Roland Schimmelpfennig

Das große Feuer


Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Musik:
Hans Platzgumer / Antonio Vivaldi
Orchesterleitung: Cosette Valdés
Orchesterarrangements: Himmelfahrt Scores
Choreographie: Jean Sasportes
Künstlerische Beratung der Sandkunst: Frauke Menger
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux

Uraufführung
am 22. Januar 2017

Schauspielhaus, Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Nicole Heesters
Reinhard Mahlberg
Sabine Fürst
Julius Forster
Ragna Pitoll
Sven Prietz
Hannah Müller
Klaus Rodewald

Mitglieder des Nationaltheaterorchesters
1. Violine: Philipp von Pichowski

 


Pressestimmen:



Flugsand im Wind der Zeit
Papier, Papier: eine ganze Bühne voll weißer Papierbahnen. An den Wänden, an der Decke, am Boden. Selbst der Vorhang ist aus Papier. Das Papier verweist auf das Experiment, eine märchenhafte Erzählung zu spielen: Hier wird weniger direkt agiert als berichtet, dass gehandelt wird. Hier wird meist nicht dialogisch gesprochen, sondern auch erzählt, dass jemand etwas gesagt hat. Statt unmittelbarer Dramatik ein Narrativ à la Gebrüder Grimm.

Klangvolle Sprache, von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" untermalt
Roland Schimmelpfennigs neues Stück "Das große Feuer", eine Auftragsarbeit des Mannheimer Nationaltheaters, brilliert zuerst einmal durch die klare, klassisch bildhafte Sprache. Dann das dringliche Thema: Ob Genmanipulation oder Atomkatastrophe: Schimmelpfennig verhandelt oft brennende Menschheitsprobleme auf der Bühne. Ein Beitrag zur momentanen Flüchtlingskrise ist da nur folgerichtig. Und das alles ganz ohne den üblichen, aufgeregten Sozialrealismus. Es ist das richtige Stück am richtigen Ort. Mannheim hatte im vergangenen Jahr 15 000 Asylsuchende auf einmal in ehemaligen Kasernen zu beherbergen.
Als Vorleserin schreitet Nicole Heesters, die Grand Dame des Theaters, durch die Szenen eines ganzen Jahreskreises. Sie erzählt mit wohltemperierter Stimme, souverän und eindringlich von guten und von schlechten Tagen, von denen, die im Wohlstand angenehm leben, und denen, die vom Pech verfolgt sind. Der von Mitgliedern des Nationaltheaterorchesters gespielte Soundtrack ist entsprechend: Ein Arrangement von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" begleitet die von mal zu mal fesselndere, in sich stimmige Erzählstunde.

Ein Boot im tosenden Meer
Zu Beginn erscheint am Vorhang eine Overhead-Projektion. Ein Künstler, Sven Prietz, streut Sand auf die Fläche des Apparats. Er illustriert die Erzählung mit flinken Fingern, zeichnet einen Bach, zwei Ufer, Menschen hier wie dort, den Einbruch von Naturgewalten, schließlich ein zerbrechliches Boot im tosenden Meer und eine Glocke der Hoffnung – oder eine Totenglocke. Alles nur Flugsand im Wind der Zeit, ein flüchtiger, melancholisch berührender Augenblick. Es scheint anfangs alles so harmlos in diesem konsequentesten aller Erzählstücke Schimmelpfennigs. Wären da nicht die kleinen Anzeichen einer heraufziehenden Katastrophe: Zwei Dörfer, durch einen Bach getrennt. Sonnenschein und Hummelgesumm. Die einen betreiben Weinbau, die anderen Viehzucht. Der Glockenschlag der einen Dorfkirche hinkt etwas dem der anderen nach. Es gibt halt doch zwei Zeiten. Ein Kind ertrinkt im Bach. Zwei Liebende finden zueinander, versuchen vergeblich, mit der Macht der Liebe Unüberbrückbares zu überwinden.

