elektrische Licht, um dann ganz auszugehen – Stromausfall aufgrund der Reaktorkatastrophe. Frau Z. hat plötzlich zwei Köpfe, Herr A. keinen Mund. Frau A. verwandelt sich in Stein, und Herr Y. bekommt ein brennendes Herz. Frau Y. sieht sich als Motte und Herr Z. als toter Fisch. Kafkas "Verwandlung" eines Menschen in einen Käfer lässt grüßen. Frau Y. ängstlich: "Ich hätte so gern, dass alles so ist wie vorher."

Die Erzählstruktur ist rhythmisch kreisend. Die Erzählperspektiven wechseln. Das Theater wird seinem Anspruch gerecht, Denk- und Gefühlsraum für Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte gleichermaßen zu sein. Spartanisch knapp und leise ironisch sind die Textpartien der Paarungsbedürftigen. Poetisch weich aquarelliert ist das Liebesgeflüster des Jungen und des Mädchens. Das fragt: "Hast du mal versucht, den Schatten eines Vogels zu fotografieren?" In dem Spiel, das keine Erfüllung finden kann, sieht sie sich als Bienchen, das aufs Meer hinaus fliegt und aus eigener Kraft nicht mehr zurück kann, bis ihr der Wal seinen breiten Rücken als Lande- und Ruheplatz anbietet. Sobald jedoch der Wunschtraum endet, die Bewährung im Realen ansteht, geht auch diese Paarung den Weg alles Irdischen.
Liebe ist nicht nur bei Schimmelpfennig ein zerbrechlich Ding. Er ist – wie Legionen von Theaterautoren – fest in der romantischen Liebesfalle gefangen. Hier wird stets Sex und erotische Begierde als Liebe und obendrein als legitime Tauschware angesehen, auf die die Partner ein exklusives Nutzungsrecht zu haben glauben. Aber was wäre das Theater ohne diesen fundamentalen Irrtum?
Trotz alledem: Schimmelpfennigs Stück und die großartige Mannheimer Realisierung geben die Erwartung nicht auf: Es könnte doch noch alles gut werden, selbst in der Ödnis der mutwillig zerstörten Welt ist noch ein Krümelchen Optimismus zu finden. Die Hoffnung stirbt auch im Theater zuletzt. Was bleibt, ist das Glücksgefühl, diesen Theaterabend erlebt zu haben.
(Nachtkritik, 09.01.2016)



Die Halbwertszeit der Angst ist deutlich kürzer als die von radioaktiver Strahlung: Wer heute etwa durch die evakuierte Zone um das Atomkraftwerk Fukushima fährt, wird lediglich gebeten die Autofenster zu schließen, mehr nicht. Ziemlich überraschend kam daher für den Dramatiker Roland Schimmelpfennig der Auftrag des New National Theatre in Tokio, ein Stück über die Atomkatastrophe von 2011 zu schreiben, wusste er doch, dass die Japaner nicht gerade dafür bekannt sind, "ihre Probleme nach außen zu tragen". Der international renommierte Autor reiste also 2013 nach Japan und er verfasste "An und Aus". Seine düster groteske Reflexion über Technikbegeisterung, Tod und das Ausblenden der Realität ist nun erstmals in Deutschland zu sehen, in der präzisen Regie von Intendant Burkhard C. Kosminski am Nationaltheater Mannheim.

