Albert Ostermaier

Fratzen

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Lydia Kirchleitner
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Katharina Blumenkamp

Uraufführung am 28. Februar 2009

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
René / Rainer : Klaus Rodewald
Ursula, seine Mutter : Anke Schubert
Günther, sein Bruder : Hans Fleischmann
Volker Balthasar : Edgar M. Böhlke
Jens : Reinhard Mahlberg
Miriam : Ragna Pitoll
Alexander : Tim Egloff
Yvonne : Luisa Stachowiak
Veronika : Meridian Winterberg
Florian : Taner Sahintürk
Pater Eugen: Navid Akhavan

 


Pressestimmen:

"(…) Das Stück ist bei Burkhard C. Kosminski und seinem beachtlichen Ensemble in guten Händen. Das fängt schon bei der Bühnenlösung an, die Florian Etti für die zwei Ebenen des Stücks gefunden hat: Die bayerische Zirbelstube mit ihren realistischen Details fährt immer wieder in die Versenkung, um den Raum für die Waldszenen weit zu öffnen. Wände aus
schwankenden Holzlamellen deuten die Bäume an, suggestive Klopfrhythmen ersetzen die Schrammelmusik, und zu Renés Live-Monologen an der Rampe erscheint sein Konterfei als riesige, brüchige Videoprojektion auf der rückwärtigen Lamellenwand. Renés Mutter Ursula, die den Sohn abgöttisch liebte und dennoch sagt: „Gut, dass er tot ist“, hat bei Anke Schubert ein hochrealistisches, die Figur bei ihrem Schlaganfall wie bei ihren sonstigen Schicksalsschlägen ernst nehmendes Volkstheaterformat. Und Günther, ihr etwas tumber Sohn aus zweiter Ehe, rückt unverhofft sogar ins Zentrum der Inszenierung, so bayerisch saft- und kraftvoll spielt Hans Fleischmann in aller Schlichtheit dieNot und Wut dieses ewig zu kurz Gekommenen, der um die Liebe der Mutter buhlt und das „Politikergschwerl“ bei Tisch beschimpft. Selbst Luisa Stachowiak, die in der Rolle der Nichte Yvonne das Klischee einer Ossi-Schlampe mit Blow-Job-Qualitäten zu spielen hat, erobert sich einen starken Moment, wenn sie die Tischrunde in heller Verzweiflung verlässt. Man wird sie später erhängt im Wald auffinden Kosminski, das ehrt ihn als Uraufführungs-Regisseur, verrät keine der Figuren, treibt sie einmal zwar in eine alptraumartige Winke-Winke-Polonaise, aber nie in die Karikatur. Er hat viele Schlenker (…) vernünftigerweise gestrichen, aber er steht zu dem Stück (…) und überzeugt durch die Entschiedenheit, mit dem er sich das Geschehen zur Brust nimmt. (…)"

Süddeutsche Zeitung

 

