Felicia Zeller

Gespräche mit Astronauten

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Lydia Kirchleitner
Dramaturgie: Katharina Blumenkamp
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry

Uraufführung,
am 24. September 2010 im

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Isabelle Barth
Thorsten Danner
Sabine Fürst
Silja von Kriegelstein
Ines Schiller

 

 


Pressestimmen:

Übermütter aus dem All
Es kann dem Verständnis der eigenen Kultur nur dienlich sein, sie einmal aus der Perspektive eines Gastes wahrzunehmen. So geschieht es in der Uraufführung von Felicia Zellers "Gespräche mit Astronauten", mit der das Nationaltheater Mannheim seine neue Spielzeit eröffnet: Vier doppelt belastete Mütter besetzen die Stelle, für die sie selbst sich als unzulänglich erwiesen haben, mit osteuropäischen Aupair-Mädchen, dank derer alles irgendwie besser werden soll. Unvorbereitet treffen sie aufeinander: die arglosen jungen Dinger, die nur ein bisschen arbeiten und ihren Spaß haben wollen, und die postmodernen Mütter in ihrem andauernden Prioritätenstress. Sie sind Managerinnen und Produzentinnen von Beruf und achten zu Hause darauf, dass die Reitstunden eingehalten werden und das Kind seine tägliche Bio-Banane isst. Auch penibler Ordnungssinn und Umweltschutz herrschen in den deutschen Wohnstuben:
Das Küchenpapier soll rationiert werden, und der Müll wird getrennt. Auch werden die Mädchen belehrt: "Wer kurz duscht, wird auch sauber!" Da weiß man Bescheid. Die neurotischen Mütter wollen sie am liebsten alle auf einmal erziehen: die Kinder, die Au-pairs dazu, auch ihre Männer, wenn sie denn mal da sind. An dieser Stelle muss vor allem Silja von Kriegstein für ihre Interpretation der unerträglichen Mutti Constanze hervorgehoben werden: Diese Frau mit ihrer ausgeprägten Fettphobie und ihrem unverhohlenen Menschenhass ist eine einzige Bedrohung für den Familienfrieden, wenn sie ranzig zu ihrem Sohn Sudoku herab grölt: ,,Mami hat jetzt Qualitätszeit!" - In ihrem Fall eher: euphemistisch für Quälzeit.
Der titelgebende Astronaut im Übrigen spielt keine tragende Rolle, ist aber dennoch omnipräsent:
Dass, während die Mutter ihre kleinlichen To-do-Listen herunterrattern, er im Hintergrund friedlich und weltentrückt herumschwebt, gibt der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski eine herrlich surreale Note. Der WeItraumspaziergänger erinnert dabei fortwährend daran, hin und wieder Abstand zu halten, damit man sich nicht in irdischen Details verliert. Was ohne diesen hilfreichen Fernblick passiert, das präsentieren die Mütter vorne in einem Bühnenbild, das einem unaufgeräumten Kinderzimmer gleicht, wo sie mit ihren glitzernden High-Heels permanent über die Plüschtiger stolpern. Astronauten sind aber auch die Mütter auf ihre Weise: Unter einer für feinere Regungen unerreichbaren Hülle kreisen sie um ihren Tagesplan, als handele es sich um den Mittelpunkt des Universums. Einzig die Gaga-Sprache hätte man sich an mancher Stelle sparen können. Dass die Aupairs aus der Mogolei oder aus Würgistan stammen und zum Arbeiten nach Knautschland kommen und dass diese Wortschöpfungen auch noch für Reimereien herhalten müssen ("Kennt ihr die BügeIei nicht in der Mogelei?"), ist der sonst so gelungenen Groteske etwas abträglich. Am Ende ist das sehr sehenswerte Stück aber, bei allem was es sonst noch ist, vor allem eines: herrlich unversöhnlich.
(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

 