"Als das Licht wieder anging, hatte ich zwei Köpfe", sagt Frau Z. leise, zögernd, und es ist ihr sichtlich unangenehm - wer sollte ihr das bitte glauben? Katharina Hauter blickt unsicher ins Publikum, zu Boden, auf ihre flatternden Hände. Dann aber beginnt sie resolut, die Realität wieder herzustellen: eine Welt, ein Weltbild, das am 11. März vor fünf Jahren zerstört wurde. Mit einem dicken schwarzen Edding-Stift malt sie gemeinsam mit ihrem angegrauten Lover Herr A. (Stefan Reck) drei große Doppelbetten an die bühnenhohe, weiße Papierwand auf der linken Seite. Die Bettdecke wird mit dem Cutter aufgeschnitten, so dass man stehend hineinschlüpfen kann. Auch Sven Prietz als junger Hotelier weiß, was seine Gäste wollen, schnell skizziert er also Esstisch und Rezeption auf zwei Papierbögen und berichtet nebenbei seiner Süßen, die er vor lauter Arbeit nie sieht, per SMS vom verzwickten Montagabend. Drei Paare checken dann immer in sein kleines Hotel am Hafen ein: Herr A. betrügt hier mit Frau Z. seine Gattin, diese trifft gleichzeitig heimlich Herrn Y., dessen Frau wiederum vergnügt sich im dritten Zimmer mit Herrn Z. (Reinhard Mahlberg).
Das klingt nach übelster Boulevardklamotte und wird in rasanten Miniszenen zu aufgekratzter Klaviermusik von Hans Platzgumer, live gespielt von Anne-Marie Lux, auch lustvoll so performt. Schnell ist jedoch klar, dass dieses verlogene, aber für alle funktionierende Idyll nicht mehr existiert - und sonst auch nichts. Es sind drastische Metaphern, die Schimmelpfennig für die Katastrophe findet. Auf einen Schlag treten Mutationen auf, die stylishe Frau A. (Ragna Pitoll) versteinert, Frau Y., wunderbar aufgekratzt gespielt von Hannah Müller, sieht sich als Motte in schwarzem Regen, der sportfanatische Herr Y., Fabian Raabe, fühlt sein Herz verbrennen.
Kosminski verzichtet darauf, die grotesken Bilder auf die Bühne zu bringen. Nur die unterdrückte Panik über die Verwandlung verzerrt die Gesichter der Darsteller. Was mit dem anderen passiert, nimmt keiner wahr.

Wie Tote, die ihr Sterben nicht akzeptieren, schwanken sie nach Hause, dorthin wo nur noch Scherben sind und wo aus dem Kühlschrank, einst Symbol des Wohlstands, des Segens der Elektrifizierung mittels Atomkraft, kein gelbes Licht mehr scheint. So wie alle hier souverän ihre Affären verleugnen und ihr Glück als Paar weiter gespielt und geglaubt haben, werden nun das Erdbeben, die Flut, der Blackout, die Verstrahlung ausgeblendet. Schimmelpfennig zeichnet eine Gesellschaft im Trotz, und Bühnenbildner Florian Etti findet bedrückende Bilder für die seltsam poetisierte, fast märchenhafte Erzählung über die Hybris dieser - und wohl auch unserer - technikgläubigen Gesellschaft. Das papierne Bühnenbild fällt in sich zusammen, am Ende ist alles von stetig herabschwebenden schwarzen Blütenblättern überdeckt. Bis dahin aber wird herumgetobt, romantisiert und verklärt was das Zeug hält. Wer dann irgendwann verstanden hat, was wirklich geschehen ist, geht ab, schweigend, ohne Pathos.
(Süddeutsche Zeitung, 11.01.2016)



„An und aus“, im Juni 2013 in Japan uraufgeführt, jetzt in deutschsprachiger Erstaufführung am Nationaltheater Mannheim zu sehen, ist eine diskrete und doch deutliche, eine direkte und doch Stilisierungen anbietende Annäherung an ein Unglück, das alles verändert und vernichtet, was sich in seiner Nähe befindet. Trotzdem ist es selbst nur mittelbar zu sehen (Feuer, Wasser, Beben), die Strahlung ja unsichtbar.
„An und aus“, ein raffinierter Titel, der das Boulevardeske mit dem Blitzartigen kombiniert, spielt in der Tat mit klassisch komödiantischen Elementen. In drei Hotelzimmern treffen sich drei Liebespaare zum gut gelaunten Fremdgehen, wie immer einmal die Woche. Dass nebenan die jeweiligen Ehepartner ebenfalls ihre Affären pflegen, ahnt keiner von ihnen. Nacheinander trudeln sie ein. Und haben an diesem Abend ähnliche schreckliche Erlebnisse.
Das Licht geht aus, bloß ein kurzer Stromausfall, so scheint es. Als es wieder angeht, hat eine der Frauen zwei Köpfe, eine ist versteinert, eine ist eine Motte; hat einer der Männer keinen Mund mehr, ist einer ein Fisch auf dem Trockenen, brennt einem das Herz. Zu Frau Z. und Herrn A., Frau A. und Herrn Y., Frau Y. und Herrn Z. kommt ein viertes, junges Paar, das sich vorerst Textnachrichten schickt und nachher am Strand treffen will. Es wird ihnen nicht gelingen.