Eine Parabel vom gesegneten und vom verfluchten Leben
Weil zwei Köter sich in die Wolle bekommen haben, zerschellt im Getümmel ein Weinfass. Feindschaften entstehen. Die kleine Brücke über das Bächlein wird gesperrt. Eine Naturkatstrophe sucht die Region heim. Das Wasser wird zum trennenden Strom. Die Viehbauern erleiden Dürre, Überschwemmung und Seuchen. Den Weinbauern geht es gut. Sie investieren und werden noch reicher. Als im Unglücksdorf auch noch Feuer ausbricht, besteigen die bedrohten Menschen Boote – vergeblich. Die Flüchtenden kommen nicht hinüber ans rettende Ufer. Es ist nicht mehr erreichbar, sie rudern aufs offene Meer hinaus. Hilflosigkeit ist die prägende Erfahrung dieses Schicksalsdramas. "Das große Feuer" ist eine Parabel vom gesegneten und vom verfluchten Leben.

Schauspiel-Intendant Burkhard C. Kosminski als Regisseur und Schimmelpfennig als Autor: Sie sind ein eingespieltes, kongenial arbeitendes Team. Sie können Geschichten so erzählen, wie es eben nur das Theater kann: poetisch, unaufgeregt, direkt, mit starken, expressiven Bildern. Das haben sie bereits vor einem Jahr bei der deutschen Erstaufführung des Stücks "An und Aus" bewiesen, einer Geschichte vom Menschlich-allzu-Menschlichen vor dem Hintergrund des Atomunfalls in Fukushima. Für das Publikum wird die neue Produktion freilich ein wenig zum Dejà-vu. Die Bühnenästhetik von damals findet sich im neuen Stück teilweise wieder. Bühnengestalter Florian Etti reizt seine Idee, mit Papier Traumspielwelten zu schaffen, erneut intensiv und bildmächtig aus. Balletteske Tableaus, romantische Bildfolgen Kosminski hat sich für seine Produktion wieder einen Choreographen, den Pina-Bausch-Tänzer Jean Sasportes, geholt. So entstehen einfache, naive Figurenkonstellationen, balletteske Tableaus, romantische bewegte Bildfolgen, etwa wenn die Dörfler im Nebel ihrer Irrungen mit weißen Lampions ihren Tanz der vergeblichen Suche nach Orientierung aufführen.
Die Moral der Geschichte könnte sein: Die Welt ist ein Dorf. Die neuen Probleme sind die alten. Und wenn wir nicht werden wie die Kinder, können wir diese Welt nicht mehr verstehen. Schimmelpfennig und Kosminski beweisen mit eindringlicher Leichtigkeit, dass das Theater noch etwas mitzureden hat bei der Deutung dieser Welt. Am Anfang war schließlich das Märchen. Das Ende kann auch nur als ein Märchenstoff im kollektiven Bewusstsein fassbar sein.
(nachtkritik.de, 22.01.2017)


Packend
Am Schluss von Roland Schimmelpfennigs Weltuntergangsstück "Das große Feuer" fahren Flüchtlinge auf der Suche nach einem besseren Leben aufs Meer hinaus. Die Zerstörungswut eines Großbrands hat ihnen die Heimat geraubt. Doch die Flammen und das Rettungsboot: Der Zuschauer im Nationaltheater Mannheim sieht sie nur in seinem Kopf. Auf der kargen Bühne liegen lediglich die Fetzen der Papierkulisse, die zeigen: Die Welt ist kaputt. Menschen stehen am Ende - oder am Anfang?
Das Premierenpublikum belohnte die Inszenierung von Intendant Burkhard C. Kosminski mit viel Applaus. Erzählt wird die Geschichte von zwei Dörfern, die anfangs nur ein schmaler Bach trennt. Nach einem eigentlich harmlosen Streit entfremden sich die Bewohner. Ein Dorf bringt es zu Wohlstand, das andere wird von Krankheit, Hunger und Katastrophen heimgesucht. Am Ende trennen beide Orte ein ganzes Meer sowie ein Zaun und massive gegenseitige Ablehnung. Dennoch machen sich die verzweifelten Menschen im Boot auf den Weg. Ob sie ankommen und aufgenommen werden, bleibt offen.