Trügerisches Idyll mit Pelzbestien
Uraufführung in Mannheim – Burkhard C. Kosminski inszeniert Albert Ostermaiers „Fratzen“ -
Es beginnt krachledern bayrisch – mit Zithermusik aus dem Off und dem Einblick in eine niedrige Wirthausstube. Schon das ist eine Überraschung – der Münchner Autor Albert Ostermaier („Making Of B-Movie“) stand bislang eher für Künstlerdrama und Kulturbetriebs-Satire. Sein neues Stück „Fratzen“, das jetzt am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt wurde, lockt den Zuschauer dagegen in ein ländliches Schein-Idyll.
Rainer ist gestorben. Es ist der Tag seiner Beerdigung – die Mutter und Rainers Halbbruder Günther haben sich mit der im Mini-Rock hereintänzelnden Cousine Yvonne aus Mecklenburg herumzuschlagen. Und in Burkhard C. Kosminskis Mannheimer Inszenierung wir alles umweht von dem penetrantem Geruch des Rindenmulchs, der über die weite, bis an einen Bretter-Horizont sich erstreckende Spielfläche verteilt ist. Der neue Ostermaier freilich erweist sich bald doch als der alte. Denn es drängt ihn nicht wirklich zum Volksstück-Realismus. Was ihn interessiert, sind die Gespenster hinter den Menschenfassaden. Rainers Familie nämlich bleibt nicht unter sich. Zur Beerdigung reisen auch drei Parteifreunde samt Assistentin aus der Stadt an. Rainer, der sich im Großstadtleben René genannt hatte war als Politiker auf dem Weg zu Ruhm und Geld gewesen. Und wie sich bei dem Begräbnis herausstellt, war er weder gegen Bestechlichkeit noch gegen Kabale und Lüge gefeit gewesen – und gegen die Fallstricke seiner vermeintlichen Freunde aus dem Parteigremium erst recht nicht. Den Blick in diesen Sumpf ermöglicht allerdings erst ein Video, das René erst kurz vor seinem Tod aufgenommen hat. Über dieses Video wird René auch vor dem Zuschauer lebendig: Drei große Monologe, die vor laufender Video-Kamera von dem Darsteller des eigentlich längst Dahingegangenen gesprochen werden, machen ihn zu guter Letzt auch vom Textanteil her zur Hauptfigur. Am Ende haben Renés Enthüllungen die ganze in der Provinz versammelte Korona als korruptes Karrieristen-Pack entlarvt, daneben aber auch an der eigenen bäurischen Familie kein gutes Haar gelassen. So weit, so niederschmetternd. Doch selbst in der Natur ist kein Friede. Dort nämlich treiben zottelige Vitalitätsgespenster ihr Unwesen. Zwei mal jedenfalls fallen martialische Waldwesen- in Mannheim in groteske Pelze eingemummelte Darsteller mit wunderlichen Geweihen – über das ahnungslose Stückpersonal her und versetzen es in puren Schrecken. Klaus Rodewald ist als der Wiedergänger René ein entschiedener, nichts als seien Videomissionen verfolgender Macher, dessen markantes Konterfei zu Beginn seiner Monologe bühnenbreit auf den Bretterzaun projiziert wird. Anke Schubert als dessen gebeugte Mutter Ursula und Hans Fleischmann als der halbirre Sohn Günther fügen sich zu einer wahrhaft gespenstischen Rest-Familie. Und die Fraktion der Anzugsträger, allen voran Edgar M. Böhlke als zuckersüß um Ausgleich bemühter Elder Statesman Balthasar, toppt diese Versammlung der unberechenbaren nochmals mühelos. So aber blättern die Mannheimer ein irrlichterndes Stück in zweieinhalb Stunden klug auf. Sie machen daraus einen Horror-Trip durch unseren Alltag – und vergessen doch auch die besänftigend kuriosen Seiten nicht.

Allgemeine Zeitung Mainz

 

