Theresia Walser / Karl-Heinz Ott
Die ganze Welt

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme: Ute Lindenberg
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux

Uraufführung am 20. November 2010,
Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Regina: Irene Kugler
Tina: Sabine Fürst
Dolf: Sven Prietz
Richard: Ralf Dittrich

 

 
(Fotos: Florian Merdes)


Pressestimmen:

Gewohnheit ist der Kitt der späten Ehejahre
Ein Paar schreibt über Paare:
Mannheim zeigt "Die ganzeWelt" von Theresia Walser und Karl-Heinz Ott.

Irgendwann lieben wir nicht mehr die Liebe, sondern nur noch die Gewohnheiten. Sie sind der Kitt der späten Ehejahre und halten zusammen, was immer wieder auseinanderzubrechen droht. Dennoch: vor häuslichen Katastrophen schützt das nicht. Die gegenseitigen Vernichtungsorgien von Strindberg über Ibsen und Albee bis hin zu Yasmina Reza verraten es. Kriselnde Paare und ihre Lebenslügen sind auf der Bühne ein Dauerbrenner.
Theresia Walser und ihr Mann Karl-Heinz Ott haben mit ihrem Stück "Die ganze Welt" dem Thema ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Zwar erinnert die im Mannheimer Nationaltheater uraufgeführte Versuchsanordnung - ein älteres und ein jüngeres Paar - an den erwähnten Edward Albee, an "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", den Ehezerfleischungsklassiker der sechziger Jahre, doch Walser und Ott ist genügend Originelles eingefallen, um sich das literarische Vorbild angemessen vom Leib zu halten. Wenn die Aufführung beginnt, sitzen Regina und Richard frontal zum Publikum auf einer monströsen Parkettboden-Imitation, die rechts und links, ähnlich einer Wand für Skateboardfahrer, steil in die Höhe ragt. Hinter ihnen im blau schimmernden Nebelmeer das traumhaft verloren wirkende zweite Paar, Tina und Dolf. Wie aus einer anderen Welt scheinen sie in der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski zu kommen. Doch das täuscht. Ihr Leben mit wechselnden Sexpartnern beweist, dass sie an der Realität bereits heftig geschnuppert haben.
Früher war alles ganz anders. Da nahmen Regina und Richard noch Einladungen an, verreisten, besuchten Straßencafés, amüsierten sich. Älter geworden, gehen sie selten aus, führen ein langweiliges, abgeschottetes Leben und veranstalten "Weißt-du-noch-Abende?", jene grauenhaften Olympiaden der Erinnerung, die zwangsläufig zum Streit führen müssen. Doch aus der selbst verordneten Einsamkeit eines Paares, das sich alles gesagt und vermutlich auch alles gezeigt hat, wird heute nichts. Denn mit Tina und Dolf platzen zwei Überraschungsgäste herein, ein befreundetes Ehepaar, dessen Einladung Regina und Richard ausgeschlagen haben. Lieber, so behaupten sie jedenfalls, würden sie Schrotbrei nach Hildegard von Bingen schlucken, als sich mit Nudelsalat abfüllen lassen. Jetzt gibt es Schnitzel und Wein aus der Küche von Tina und Dolf.
Anschließend wirbeln diese Jüngeren die Älteren ein bisschen durcheinander. Nun gilt es, mit Hilfe einer ätzenden Sezierarbeit die verborgenen Schwachstellen des anderen freizulegen. Die Wutausbrüche, Beschuldigungen, Gemeinheiten und Peinlichkeiten häufen sich. Kosminski lässt die Paare im verbalen Schlagabtausch wirkungsvoll aufeinanderprallen und veranstaltet einen schmerzhaft-komischen Seelenstriptease, gespielt von den vorzüglichen Schauspielern Sabine Fürst, Sven Prietz, Ralf Dittrich und einer fulminanten Irene Kugler, die als Regina pralle Sinnlichkeit und bohrende Altersängste zu einer nachdrücklich berührenden Haltung vermischt, in der sie beides offenlegt: die unstillbare Sehnsucht nach dem Leben und den bereits beschlossenen Rückzug daraus.

