Theresia Walser

Ein bißchen Ruhe vor dem Sturm

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Sabine Blickenstorfer
Dramaturgie: Ingoh Brux
Licht: Nicole Berry

Uraufführung: 6. Oktober 2006

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Franz Prächtel: Ralf Dittrich
Peter Söst: Thorsten Danner
Ulli Lerch: Sven Christoph Prietz

 


Pressestimmen:

Drei Schauspieler sitzen im TV-Studio und warten auf ihren Auftritt. Gleich werden sie in einer Kultursendung über die Grenzen der Theaterkunst diskutieren. Sie wissen, wovon sie reden. Zwei der Männer haben sich als Hitler-Darsteller bewährt, der dritte ist als Goebbels-Darsteller zu Ansehen gekommen. Der Beginn der Sendung verzögert sich, also kommen sie ins Fachgespräch. Sie sagen Sätze wie „Ohne Schweizer Pass hätte ich Hitler nie spielen wollen“ oder „Ich habe bei jedem Bissen die Vernichtung mitgespielt!“.
Rasch gibt es Streit zwischen dem Goebbels-Spieler und dem alten Hitler-Darsteller. Der Goebbels-Spieler liebt das Regietheater („Wir können doch nicht mehr wie vor hundert Jahren, ich meine, Texte aufsagen ...“). Der Hitler-Darsteller hingegen verteidigt das Werktreue Theater („Künstlerische Freiheit der Regie!? Als sei das eine Freiheit, wenn sich an den Theatern Abend für Abend ein paar narzißtisch überdrehte Provokationsdeppen in ihren Selbstbespiegelungen suhlen!“).
Später bekennt der Goebbels-Spieler, wie froh er sei, heute ohne Polizeischutz auszukommen. In Göttingen nämlich, wo er in einem Stück nackt auf der Bühne knien und Seiten aus dem Koran reißen müsse, hätten gewisse Leute die Botschaft des Abends fehlinterpretiert: „Die, die uns die Morddrohungen geschickt haben, haben nicht verstanden, daß wir doch auf ihrer Seite sind.“
Die Sätze stammen aus dem neuen Stück von Theresia Walser, Ein bißchen Ruhe vor dem Sturm, das jetzt am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt worden ist. Ein tolles Stück! […] die schönsten Diskurs-Schlangengruben und Tabu-Nesselfelder, in denen die darstellenden Künste zurzeit herumtappen. Es geht erstens um die Problematik des Bösen auf der Bühne (verharmlost man Hitler eher, indem man sich warm in ihn einfühlt oder indem man ihn sich eisig vom Leibe hält?). Es geht zweitens um die Kunstfreiheit-über-alles-Debatte (muss man auf der Bühne Rücksicht auf fremde Kulturkreise nehmen, auch wenn die gar nicht ins Theater gehen?). Und drittens um die auch in der ZEIT hitzig geführte Regietheater-contra-Werktreue-Debatte.
Die drei Künstler in Walsers Stück tragen diese Konflikte tollkühn aus. Es sind Wahrhaftigkeitssimulanten und Autonomieclowns in den Fesseln von Jargon und Betrieb. Unsere Stellvertreter auf der Bühne, man muss sie lieben. Im Gespräch dieser drei umrundet das Theater sich selbst -und lacht.
Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht hat über das amerikanische Gruppenlachen geschrieben, es sei wie das Lachen, mit dem alle Folgen der TV-Westernserie Bonanza endeten. Das Abendlachen müder Menschen, die, nachdem sie die Zivilisation weiter in die Wildnis vorangetrieben haben, Ruhe finden und jeden begrüßen, der mitarbeiten möchte, Gumbrecht sagt, das Bonanza-Lachen sei eine Einladung, ein „Hereinlachen“.
Auch das Lachen, das aus Theresia Waisers kleinem Stück aufsteigt, ist ein Hereinlachen. Es ist das Lachen müder Künstler (und erfrischter Zuschauer), die am Ende des Tages, nachdem sie die Bühne gegen die Wildnis verteidigt haben, feststellen, dass ihnen der Kampf Spaß macht. Witz als Einladung: Wer gewillt ist, sich weder von Angst dumm noch vom Vorurteil blind machen zu lassen, der ist hier willkommen.

Die Zeit

 

[…] Als Mime von altem Schrot und Korn donnert Prächtel gegen den „Bilderwahn“ der Regisseure an und redet sich mit hitlertypischer Flatterhand auf dem Rücken in Rage gegen die Tendenz, miserable Sprechkultur einfach durch die Unterlegung mit atmosphärischer Musik zu vertuschen. Das ist für ein Pamphlet gegen das Regietheater schon urkomisch, zumal die Inszenierung Walsers Hauptaussage belegt, indem sie die leere Vorderbühne mit ihren Stühlen und dem wackeligen Tisch ganz den Schauspielern überläßt. Das Stück funktioniert aber nicht wegen seiner geharnischten Thesen zum Theater, die das Mannheimer Premierenpublikum heftig beklatscht, obwohl sie vertrackterweise einem kongenialen Hitler-Darsteller in den Mund gelegt werden. Es funktioniert als wundervoll erfrischender und selbstironischer Slapstick mit Worten. […]

Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

[…] ein sehr lustiger Einakter um eine Kuriosität der deutschen Erinnerungskultur. Höhepunkt der wohnzimmergerechten Geschichtsmassenspektakel der letzten Jahre war Bruno Ganz’ zittrig-heroisch-wahnhafte Hitler-Darstellung in Bernd Eichingers Kostümdrama der Untergang. Das Stück folgt allein der Inspiration, die aus dem absurden Moment folgt, dass der repräsentative Hitlerdarsteller offenbar ein Einfühlungsschauspieler war. „Ich war Hitler“, irgendwie kommt Ganz nicht mehr an diesem Satz vorbei. Und das Stück kreist einzig und allein um diesen Satz und seine Untiefen. Walser versammelt dazu drei Schauspieler, die sie vor Beginn einer Talk-Show zeigt, in der es offenbar um Nazigrößendarsteller gehen soll.
Zwei der Schauspieler haben Hitler gespielt, einer davon hat viel Ähnlichkeit mit Ganz, ein Schauspieler hat Goebbels gegeben. Es geht um Rollenverständnis und Größenphantasien, die sich zu einer Diskussion über das Regietheater auswachsen, wo Franz Prächtel, der einfühlungsverliebte Ganz-Ersatz, meint er wäre Prinz von Homburg, wenn er Kleist spricht, und wo der Goebbels-Darsteller eine Hamlet-Aufführung verteidigt, in der er einen von sieben Hamlets spielt.
Das ist alles nicht böse aber von jenem schmunzelnden Hohn, der die leichtgängigste kritische Haltung zu der deutschen Erinnerungsgroßartigkeit ist. Das liegt Kosminski offenbar, der das Stück mit inspirierten Schauspielern genau so schmissig spielt, wie es auf dem Blatt steht: Mannheim amüsiert sich zu Hitler. […]

Frankfurter Rundschau

 

„…Und Kosminski nutzt den virtuosen Dialog-Pingpong, um auf die Vorderbühne des Kleinen Hauses drei köstliche Typen aufeinander loszulassen: Ralf Dittrich spielt den selbstgewissen Staatsschauspieler alter Schule, der an jeder Ecke „regieführende Radikalbuben“ wittert; Sven Christoph Prietz hält mit dem Furor des nur halbwegs von sich überzeugten Gesellschaftskritikers dagegen; und Thorsten Danner ist als wetterwendischer Leisetreter der stille Dritte im Bunde. Was aber alle Drei verbindet, ist die bedrängende Frage, ob es denn überhaupt erstrebenswert sei, für die Authentizität der eigenen Hitler-Darstellung beklatscht zu werden – oder am Ende doch eher nicht. …“

Allgemeine Zeitung Mainz

 

„…Das alles ist herrlich komisch und intelligent, pariert jedes Klischee mit seinem Gegenpart, und stößt uns ganz nebenbei auf die Erkenntnis, dass Theater und Leben auf eine ziemlich komplizierte Weise verquickt sind. Kosminski hat die Fiesheiten des Walser-Textes noch ein wenig gemeiner gemacht, und den drei wunderbaren Schauspielern Ralf Dittrich, Thorsten Danner und Sven Christoph Prietz hätte man auch noch für den Rest des Abends zuschauen mögen. …“

Die Rheinpfalz

 

[…] Als Regisseur ist Burkhard C. Kosminski alles andere als ein Theater-Goebbels. Genau folgt er dem Fluss der Dialoge, kommentiert mit feinem szenischen Witz und zeichnet drei Gestalten in heiterer Schwebe zwischen Typus und Charakter. […]

Stuttgarter Zeitung

 

[…] das Premierenpublikum johlte vor Vergnügen und weidete sich an der eigenen Extremposition und an großartigen Schauspielern. […]

Theater der Zeit

 

Das kommt selten vor. Ein Theaterstück wird beim Publikum ein großer Erfolg, andere Theater wollen es nachspielen, nur – es ist mit ganzen 50 Minuten Spieldauer eindeutig zu kurz. So war es Theresia Walsers „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm" gegangen. In dem Stück unterhalten sich drei Schauspieler über das Theater. Über große Schauspielkunst über die Auswüchse des Regietheaters und die lieben Kollegen.
Geschliffene Dialoge und hervorragende schauspielerische Leistungen bei der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim vor einem Jahr bescherten dem Stück, das auch bei den baden-württembergischen Theatertagen in Konstanz zu den Höhepunkten gehörte, raschen Erfolg. Inzwischen hat Theresia Walser nachgebessert und eine Zugabe auf wenigstens 75 Minuten gewährt.
Dem Stück hat es nicht geschadet. Einige Dialoge wurden noch etwas ausgeschmückt und um einige Gedanken ergänzt, die die Dramatikerin schon immer einmal über die mangelnde Sprachkultur auf deutschen Bühnen loswerden wollte. Für Ralf Dittrich, Thorsten Danner und Sven Christoph Prietz, die in Mannheim auch in der neuen Version die drei Schauspieler auf die Bühne bringen, galt dieses natürlich nicht. Ihre Darstellung begeisterte auch die anwesende Autorin und das Stück kann nun in der bewährten Regie von Burkard C. Kosminiski weiterhin in Mannheim seine Stärken ausspielen.
Mit 75 Minuten ist es zwar immer noch nur „ein bisschen" Ruhe vor dem Sturm, aber vielleicht wollte Theresia Walser damit ja auch ihre Vorbehalte gegen allzu lange Theaterabende von drei oder vier Stunden auf die Bühne bringen.

Südkurier