Eugene O'Neill

Trauer muss Elektra tragen

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Ute Lindenberg
Musik: Matthias Schneider-Hollek
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Volker Bürger

Premiere: 27. Januar 2007

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Ezra Mannon: Ralf Dittrich
Christine Mannon: Andrea Bürgin
Lavinia: Silke Bodenbender
Orin: Taner Sahintürk
Adam Brant: Ralf Dittrich
Peter Niles: Jens Atzorn
Hazel Niles: Nadine Schwitter


Pressestimmen:

Zuerst lässt sich im Mannheimer Theater George W. Bush hören. Originalton, Auszüge aus den Reden des Präsidenten zum Krieg gegen den Terror. Das ist in Burkhard C. Kosminskis Aufführung von O'Neills Trauer muss Elektra tragen aber keine forcierte Aktualisierung. Vielmehr treffen die Zitate einen Kern der als Trilogie angelegten Tragödie, die Familiengeschichte auch als Staatsgeschichte erfasst. O'Neills Stück gibt, zeitlich angesiedelt im amerikanischen Bürgerkrieg, eine Version der Orestie des Aischylos. Mit der schwer wiegenden Veränderung jedoch, dass am Ende nicht, wie in dem antiken Drama, die Perspektive auf ein Staatswesen eröffnet wird, in dem das Gesetz der Blutrache außer Kraft gesetzt ist zugunsten einer Recht sprechenden Instanz, sondern die Gewalt sich fortschreibt. […]
Die Mannheimer Aufführung, anfangs immer wieder durchzogen von Video-Einspielungen aus den Kriegen der USA in Korea, in Vietnam, im Irak, stellt sie zur Diskussion – ohne sich aber dabei festzulegen auf derzeit opportune anti-amerikanische Affekte. Mehr und mehr verschieben sich die Akzente vom Politischen zum Psychologischen. Unerträglich wird der Druck, durch den die Toten weiterwirken im eigenen Leben: für die Mutter selber, die ihren Mann zu Tode bringt durch das Bekenntnis zu dem Betrug, den sie an ihm begangen hat; für die (in der Aufführung einander auch inzestuös verbundenen) Kinder Orin und Lavinia, die den Vater an ihr rächen. Das ist hier die Tragödie: dass Vergangenes nicht vergehen kann und die Menschen in Angst hält vor sich selbst.
Die Inszenierung Kosminskis, der seit Beginn dieser Spielzeit Schauspieldirektor in Mannheim ist, findet für den Einstieg in O'Neills breiter ausgeführte Szenen geschickte Verkürzungen. Auf dem abgesenkten Spielfeld der dekorationslosen Bühne setzen sich von den Darstellern zunächst fast verbindungslos erspielte Bruchstücke der Familiengeschichte erst allmählich zusammen. Mehr und mehr verdichtet sich dann die offene Form und werden die Kon­flikte zwischen den Personen Zug um Zug erkennbarer. Zugleich beginnt der Boden, auf dem die Beteiligten sich bewegen, zu schwanken. Die Bühne Florian Ettis bietet als Spielebene nämlich nun eine von Seilen gehaltene, abgehoben schwebende Fläche: Ausdruck für die Unmöglichkeit, Halt zu finden, festen Stand gegen die bedrängenden Bilder von Schuld und Tod.
Die Schauspieler tragen den – die Trilogie auf nur zweieinhalb Stunden Spieldauer konzentrierenden – Abend mit erstaunlicher Energie und Nachdrücklichkeit. Im Zentrum Silke Bodenbenders Lavinia (Elektra) und der Orin (Orest) Taner Sahintürks, die beide eindrucksvoll den Entwurf ihrer Figuren gründen auf die Umsetzung von Emotionen in Formen eines betont körperlichen Spiels. Andrea Bürgin verhilft der Mutter zu einer Präsenz, die noch nachwirkt, wenn diese Klytämnestra selbst den Kreis der Lebenden schon verlassen hat.
Nach dem Beginn der ersten Spielzeit Kosminskis mit einem realistischen Volksstück, Reto Fingers Kaltem Land, ist das neue Mannheimer Schauspiel nun befasst mit dem klammernden Wurzelwerk, das die Menschen O'Neills nicht freigibt. Das Publikum der Premiere ist den Schritt zustimmend mitgegangen.

Frankfurter Rundschau

Von der Mutter vernachlässigtes Mädchen ertappt ihre Mutter erst beim Fremdgehen, dann beim Giftmord an Papa – und nimmt blutig Rache: Eugene O’ Neills Theaterstück „Trauer muss Elektra tragen“, das den klassischen Tragödienstoff der Orestie in Amerikas Südstaaten verpflanzt, wird (oft als Kommentar zur aktuellen US-Kriegspolitik) derzeit gern gespielt auf deutschen Bühnen. Im Mannheimer Nationaltheater hatte am Wochenende eine Inszenierung Premiere, in der die Schauspielerin Silke Bodenbender die monströse Generalstochter Lavinia Mannon spielt – und das ist nicht nur wegen Bodenbenders feiner und berührender Darstellungskunst eine spektakuläre Besetzung […]