(Stuttgarter Zeitung)

 

Die ganze Welt – Theresia Walsers vierte Uraufführung am Nationaltheater, angerichtet von Burkhard C. Kosminski
Von Lebenslügen und anderen Feuchtgebieten

Spätestens seit Kurt Tucholsky und Loriot wissen wir: Männer und Frauen passen nicht zusammen. Das Autorenteam Theresia Walser und Karl-Heinz Ott setzen noch eins drauf: Mensch und Mensch, das kann nicht gut gehen. Ist natürlich kein brandneuer Stoff. Doch in ihrem aktuellen Stück "Die ganze Welt" finden sie eine ziemlich originelle Variante der Wer-hat-Angst-vor-Virginia-Woolf-Kampfzonen, Feuchtgebiete inklusive.
Für Theresia Walser sind aller guten Dinge drei – bei vier Auftragswerken des Nationaltheaters Mannheim eine hohe Trefferquote: "Ruhe vor dem Sturm" war ein exorbitanter Erfolg, Monsun im April immer noch ein beachtlicher. Nur Der Herrenbestatter in der vergangenen Spielzeit geriet zu einem etwas biederen Erzähltheater.
Allerweltswahrheiten, Wortwitz, Doppeldeutigkeiten
Jetzt hat die Autorin mit Karl-Heinz Ott zum Drive ihrer ersten beiden Mannheim-Produktionen zurückgefunden. In ihrem Zwei-Paar-Stück, wo in die verlogen-biedere Abschottung von Regina und Richard mit Tina und Dolf Menschen brechen, die alles durcheinanderwirbeln und die Offenbahrungsschleusen öffnen, ist alles im Doppelsinn ver-rückt. Die Beziehungen der Figuren, ihre Konstellationen im Bühnenraum, die Mono- und die Dialoge – die Sprache aus Wortwitz, Allerweltswahrheiten, kleine Wortschöpfungen, Doppeldeutigkeiten: Alles gerät etwas aus der Spur.
Wie in einem zerbrochenen Spiegel reflektieren sich die ramponierten Lebensentwürfe: Es geht um Lebenslügen, die man niemandem nehmen soll, will man ihm nicht seine Hoffnung auf ein bisschen Glück rauben. Es geht also auch um Glücksvorstellungen, ums Verschweigen von Realitäten und vom großen Crash, wenn die nackte Wahrheit nicht mehr bemäntelt werden kann. Burkhard C. Kosminski, Schauspielchef in Mannheim, entfaltet den gebrochenen Beziehungskosmos in einer Atmosphäre des ewig gleichen Kommunikationsgetues, aber auch der Wutausbrüche aus Nichtverstehen und Nichtverstandenwerden. Man redet miteinander, doch wenn es ernst wird, immer aneinander vorbei.
Monströser Parkettmusterstreifen
Für den Gefühlshaushalt der beiden Paare, die zum Nahkampf mit Schattenboxen und Seelenstriptease antreten, bietet Florian Ettis Bühne viel Symbolisches: im Vordergrund ein an beiden Seiten hochgezogener monströser Parkettmusterstreifen, im Hintergrund schwarze Aushänger mit einem himmelblauen Boden. Vorne vier Stühle mit Regina und Richard frontal zu den Zuschauern, hinten im Bodennebel auf Stühlen Tina und Dolf.
Lächerliche Figuren, arme Tröpfe spielen dieses Spiel, in dem es keine Gewinner, nur Verlierer gibt. Die Macht der Gewohnheit ist der Kitt, der alle beieinander hält. Kosminski choreographiert das Aufeinanderprallen der beiden Paare wie eine Laborsituation zwischen Typenklischee und Charakter, aber immer konzentriert auf die Sprache. Alles fließt, alles zerfließt.
Sabine Fürst, Irene Kugler, Ralf Dittrich und Sven Prietz loten Sprache und Rollen mit hoch konzentriertem Einsatz aus. Und demonstrieren so, was Theresia Walser über ihre Arbeit sagt: "Alles kommt aus dem Leben und verweist wieder auf das Leben, am allermeisten das, was wir als grotesk empfinden.
(Nachtkritik)

 

„Die ganze Welt“ ist eine ausgesprochen unterhaltsame Komödie. Sprechen ist Handeln, Worte haben etwas Endgültiges, Abschließendes, und wer aufhört, zu streiten, ist schon tot. Es sind diese Momente autobiographisch verschärfter Selbstreflexion, die der „Ganzen Welt“ bei aller Luftigkeit und Lustigkeit so etwas wie einen harten existenzialistischen Kern geben. Burkhard C. Kosminski kann sich bei seiner Inszenierung daher ganz auf die Konversations- und Typenkomödie mit vier Stühlen beschränken. Das ist auch gut so.
(FAZ)