Kosminski steckt die Darsteller in Bauernkleider, die an den "Jahreszyklus" (1565) des Malers Pieter Bruegel erinnern. "Die Kostüme schaffen zeitliche Distanz", sagt der 55-Jährige. Aufzeigen will Kosminski auch die bitteren Folgen der Globalisierung. "Schimmelpfennig verdichtet die globalisierte Welt zu einer Dorfgeschichte. Nichts ist mehr gerecht verteilt", meint er. Das Stück gibt auch den Blick frei auf eine mögliche EU nach dem Brexit. Daneben beschäftigt Kosminski etwas anderes: Er sieht in der Gesellschaft eine zunehmende Entfernung vom christlich-humanistischen Weltbild. Wenige Tage nach Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump ist "Das große Feuer" an diesem Sonntagabend auch eine Kritik an jenen, die Patriotismus sagen - aber Chauvinismus meinen. Man muss nicht lange suchen, um auch Parallelen zu erkennen zur aktuellen Flüchtlingsdiskussion. Aber darauf will Kosminski die Inszenierung nicht verkürzt wissen. Dabei ist das gerade in Mannheim Alltagsgespräch. Die Stadt hat leerstehende Kasernen und wurde zum Erstaufnahmeort für ganz Baden-Württemberg, sie nahm mehr Menschen auf als die Landeshauptstadt Stuttgart. In Mannheim waren zeitweise bis zu 12 000 Flüchtlinge untergebracht. Bei manchem Bewohner der Stadt führte dies zu diffusen Ängsten. Kombiniert mit niedriger Beteiligung und Protestwählern verhalf dies etwa der AfD in Mannheim zu einem ihrer beiden Direktmandate bei der Landtagswahl 2016. "Das große Feuer" verzichtet auf eine konkrete Anklage.

In typischer Schimmelpfennig-Manier wenden sich die Schauspieler immer wieder ans Publikum und schaffen damit Distanz zur eigenen Rolle. Besonders Nicole Heesters (79) beeindruckt in ihrem ersten Gastspiel in Mannheim seit sechs Jahren. "Das Stück mutet wie ein Märchen an, steckt aber voller subtiler Katastrophen", hatte die Tochter von Johannes Heesters vorab gesagt. Im schwarzen Gehrock gibt sie die Erzählerin, die doch immer wieder am Geschehen teilnimmt. Schimmelpfennig (49), der zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatikern Deutschlands zählt, will mit seinem Gedankenspiel auch zeigen, wie globales Einander-Nicht-Verstehen und die Unfähigkeit, einander zuzuhören, in Gewalt münden können. Untermalt wird das Stück von Musikern des Nationaltheater-Orchesters, die während der rund 90-minütigen Aufführung Teile von Antonio Vivaldis süffigen "Vier Jahreszeiten" spielen. Nach etwas zögerlichem Beginn wird das schwierige und kontrastreiche Stück mit Begeisterung aufgenommen.
(www.zeitonline.de, 23. Januar 2017)