Wenn man nicht alles selber . . .
Eine furiose Au-pair-Groteske von Felicia Zeller am Theater Mannheim
Es gibt für die Au-pair-Tätigkeit in Deutschland klare Regeln, festgelegt von der Bundesagentur für Arbeit. Eine Familie muss dem Au-pair bestimmte Dinge garantieren, wie zum Beispiel ein eigenes Zimmer, freie Verpflegung, 260 Euro Taschengeld im Monat, und die Arbeit sollte beschränkt sein auf höchstens 30 Wochenstunden. Freie Kost und Logis gegen Hilfe im Haushalt: "Au pair", das heißt "auf Gegenleistung", ich gebe dir und du gibst mir, und beide profitieren wir davon - ein Erfolgsmodell, das seit den siebziger Jahren Familien am Laufen hält.
Mit zunehmender Berufstätigkeit und Karrierelust der Mütter steigt allerdings auch die Tendenz, die Au-pair-Gäste, speziell die weiblichen aus Osteuropa, als billige Vollzeitarbeitskräfte auszubeuten. Sie sind Dienst-, Haus- und Kindermädchen zugleich, ersetzen das, was man früher "Personal" nannte - aber "Personal" leistet sich heute niemand mehr, weder bürgerlich-moralisch noch finanziell. Stattdessen engagiert man ein Au-pair aus einer armen Region und kann sich dabei auch noch gut und politisch korrekt fühlen, man gibt ihm schließlich eine tolle Chance, wie Frau Gabriele Fummel in Felicia Zellers Stück "Gespräche mit Astronauten" klar erkennt: "eine Chance hier / bei mir / in meiner Wohnung rauszukommen, jetzt nicht gerade aus der Wohnung oder groß raus, aber zumindest aus den Verhältnissen". Das sieht der Gastmütter-Chor genauso und legt den Haushaltshilfen noch ein paar Zusatzaufgaben in den To-do-Korb: "Bei denen sind 300 Euro viel mehr wert als hier bei uns.“
Es ist ein latenter Rassismus und ein beißender Zynismus, der einen aus Felicia Zellers höchst witzigem Stück über das Au-pair-Wesen in Deutschland anspringt. Burkhard C. Kosminski hat es in Mannheim auf der großen Bühne uraufgeführt - als laute, knallige Farce in überdrehter Kindergeburtstagslaune. Wie schon bei "Kaspar Häuser Meer" , ihrer erfolgreichen Groteske über drei heillos überlastete Sozialarbeiterinnen vom Amt, hat Zeller auch für "Gespräche mit Astronauten" gut recherchiert, hat Interviews mit berufstätigen Müttern und Au-pairs geführt und daraus dann aber kein Sozial-Doku-Drama gemacht, sondern: eine wahnwitzige Wortkaskadenkomödie, eine Sprechoper, eine hysterisch-ironische Sprachmaterialschlacht. Da wird mit Worten jongliert, gereimt und gekalauert, was das sprachliche Rüstzeug hält, und vor den Nerven brechen schon mal die Sätze zusammen. Deutschland heißt hier Knautschland und wird vertreten durch vier gestresste Karrieremütter, die von der Bio-Banane für den Kleinen bis hin zu Sparauflagen beim Wasser- oder Kuchenrollenver­brauch ein strenges, ökologisch bewusstes Regiment führen ("Wir legen Wert auf Umweltschutz, wir Knautschen") und regelmäßig ausrasten: "Wenn man nicht alles selber ...!" Die Au-pairs heißenMascha, Olanka, Olga und Irina. Sie kommen aus der Mogelei oder der Ukulele und konjungieren beim Knautschkurs schon mal in eigener Sache: "Ich putze, du putztst WIE SCHREIBT PUTZ-ST? PUTZTST ODER PUTZST? Du putzt. Er putzt. Er putzt nicht. Er hat nicht / nie geputzt, wird nie putzen und hat nie putzen gemusst haben müssen ...“
Florian Ettis Bühne zeigt im Hintergrund (pars pro toto für die abwesenden Väter) einen Astronauten im All. Vorne liegen jede Menge Stofftiere, zwischen denen Isabelle Barth, Sabine Fürst, Silja von Kriegstein und Ines Schiller alle Rollen neben- und durcheinander spielen. Sie tun das sehr komisch und gekonnt, aber es ist schwierig, in dem Trubel den Überblick zu behalten. Auch gehen hier die Feinheiten in Zellers herrlich überreizter Sprach-Kakophonie doch eher verloren. Aber gegessen wird nun mal, was auf den Tisch kommt. Und das ist köstlich genug.
(Süddeutsche Zeitung)

 