Bilden sich die Menschen das alles nur ein? Innerhalb von „An und aus“ ist das schon möglich – die Mutation des jeweils anderen bemerken die Figuren bei Licht betrachtet nicht, erst als es noch einmal dunkel wird, spüren sie es. Eine fabelhafte Schreckensszene. Der Zuschauer aber weiß es besser. Schimmelpfennig wies in Saarbrücken zu Recht darauf hin, dass Atomunfälle erst durch die viel späteren Folgen so „bebildert“ werden können, dass das kollektive Gedächtnis es nicht mehr vergisst. In „An und aus“ könnte es noch ein Alptraum sein, die Verwirrung einer Nacht, ein „Flashforward“, aber natürlich auch ein Flashback. Denn die entsprechenden Bilder befinden sich aus gegebenem Anlass bereits in unseren Köpfen.
Seine stille Apokalypse, die die Poesie des Grauens nutzt, aber nicht ausbeutet, ist personell und auch zeitlich verschachtelt genug, dass Schimmelpfennig der Regie rät, die Szenentitel mit anzusagen. Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski greift das teilweise auf in seiner sorgsam dem Text zugewandten Inszenierung. Es ist äußerst begreiflich, dass Autoren ihm ihre Stücke anvertrauen, vor einem Jahr konnte er am Nationaltheater bereits Schimmelpfennigs „Das schwarze Wasser“ uraufführen. „An und aus“ entwickelt er vollständig aus dem Wort und dem Zeichen heraus...
(Frankfurter Rundschau, 11.01.2016)



Die furchtbare Botschaft ist glasklar: So, wie es ist, kann und wird es nicht bleiben. Eine Gesellschaft, die Monstrositäten wie Seitensprung nach Zahlen und Liebe am Telefon hervorbringt, ist dem Untergang geweiht.
„Die Welt ist verschwunden“, resümiert Anne-Marie Lux als klavierspielende Biene am Ende, „aber die Sterne sind so klar wie nie zuvor“...
Florian Ettis Bühnenbild ist Origami für Fortgeschrittene: Kulissen, Requisiten und Figuren werden aus weißem Papier herausgeschnitten, aus Papier gefaltet, gestaltet, gezeichnet; selbst die Flutwelle ist in Mannheim eine Papierlawine. Das ist klug gedacht...
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.01.2016)



Schimmelpfennig bietet mit „An und Aus“ keine simplen Deutungsmuster an. Alles ist in Auflösung, sogar die Dialoge, die immer fragmentarischer und symbolischer zu werden scheinen. Als Zuschauer wird man durch die poetischen Sprachbilder regelrecht verstrahlt. Das wirkt nicht sofort, aber am Tag danach fühlt man sich von Schimmelpfennig kontaminiert. Eine beachtliche Leistung. Kräftiger Premierenbeifall für das Ensemble und Produktionsteam...
(Rhein-Neckar-Zeitung, 11.01.2016)



Roland Schimmelpfennig geht es nicht um eine Aufarbeitung der Folgen von Tsunami und Reaktorunfall, die äußere Katastrophe ist hier nur Auslöser des seelischen Ausnahmezustands seiner Protagonisten. Den drei Paaren kommt nicht nur ihre Montagsleidenschaft abhanden, auch ihre lange schon erkalteten Ehen haben keinen Bestand mehr und erschöpfen sich in ein paar letzte Erinnerungen.
„Ich hätte so gern, dass alles so ist wie vorher“, sagt Frau Y., aber das bleibt ein Traum wie die Liebe des jungen Paares. Die beiden träumen sich in die Geschichte von der Biene und dem Wal, die sich unsterblich verlieben und doch ganz unterschiedlichen Elementen verbunden sind. Als der Wal es schafft zu fliegen, und die Biene ins Meer taucht, finden beide nur den Tod.