Unschuldig kommt keiner davon -
Albert Ostermaiers neues Stück „Fratzen“ im Mannheimer Nationaltheater Uraufgeführt -
Zum zweiten Mal hat Albert Ostermaier im Auftrag des Nationaltheaters ein Stück geschrieben. Auf die Schiller-Adaption „Schwarze Minuten“ vor zwei Jahren folgt nun „Fratzen“, ein Politthriller im Gewand eines düsteren Heimatstücks. Eigentlich geht es aber um eher metaphysische Fragen nach dem Tod und wie sich das Leben davor menschlich bewältigen ließe. Mannheims Schausieldirektor Burkhard C. Kosminski und sein Bühnenbildner Florian Etti haben dafür eine überzeugende Umsetzung gefunden. „Froh bin ich, dass er tot ist.“ Die Mutter sagt das über den eigenen Sohn. Dreimal wiederholt sie es, als sei es eine Beschwörung, als könne erst Ruhe und Frieden einkehren, wenn es ausgesprochen ist. „Fratzen“, das neue Theaterstück von Albert Ostermaier, handelt vom Tod, zeigt einen, der sein Lügenleben, die Gemeinheiten, die zugefügten und erfahrenen, all die verpassten Glücksmomente und hilflosen Rachegelüste im letzten Moment zu ordnen versucht. Und es handelt von den Überlebenden, die als Täter und Opfer verstrickt sind und nicht los kommen von diesem Toten. René, der eigentlich Rainer heißt, machte Karriere als Politiker, al ihn die Diagnose einer tödlichen Krankheit ereilte. Das schwächelnde Alphatier wird von den Parteifreunden fallen gelassen, mit seinen homosexuellen Neigungen und der schön gelogenen Biografie erpresst. René zieht sich zurück in seinen Heimatort im bayrischen Niemandsland, zur gebrechlichen Mutter und dem an Leib und Seele kranken Bruder, dem schwulen Wirtssohn, dem er seine Liebe nicht zeigen wollte, und den Frauen die er vögelte ohne Liebe. Als das Stück beginnt, ist René / Rainer schon tot. Zur Beerdigung rücken die Parteifreunde aus der Großstadt an, treffen im dunklem Wald und in enger Stube auf die dumpfen Dörfler. Alle haben sie noch ihre Rechnung offen, mit de Toten und mit dem Leben. Renés Unfalltod ist dabei genauso ungeklärt, wie der Inhalt seiner hinterlassenen Videobänder. Da fallen einem Schill und Haider ein und auch die CSU-Krise, das Theater ist manchmal näher an der Wirklichkeit, als ihm lieb ist. Für diese bayrisch-raunende Geschichte hat Ostermaier eine poetisch-dunkle Sprache gefunden. Die Seelenverwandtschaft zu Achternbusch, Kroetz oder Sperr, kann er nicht leugnen, bricht das Provinziell—Dumpfe aber immer wieder auf mit Politik-Krimi-Gegenwärtigkeit, deren Spuren sich dann aber wieder verlieren im Unterholz eines nächtlich-eiskalten Märchen-Monster-Waldes in dem Fasnachtsmasken spuken und Tote an den Ästen hängen. Wie bei Shakespeare ist auch bei Ostermaier der Wald eine große Wahrheitsmaschine, die Verborgenes und Unbewusstes an die Oberfläche holt, aber am Ende wartet nicht Erlösung, sondern Untergang.
In Mannheim hatte der Bühnenbildner Florian Etti eine geniale Idee zur Umsetzung dieser Waldmetapher. Die kleine Stubenbaracke ist auf drei Seiten umstellt von raumhohen, rohen Brettern, ein Gatter aus Stämmen, das sich öffnen, anheben oder gefährlich absenken lässt. Zwischen den Brettern glimmt es manchmal feuerrot, als stehe der ganze Wald in Flammen. Aber nicht der winterkalte Wald brennt, sondern die Hirne und Gedanken. „Ich kann gar nicht mehr atmen ohne Wut…Mein Kopf brennt. Da zünd ich alles um mich an, wenn ich zu rennen anfang“. Sagt Florian, der Wirtssohn, den Taner Sahintürk als einen spielt, der an seiner verbotenen, unerwiderten Liebe zu dem toten René zu ersticken droht.
Ein noch größerer Hirnbrandstifter ist Günther, Renés ebenfalls todkranker, vergeblich um die Liebe der alten Mutter buhlender Bruder. Mit Abgrundstimme gräbt sich Hans Fleischmann durch seine Sätze, hält Kränkung und Wut gerade unter der Oberfläche, zeigt einen, der angeschlagen wie ein Boxer durch sein Restleben torkelt, irre geworden am Unrecht der Welt. Der Mutter gibt Anke Schubert die gebeugt-unbeugsame Gestalt und die unerbittliche Gefühlskälte einer lebensenttäuschten Frau, die mit blondierten Haaren um ihre Restwürde kämpft.
Die eloquenten Parteiprofis aus dem Norden sind da aus anderem Holz, ausgebuffte Politstrategen, die jeden wegbeißen, wenn es um Listenplätze, Bauaufträge oder eine schnelle Nummer geht. Edgar M. Böhlke spielt den Parteichef Volker, der immer die richtigen Worte parat hat und zum Killer-Spaten greift, wenn Enthüllungen drohen. Reinhard Mahlberg und Jaques Malan als Jens und David sind die klassischen Parteischranzen, lauernd auf Fehltritte und die abgelegten Geliebten der anderen. Ragna Pitoll als Miriam ist die tüchtige Karrierefrau, perfekt gestylt und beischlafbereit. Auch René bekommen wir in Burkhard C. Kosminskis spannender, alle Figuren detailgenau und liebevoll herausarbeitender Inszenierung zu sehen. Klaus Rodewald zeigt ihn als melancholisch Verzweifelten, dessen Trauer über das eigene verpasste Leben weit größer ist als der Zorn über das ihm zugefügt Leid. Unschuldig kommt hier keiner davon, die Toten nicht und schon gar nicht die  Lebenden.

Die Rheinpfalz

 

"Bemerkenswert, wie gut die Schauspieler Haltung und Tonfall der tagtäglich im Fernsehen zu besichtigenden Politiker treffen: Jacques Malan spielt einen Technokraten, der jede Individualität so vollständig aus seiner Physiognomie verbannt hat, dass er nicht nur komplett verwechselbar, sondern nahezu unsichtbar geworden ist. Er wirkt zunächst wie der Sachzwang auf zwei Beinen, weiß aber, sobald die Türen verschlossen sind, seine Interessen und Lüste mit äußerster Brutalität durchzusetzen.
Edgar M. Böhlke spielt die gleiche, aber mit etwas mehr öffentlichkeitswirksamer Eleganz begabte Figur. Naturgemäß ist auch der Held Rainer letztlich ein Unreiner und Klaus Rodewald vergegenwärtigt eindrucksvoll wie sich da jemand, angesichts seines angekündigten Todes, über seinen eigenen jahrelang geübten Zynismus klar wird und rettungslos über sich erschrickt."

Die Welt