Der Chor aus den ärmeren Regionen
[…] Was Zeller aufgeschrieben hat, ist sehr lustig und sehr entlarvend. Vier Familien sind es bei ihr, Personen und Worte fließen ununterscheidbar chorisch dahin, in kleine Kapitel unterteilt. Eines heißt „Dialog“, und der Anfang des „Dialoges“ sieht so aus: „Olanka in ihrem Ausgehminiröckchen. Olanka, meine FREE DRINKS FOR GIRLS ONLY Bordsteinschwalbe! Kippe im Mund, Staubsauger in der Hand, Telefon unters Ohr geklemmt. Kann mir kaum zunicken, wenn ich von der Arbeit nach Hause HÖR MAL! EIGENTLICH SOLLTEST DU DAS MACHEN BEVOR ICH Asche fällt ihr von der Kippe auf den Boden, die sie sofort mit dem Sauger aufsaugt, während sie telefoniert. ALLE SAUBER!“ Das Au-pair als Mosaikstein in einer durchoptimierten Welt.
Zeller schüttet wahre Sprachkaskaden aus, als wollte sie Elfriede Jelinek den Rang als sprachmächtigste Chorführerin deutscher Zunge streitig machen, sie persifliert, kalauert, ironisiert, sie reimt und alliteriert, da wird geschimpft, gebangt und verzweifelt. Sie hat genau zugehört, deswegen wirkt ihr sprachlich so hochgedrehtes Stück selbstverständlich der Gegenwart abgelauscht. Selten gibt es sprachlich so interessante Texte wie die von Felicia Zeller im Theater. Bekannt wurde sie vor einigen Jahren mit „Bier für Frauen“, ihr letztes Stück hieß „Kaspar Häuser Meer“.
Die Texte schwanken zwischen Entlarvung und Klischee, sie liegen deshalb immer hart an der Grenze zu Parodie und Satire, und das Theater hat es mit solchen sprachverliebten Textmassen naturgemäß schwer. In Mannheim hat man sich daran gewagt, Regisseur Burkhard C. Kosminski hat den komplizierten Text auf vier junge Frauen (und einen Mann) verteilt, die in den vier Familien Frau, Kind und Au-pair spielen. Außerdem hat er den Text schrittweise durchgearbeitet: Wer spricht hier was zu wem und wie tut er das? Für fast jeden Satz muss diese Frage neu beantwortet werden.
Vor allem aber hat er seinen Schauspielerinnen die Hosen und Röcke ausgezogen. Sie stehen langbeinig in Hotpants oder Mini, mit hohen Absätzen und Stiefelschäften. Das sind nicht die gutsituierten berufstätigen Oberhäupter von Rumpffamilien, das sind die heimlich beneideten Trash-Fummel der jungen Au-pairs. Sie stehen in dieser Aufführung, zwischen Kuscheltieren und Aufblasbällen, im Mittelpunkt. Hier knallen zähnefletschend zwei Weltanschauungen aufeinander, Jung gegen Alt, Ost gegen West – obwohl man solche Sachen in solchen Haushalten grundsätzlich lieber vernünftig regelt.
Kosminski und seine vier Damen (Ines Schiller, Silja von Kriegstein, Isabelle Barth! und Sabine Fürst!! und der Mann: Thorsten Danner) hauen den Text dermaßen heftig raus, als hätte man hier eine Dose Frauenbier mit gewaltigem Überdruck geöffnet. Tempo, Lautstärke, überschnappende Stimmen, dazu die Beine: Das knallt. Die Sätze fliegen den Zuschauern um die Ohren, dass sie denken, sie wären hier die Astronauten und würden gerade bei der Beschleunigung ihrer Rakete in ihre Sitze gedrückt. Dabei ist es nur Theater.
[…]
(Frankfurter Rundschau)

 

Wie Wesen von einem fremden Stern
[…] Ein kräftig beklatschter Spielzeitauftakt, wie man ihn sich nur wünschen kann: leicht wie ein Soufflé, aber dennoch tief wie die See (bzw. weit wie der Weltraum).
(Rhein-Neckar-Zeitung)

 

[…] In Mannheim jedenfalls ist unter der Regie von Burkhard C. Kosminski ein freches Quintett von Reklame- und Castingshow-Zombies unterwegs, das reimt und rappt, was das Zeug hält. Und über ihnen strampelt der Astronaut, von dem niemand weiß, ob er nun für die große Freiheit oder den puren Nonsens steht. Eine Lockerungsübung. Aber Spaß macht sie allemal.
(Allgemeine Zeitung Mainz)

 

[…] Kosminski setzt in seiner Inszenierung schlau auf die Stärken des Textes, veranstaltet knappe zwei Stunden lang eine schrille Party an der Bühnenrampe, lässt seine fünf Darsteller nach Herzenslust chargieren und parodieren, mit den Zellerschen Sprach-Giftpfeilen den Bühnenhimmel verdunkeln und diesen wieder fröhlich aufklaren im Discogejohle, das dem vielstimmigen Textwust gliedernden Einhalt gebietet und den Schauspielern Atempausen verschafft.
(Die Rheinpfalz)