Wenn Nachbarn zu sehr hassen
„Die Welt ist aus den Fugen“, heißt es in Shakespeares „Hamlet“. In der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „Das große Feuer“ wird diese Welt zerfetzt und zerknäult, zerschnitten und zerrupft. Die langen Papierbahnen und -flächen, mit denen Florian Etti das Schauspielhaus des Nationaltheaters Mannheim ausgestattet hat, bilden immer wieder neue, assoziationsstarke Fantasieräume für dieses moderne Märchen über Konflikte zwischen Arm und Reich. Zwischen einer selbstgefälligen Gemeinschaft und Migranten in Not. Zwischen Erster und Dritter Welt. Schimmelpfennig ließ sich für sein drittes Auftragswerk, das er für die Mannheimer schrieb, einen Mikrokosmos aus zwei Dörfern einfallen, getrennt sind sie nur durch einen schmalen Bach. Dies ermöglicht ein Hüben und Drüben, das von immer schlimmeren Kontrasten aufgerieben wird. Während die einen unter besten klimatischen Bedingungen immer mehr prosperieren, werden die Bewohner am anderen Ufer des Bachs von lauter Schicksalsschlägen gebeutelt. In der Abfolge der vier Jahreszeiten folgen Dürrekatastrophe, Missernte, eine verheerende Fieberepidemie, Hungersnot, Kälte und ein Großbrand aufeinander. Hier das Glück, da die Not. Das schürt den nachbarschaftlichen Hass. Aus Angst vor Ansteckung wird erst die verbindende Brücke zwischen den Dörfern dichtgemacht, dann schwillt der Bach zu einem breiten Strom, schließlich zu einem unüberwindlichen Meer, auf dem das Flüchtlingsboot der Erniedrigten und Beleidigten zum Totenschiff wird. Nicht einmal die Liebe hat hier eine Chance. Das junge Paar, das sich anfangs trotz der verfeindeten Dörfler (wie in „Romeo und Julia“) findet, ist am Ende des gut 100-minütigen Theaterabends für immer getrennt.

Roland Schimmelpfennig verleugnet diesmal den Dramatiker in sich und wird zum Erzähler einer klaren, übersichtlichen Parabel, die in einer unbestimmten Zeit spielt. Nur mit ihren Kostümen, die von Genregrenzen eines Franz Defregger inspiriert sein könnten, suggeriert Lydia Kirchleitner, dass die Döfler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen könnten. Doch deren Probleme sind brennend aktuell. Der Mannheimer Schauspiel-Intendant Burkhard C. Kosminski ist ein Routinier des zeitgenössischen Theaters und lauscht dem märchenhaft-poetischen Text viele Nuancen ab. Zwischen den Papierbahnen wird das Geschehen mehr erzählt denn gespielt, allen voran von Nicole Heesters, der Grande Dame des achtköpfigen Ensembles, zu dem noch Sabine Fürst, Julius Forster, Reinhard Mahlberg, Hannah Müller, Ragna Pitoll, Klaus Rodewald und Sven Prietz gehören. Letzterer lässt den Abend mit einem rein optischen Präludium beginnen, indem er die ganze Geschichte als Sandmaler auf einem Overheadprojektor entstehen lässt. Er streut, wischt mit den Händen und zeichnet im Sand, sodass der immer breiter werdende Bach oder die traurigen Gesichter des für immer getrennten Liebespaars vor unseren Augen entstehen. Alles riesig vergrößert und auf eine bühnenhohe Papierwand projiziert. Genauso stimmungs- und wirkungsvoll lassen zehn Mitglieder des Nationaltheater-Orchesters Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu den jahreszeitlich abfolgenden Katastrophen erklingen, wobei Hans Platzgumer gelegentlich mit eigenen Soundeffekten impressionistisch dagegensteuert. Der märchenhafte Ton hat stets etwas Schwebendes, Leichtes. Obwohl der Plot simpel gestrickt zu sein scheint, erzählt „Das große Feuer“ viel von den Gefahren sozialer Kälte, populistischer Ausgrenzung oder eines präsidial verordneten Egoismus´, der mit Parolen wie „American first“ durch die Weltgeschichte zu poltern beginnt. Dass all dies in Schimmelpfennigs Text enthalten ist, macht seinen großen Wert aus.
(Rhein-Neckar-Zeitung, 24.01.2017)