 

Ein einfaches Spiel ist das nicht für Burkhard C. Kosminski, der in Mannheim ein dezidiert auf Autoren konzentriertes Schauspiel leitet und bereits die letzten drei Stücke von Theresia Walser zur Uraufführung gebracht hat. (…)Alles in allem ist das ziemlich spartanisch und man könnte einwenden, Kosminskis uneitle Demut vor dem Text trage Züge der Selbstkasteiung. Im Gegensatz zu seiner letzten Beschäftigung mit Theresia Walser, der misslungenen Uraufführung von „Herrenbestatter“, überzeugt sein karger Stil dieses Mal  aber schon alleine deshalb, weil Irene Kugler aus der Regina eine schön sarkastische Bittermandel und Ralf Dittrich aus dem Richard einen abgebrühten Wohnzimmer-Existenzialisten machen.
(Süddeutsche Zeitung)

 

Ein prachtvolles Stück Literatur voller Lebensklugheit und sarkastischem Witz - eines der besten neuen Dramen der jüngeren Zeit überhaupt. Und die Mannheimer schnipsen es unprätentiös, beiläufig, lässig als wohlkalkulierten Dialog-Pingpong in anderthalb Stunden über die Rampe. Ralf Dittrich ist ein abwartend kühler, stets mit scharfem Timing zuschlagender Richard, Irene Kugler eine stattliche, ganz auf ihre weibliche Intuition vertrauende Regina. Sabine Fürst als das geziertes Blondchen Tina und Sven Prietz als ihr geschmeidiger Ehemann Dolf erweisen sich ihnen gegenüber denn auch bald schon als die hoffnungslos Unterlegenen. Doch die vermeintlichen Sieger, so wird in Mannheim mit böser Zuspitzung deutlich, sind auch nichts als traurige Verlierer. Was dem Zuschauer für den Nachhauseweg noch reichlich Diskussionsstoff bietet.
(Wiesbadener Tagblatt)

 

Zum vierten Mal hat Theresia Walser im Auftrag des Mannheimer Nationaltheaters ein Stück geschrieben, diesmal gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Karl-Heinz Ott. Auch das Stück mit dem Titel „Die ganze Welt“ ist eine Paar-Angelegenheit, eine Beziehungskrisengeschichte, komisch und ein bisschen tragisch wie meist bei Walser. Der Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski hält in seiner Inszenierung beide Teile schön in der Schwebe und hat mit Irene Kugler und Ralf Dittrich zwei exzellente Hauptdarsteller. Kosminski inszeniert den Abend der ehelichen Grausamkeiten als kühles Ritual, konzentriert sich ganz auf die Figuren, auf den knappen Witz der Dialoge, lässt das Nichtgesagte mitschwingen, all das verschüttete Begehren, Bedauern, Beklagen.
(Die Rheinpfalz)

 

In Theresia Walsers und Karl-Heinz Otts Vierpersonenstück „Die ganze Welt“ bringen die beiden von nebenan, obendrüber oder untendrunter die ganze Welt des Selbstbetrugs durcheinander. Bald schon geht es drunter und drüber in dieser Zimmerschlacht, die dem Muster von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ folgt. Ein Remake, das den Vergleich mit dem Klassiker der Moderne nicht zu scheuen braucht, weil das Gespann Walser/Ott im Verein mit dem regieführenden Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski ganz eigene Akzente setzt. Man merkt der Uraufführung an, dass hier ein eingespieltes Team am Werk war. „Die ganze Welt“ ist bereits die vierte Auftragsarbeit, die Theresia Walser für das Nationaltheater geschrieben hat.
(Rhein-Neckar-Zeitung)

 

Kosminski hat keine existenzielle, alles zerfetzende Zimmerschlacht veranstaltet, sondern klug und mild gesonnen im Seelenwirrwarr der Figuren herumgerührt. Manchmal sogar mit dem Schneebesen.
(Mannheimer Morgen)

 

Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski vertraut auch diesmal allein der von Bonmots, geschliffenen Sottisen und der Lust am zugespitzten Schlagabtausch sprühenden, gleichzeitig immer wieder wunderbar beiläufig in den sanften Wahnsinn des Absurden kippenden Sprache von "Die ganze Welt" – und er setzt auf ein virtuoses Schauspielerquartett.
(Badische Zeitung)