Der Spiegel

„…Im Oktober inszenierte Mannheims neuer Schauspielleiter Burkhard C. Kosminski „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller, nun folgte mit Eugene O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ ein weiteres amerikanisches Drama. Und erneut geht es um den großen amerikanischen Traum vom Glück des Einzelnen und der ganze Nation. Bei Miller sind es Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswandel, die diesen Traum zerstören, bei O’Neill Krieg und die mörderischen Verstrickungen einer Familie. …“
„…In seiner Inszenierung im Mannheimer Schauspielhaus zeigt sie uns Kosminski gleich zu Beginn als alte Frau. Im Rollstuhl sitzend, mit wirrem Haar und wirren Gedanken, murmelt sie sich mit hoher, erstrebender Stimme durch die Endlosschleife ihres Alptraums, der bevölkert ist von den lebenden Toten der Vergangenheit. Und schon sehen auch wir Lavinias Gespenster, den mörderischen Mannon-Clan, stumme Botschafter vergangener Schuld, die erst abgetragen sein wird, wenn auch die Letzte der Sippe stirbt.
In seiner stark gekürzten, die Handlung auf kluge Weise verdichtenden Textfassung hat Kosminski das Geschehen nicht nur um diese vorweggenommene Schlussszene verlängert, er hat das Geschehen auch nochmals näher an uns herangeholt. Als die alte Lavinia im Rollstuhl jammert, liefert die den zweiten Irak-Krieg eröffnende Bush-Rede den Soundtrack. Und als wir dann in Lavinias Erinnerung eintauchen, zurückkehren zum vier Jahrzehnte zurückliegenden Ausgangspunkt dieser Familienkatastrophe, da sind Jimi Hendrix’ verzerrte Gitarrensounds und die vertrauten Schwarz-Weiß-Fotos des Vietnamkriegs unsere Begleiter. Der Krieg hat nicht aufgehört das Schicksal dieser immerzu von Frieden und Gerechtigkeit träumenden Nation zu sein, und immer wieder sind es die Traumata des Krieges, von denen die Menschen nicht mehr loskomme, die sie gefühllos und grausam werden lassen, die zügellose Begierden frei setzen und das Töten leicht machen.
Bühnenbildner Florian Etti hat der Todes-Schuld-Vergangenheits-Welt der Mannons einen großen, leeren Raum geschaffen. Ein riesiger, an Stahlseilen befestigter Gitterrost ist die schwankende Spielfläche, unter der der abgesenkte Bühnenboden einen Abgrund aufgetan hat wie ein offenes Grab. Hier vollzieht sich der Liebes-Todes-Reigen, gesteht Adam Brant seine rachegetränkten Begierden, bettelt der stocksteife Ezra Mannon (beide Ralf Dittrich) um eine neue Liebeschance seiner Ehefrau, antwortet diese mit einem von zahllosen Enttäuschungen ausgekühlten Zynismus (Andrea Bürgin), findet Orin keinen Halt mehr im Tumult seiner verwirrten Gefühle (Taner Sahintürk).
Die Lavinia der Silke Bodenbender steht im Zentrum des Orkans, ist zunächst eine pampige Göre der Woodstock-Generation, die tanzt und Luftgitarre spielt und weg will aus dem dumpfen Zuhause. Aber dann versinkt sie immer mehr in diesem Familiensumpf aus Schuld und Sühne, wird hart und kalt, übernimmt von der Mutter nicht bloß das Samtrot des Kleides, sondern auch den mitleidlosen Kampf um Liebe und Leidenschaft. „Warum können die Toten nicht sterben“, sagt sie und weiß, dass sie ihrem Schicksal nicht entkommen kann. …“

Die Rheinpfalz

 

„…Am Mannheimer Nationaltheater hat Schauspielchef Burkhard C. Kosminski aus Eugene O’Neills Antiken-Paraphrase „Trauer muss Elektra tragen“ von 1931 ein straff geknüpftes Geflecht aus Rückblenden gemacht. Er hat das Riesendrama von fünf auf zweieinhalb Stunden Spieldauer gekürzt, hat begradigt, was zu begradigen ist, aber die eigentlich chronologisch aufzublätternde Handlung durcheinandergeschüttelt und zu einem kunstvollen Vor und Zurück verschnürt – grad so, als kreise ein Erzähler immer neu und wie besessen um die Frage von Schuld und Sühne.
Bei Kosminski könnte O’Neill ein Parteigänger der assoziativen Erzähler aus der Schule des Nouveau Roman sein. Doch nicht nur das: Er verpflanzt das Geschehen auch noch aus dem amerikanischen Bürgerkrieg in die Gegenwart, in die Zeit des Vietnamkriegs, steckt den Kriegsheimkehrer Ezra Mannon in die Montur eines hochdekorierten US-Militärs unserer Tage und lässt dessen Kinder mit Rockmusik und Flower-Power groß werden. O’Neill – unser Zeitgenosse. … Die Beat-Generation übt die Rebellion – die Geschichte um Mord und Totschlag im Familienclan der Mannons, die O’Neill frei nach Freud aus Vater-Tochter- und Mutter-Sohn-Fixiertheiten entwickelt, erhält in Mannheim durch die Anbindung an die `68er-Revolte eine schlüssige Zusatzerklärung. … Eine gute Aufführung, in der Pistolenschüsse die verborgenen Wendepunkte markieren und die bereits Hingemordeten immer wieder zu neuem Leben erwachen. Das ganze Erdendasein ein Totentanz – in den Abweichungen von der Textvorlage ist Kosminskis Inszenierung dem Geist des Autors O’Neill oft näher als dort, wo er sich an dessen fein ausgetüftelten Psychologie anlehnt.…“

Allgemeine Zeitung Mainz