Die Welt ist ein Dorf
Zum vierten Mal bringt der Mannheimer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski ein Stück von Roland Schimmelpfennig auf die Bühne des Nationaltheaters. Deutschlands meist gespielter Gegenwartsdramatiker beschäftigt sich in „Das große Feuer“ mit der Flüchtlingsproblematik, aber in seiner Darstellung setzt er wie gewohnt auf Poesie statt Politik. Und der Regisseur findet bei der Uraufführung dafür die kongeniale Form.
Woher kommt die Ungleichheit zwischen den Menschen? Warum leben die einen in Wohlstand und die anderen müssen ums Überleben kämpfen? Und was sollen diejenigen, denen es gut geht, tun, wenn die anderen, die weniger Glück hatten, vor ihrer Tür stehen und um Einlass bitten? In seinem neuen Stück stellt Schimmelpfennig ziemlich einfache Fragen. Die Flüchtlingskrise ist für ihn keine komplexe Problematik, bei der globalisierte Zusammenhänge, wirtschaftliche und politische Interessen, Krieg und Bürgerkrieg eine Rolle spielen. Für Schimmelpfennig ist die große Welt ein kleines Dorf, in dem jeder seinen Platz hat und alle glücklich sein könnten, wenn es denn immerzu gerecht zuginge. Genauer gesagt sind es zwei Dörfer, an deren gleichnishafter Geschichte uns hier die Welt erklärt wird. Die Dörfer liegen in einem fruchtbaren Tal, diesseits und jenseits eines Bachs „aneinander geschmiegt, ganz ewig wie die Zwillinge im Bauch der Mutter“. Die Geschichte beginnt in einem idyllischen Frühling, der nur durch einen Wirtshausstreit zwischen den beiden reichsten Männern im Tal, dem Winzer und dem Viehwirt, ein wenig getrübt wird. Aber dann folgt ein heißer Sommer, der dem Winzer einen Jahrhundertwein und dem Viehwirt eine verheerende Trockenheit beschert. Und als endlich Regen kommt, ist es ein Unwetter, das Zerstörung, Überschwemmung und eine Epidemie mit sich bringt. Und immer ist es nur das „Ochsenufer“, das den Schaden hat, während das „Traubenufer“ verschont bleibt. So vermehren sich Glück und Wohlstand auf der einen Seite und Leid und Not auf der anderen. Der Herbst bringt noch einmal eine magische Nacht, ein „Nebelwolkenhimmelreich“, in dem alle Unterschiede aufgehoben scheinen. Aber dann kommt ein kalter Winter und im nächsten Frühjahr ein verheerendes Feuer, das den Menschen auf dem „Ochsenufer“ endgültig alle Lebensgrundlage nimmt. Der Bach ist da längst zu einem breiten Strom geworden, die kleine Holzbrücke weggerissen, die Menschen, die ein Jahr zuvor noch Nachbarn und Freunde waren, weit voneinander entfernt, als lebten sie auf verschiedenen Kontinenten. Am Ende besteigen die verzweifelten Menschen, denen alles genommen wurde, ein überfülltes Boot und hoffen auf ein rettendes Ufer auf der besseren Seite der Welt.