Für dieses anspielungsreiche, zwischen Komödie und Tragödie, modernem Märchen und altmodischer Erzählung, Tiefgang und Smalltalk lavierende, dabei mehr Fragen als Antworten aufwerfende Theater haben der Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski und sein Bühnenbildner Florian Etti eine geniale szenische Lösung gefunden. Die kreisrunde, weiße Spielfläche wird links begrenzt von einer raumhohen Papierwand, die später zur anderen Seite hin aufklappt. Auf die Papierwand werden die Hotelzimmer gemalt, Fenster und Durchgänge hineingeschnitten, auch die übrigen Requisiten sind wie im Bilderbuch aufgezeichnet und ausgeschnitten. Später stürzen die riesigen Papierwände zu Boden, begraben die Darsteller unter sich und werden zu raschelnden Wellen, während es von oben schwarze Papierschnipsel regnet, als wäre atomarer Niederschlag ein poetisch-stilles Naturereignis.

„Als ob die Welt leer wäre“, heißt es im Stück, in Mannheim ist die langsam kreisende, wie dunkles Wasser glänzende Drehbühne am Ende tatsächlich leer, und das Stück geht ganz ohne Menschen und sehr poetisch zu Ende. Bis dahin dürfen die acht Akteure in einer sanft fließenden Choreografie zwischen No-Theater und Boulevard alle Facetten ihres Könnens zeigen. Hannah Müller, Ragna Pitoll, Katharina Hauter, Stefan Reck, Reinhard Mahlberg und Fabian Raabe spielen die drei Paare zwischen verlöschender Leidenschaft und verständnislosem Entsetzen: unerlöste Glückssucher in einer geheimnisvollen Katastrophenwelt. Sven Prietz ist der hoffnungslos verliebte Concierge, Anne-Marie Lux das unerreichbare Objekt seiner Begierde, statt am Arbeitsplatz auf dem fernen Berg hier an einem Klavier festgehalten, auf dem sie nebenbei Hans Platzgumers melancholische Melodien und ein wenig Beethoven klimpert. Das alles wie dieser ganze Abend so verblüffend einfach und hinreißend schön.
(Die Rheinpfalz, 11.01.2016)



Es gibt ein viertes Paar in dem Stück: den „Jungen mit der Brille“ und das „Mädchen mit dem Fahrrad“. Und Sven Prietz und Anne-Marie Lux spielen dieses Paar in Mannheim mit so wunderbarer Leichtigkeit und beglückendem Übermut, dass plötzlich inmitten der ganzen Wirrnisse und Phantastereien alles klar wird. Wie die beiden in einem sanften Papierschnipsel-Gestöber herumtollen und die Arme werfen, das ist das Glück der Liebe pur – jenes Glück, das den sechs Liebesroutiniers im Hafenhotel vollständig aus dem Blick geraten ist. Und auch wenn sich die beiden Traumwandler zuletzt haarscharf verpassen, wird deutlich: Die Suche wird nicht aufhören. Niemals. Ein schönes Bild...
(Allgemeine Zeitung Mainz, 12.01.2016)



Florian Etti hat ihm dazu ein tolles Bühnenbild erfunden. Auf eine riesige, an der Decke befestigten Papierwand, zeichnen die Akteure mit Filzstiften ihre Lustlager: zwei Kopfkissen und eine Bettdecke, die man ausschneiden kann, um darunter zu schlüpfen. Wenn später die Papierbahnen fallen und sich zu Meereswogen aufbauschen, ist man von so viel Ideenreichtum einfach entzückt...
(Stuttgart Zeitung, 14.01.2016)



Lux und Prietz fügen sich nahtlos in eine Inszenierung, die diskret dem vorgegebenen Text dient. Florian Ettis Bühnenbild erzielt mit einer diagonal vom Bühnenhimmel hängenden Papierbahn den größtmöglichen Effekt. Auf ihr zeichnen die Crossover-Lover nach der Ankunft die Eingangstüren der Hotelzimmer. Dann schneiden sie Betten aus, um von der anderen Seite der Papierbahn mit dem Oberkörper durchzusteigen und wie eine Pop-up-Figur zu erscheinen. Das ist so einfach wie beeindruckend...
(Theater heute, April 2016)