Wie in seinen vorhergehenden Stücken, „Das schwarze Wasser“ und „An und Aus“, die in Mannheim zu sehen waren, wählt Schimmelpfennig die Form eines Erzähltheaters ohne klare Rollen und Dialoge. Es ist ein märchenhafter, manchmal fast biblischer Ton, den er dabei anschlägt, eine naiv anmutende Erzählhaltung, die jeden politisch-aktuellen Bezug unterlaufen will und auf die Grundfragen menschlichen Daseins zielt. Bei unserer Debatte über Flüchtlingskontingente, Obergrenzen und Rückführungsquoten mag uns dies daran erinnern, dass jenseits von Asylgesetzen die simple menschliche Solidarität unser Handeln leiten sollte. Wenn es dann aber um die Lösung der Probleme geht, muss dann doch ein wenig komplexer gedacht werden.
Kosminski nimmt das Stück, wie es ist, will in keinem Moment klüger, tiefsinniger oder politischer sein als sein Autor. Und er findet die perfekte Form, diesen poetischen Text in seiner gleichnishaften Simplizität zu belassen. Der Gang der Geschichte durch die vier Jahreszeiten brachte die Idee, das Geschehen von einem Liveensemble und Vivaldis gleichnamigen Stück begleiten und gliedern zu lassen. Inspiration kam außerdem von dem niederländischen Maler Pieter Bruegel, der in seinen vor Menschen nur so wimmelnden Gemälden das alltägliche Leben im Brabant des 16. Jahrhunderts ebenfalls quer durch die Jahreszeiten festgehalten hat. Lydia Kirchleitner hat ihre Kostümidee hier abgeleitet, und der Regisseur eine Szene mit Schlittschuhläufern auf dem zugefrorenen Bach. Solche putzig-naturalistischen Bruchstücke sind allerdings in dem von Florian Etti aus bühnenhohen weißen Papierbahnen gebauten Raum in einen gänzlich abstrakten Kontext gestellt. Zu Beginn ist die Bühnenwelt von heiler Unschuld, ein geschlossener Kubus. Mit jeder neuen Katastrophe fallen dann Wände um, segelt die Decke herab, werden am Ende die verbliebenen Papierbahnen von den Darstellern herabgezerrt und zerrissen als eindringliches Bild des alles zerstörenden Feuers. Lediglich acht Schauspieler vollbringen dieses optische Wunderwerk, sind Bühnengestalter, Geräuschemacher und eilen im fliegenden Wechsel durch das bunte Figurenarsenal. Sabine Fürst, Hannah Müller, Ragna Pitoll, Sven Prietz, Klaus Rodewald, Julius Forster und Reinhard Mahlberg machen das ganz großartig, und mitten drin die 79-jährige Nicole Heesters, nach sechs Jahren und einer unvergessenen Bernarda Alba wieder als Gast in Mannheim. Den Stücktext hält sie wie ein altes Märchenbuch unterm Arm, schaut immer wieder ungläubig hinein in diese dunkle Geschichte, die von zwei kleinen Dörfern erzählt und doch die ganze Menschheit meint.
(Die Rheinpfalz, 24.01.2017)


Zauberhafte Bilderwelten
Burkhard Kosminski, Mannheims Schauspiel-Chef, lässt den Abend wie eine Art gemütliches Bauerntheater kostümieren; und Florian Etti setzt den ganzen Zauber des Papiertheaters ein. Himmel, Erde, Wände – alles ist weiß; und in den großen Papierbogen am Bühnenboden lässt sich der Fluss hinein schneiden; immer weiter rückt das Land dann auseinander…
Die Bilderwelten dieser Uraufführung sind Zauber pur.
(Deutschlandradio Kultur, 24.01.2017)


Ein Theater wie aus Sand und Papier. Von Klängen umspült und poetisch hingehaucht. Leicht. Flüchtig. Vergänglich.
(Deutschlandfunk, 22.01.2017)


Offene Türen in die Gegenwart
Neue Stücke von Roland Schimmelpfennig und Clemens J. Setz in Mannheim Das Nationaltheater Mannheim zeigt zwei neue, klug inszenierte, erzählerisch ausgerichtete und ins Herz der Gegenwart zielende Theaterstücke renommierter deutschsprachiger Autoren.
(Frankfurter Rundschau, 24.02.2017)


Als Diskussionsbeitrag zu der Flüchtlingssituation und den Folgen der Globalisierung hat das Nationaltheater Mannheim das Stück „Das große Feuer“ von Roland Schimmelpfennig uraufgeführt. Das Premierenpublikum zeigte sich am Sonntag begeistert von der Inszenierung des Intendanten Burkhard C. Kosminski. Besonders die Schauspielerin Nicole Heesters (79) beeindruckte in ihrer ersten Gastrolle in dem Haus seit sechs Jahren.
(Stuttgarter Zeitung, 24.01.2017)


Fantasievoll inszeniert, eindringlich gespielt
(Echo online, 26.01.2017)