Arthur Miller

Tod eines Handlungsreisenden

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme: Ute Lindenberg
Musik: Matthias Schneider-Hollek

Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Stefanie Gottfried

Premiere am 20. Oktober 2006
Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Willy Loman: Reinhard Mahlberg
Linda: Claudia Kaske
Biff: Tim Egloff
Happy: Simon Zagermann
Bernard: Sven Prietz
Eine Frau: Hannah von Peinen
Onkel Ben: Ralf Dittrich
Charley: Jacques Malan
Howard: Thorsten Danner

 

 


Pressestimmen:

„Ich glaube, ein Autor sollte sich nicht ins Exotische, Bizarre, Abnorme verlieren, sondern versuchen, das Menschenleben zu verstehen, wie es einmal ist." Ein Satz, mit dem der im vergangenen Jahr gestorbene amerikanische Dramatiker Arthur Miller ganz tief in den Kern seines Werks vorgedrungen ist - vor allem in das 1949 uraufgeführte Arbeitslosen-Stück „Tod eines Handlungsreisenden". Burkhard C. Kosminski, der Amerika-Spezialist und neue Mannheimer Schau­spieldirektor, hat es jetzt auf die Bühne des Nationaltheaters gebracht. Wie Mil­ler interessiert sich auch Kosminski nicht fürs Exotische und Abnorme, sondern sucht nach den sehr viel brennenderen Dramen des Alltäglichen und Normalen.
Die amerikanische Illusion, dass jeder, seines Glückes Schmied sein könne, wenn er es nur wolle, zerplatzt im „Tod ei­nes Handlungsreisenden" wie eine Seifen­blase. Willy Loman, der kleine Hand­lungsreisende, hängt sein Arbeitsleben lang diesen Illusionen nach. Er täuscht sich selbst und seine Familie, träumt von beruflichen Erfolgen, ist aber innerlich ausgebrannt und muss miterleben, dass es nicht einmal seine beiden Söhne Biff und Happy zu etwas bringen werden. Nach 34 Jahren im Dienst einer Firma wird Willy vom jung-dynamischen Chef Howard (kaltschnäuzig, wie er sein muss: Thorsten Danner) auf die Straße gesetzt. Um wenigstens seiner Familie das Aus­kommen mit der angesparten Lebensver­sicherung zu ermöglichen, rast Willy mit seinem Auto in den Tod. Ob der Versiche­rungsbetrug funktioniert, lässt Arthur Miller indes offen.
Willys Frau Linda (ständig in nervö­ser Anspannung: Claudia Kaske) ist im fi­nalen Requiem nicht in der Lage, um ih­ren Mann zu trauern. Zu leer ist auch ihr Leben, Tränen haben in ihr keinen Platz. Burkhard C. Kosminski zeigt dieses Re­quiem gleich zu Beginn der Aufführung. So bestimmt die innere Leere, von der das Stück handelt, die konzentrierte Re­giearbeit von Anfang an. Sogar die spärli­che Möblierung des sachlich gehaltenen Bühnenbilds von Florian Etti korrespon­diert mit den seelischen Blanks der Figu­ren.
Lange wurden die Stücke von Tennes­see Williams und Arthur Miller auf unse­ren Bühnen verschmäht, doch auf einmal sind sie wieder up to date. Um das zu be­weisen, greift Burkhard C. Kosminski kei­neswegs tief in die Aktualisierungstrickkiste. Das ist auch gar nicht nötig. Keiner der Schauspieler muss während der Auf­führung von BenQ, von Siemens, den Mas­senfreisetzungen bei der Telekom und den Schattenseiten des Globalisierungsprozesses reden, um Willy Loman und die Seinen als schicksalsgebeutelte Jedermänner und -frauen unserer Tage zu identifi­zieren.
Reinhard Mahlberg spielt diesen Pro­totypen des Losers, an dem die wirtschaft­liche Entwicklung vorbeirast. Da steht er nun und kann nichts anderes tun als von einem besseren Leben zu träumen. Klei­ne Fluchten erlaubt er sich beim Seiten­sprung mit einer feschen Schlampe (Han­nah von Feinen), die sich für ein paar Ny­lons prostituiert.
Doch als Loman und sein Betthupferl von Biff ertappt werden, bricht auch für den Sohn die Well zusammen. Er schmeißt die Schulausbildung, weil er im Betrug des Vaters mehr erkennt als nur ein vordergründiges erotisches Narkoti­kum. Für Biff ist das eine Lebenslüge schlechthin - so verlogen wie die ganze Existenz des handlungsreisenden Famili­envaters.
Tim Egloff lebt die innere Zerrissen­heit Biffs mit den Mitteln von Wut und Verzweiflung aus und wird dafür vom Pu­blikum lautstark gefeiert. Dass Simon Za­germann in der Rolle des Bruders Happy nicht ganz so viel Applaus erhält, liegt weniger am Schauspieler selbst, sondern daran, dass Miller dieser Figur kein ganz so differenziertes Profil gegeben hat.
Die uramerikanische Illusion, dass je­der, der mit Energie daran arbeitet, Er­folg haben kann, gaukelt Willys längst ge­storbener Onkel Ben vor: ein Selfmade­man, der in der Wildnis von Alaska Geld wie Heu gemacht hat. Dieser reiche On­kel ist ein Hirngespinst Willys, und genau so spielt ihn Ralf Dittrich auch - unnah­bar lächelnd. Genauso unnahbar wie die immer wieder im Bühnenhintergrund projizierten Wunschträume und inneren Mo­nologe der Figuren sowie die ebenfalls projizierten Fotos, die zu Ikonen des american way of life geworden sind. In schnel­ler Folge werden da Bilder von der Mond­landung, von der Militärmaschinerie der US-Army oder von Mickey Mouse ge­zeigt. So schnell wie sie aufleuchten, ver­schwinden sie auch wieder. Sie bleiben so illusionär wie das ganze Leben Willy Lomans.
Dabei gibt es auch ein Gegenbild, Wil­lys Freund Charley (Jacques Malan) und dessen erfolgreicher Sohn Bernard (Sven Prietz) leben ihren Realitätssinn ganz pragmatisch vor, Charley greift Willy mit ein paar Dollar unter die Arme und bie­tet ihm nach der Entlassung sogar einen Job an. Vergeblich, denn Willy möchte sich nicht helfen lassen. Er will weiter die Realität ausblenden und davon träu­men, eigenverantwortlich zu handeln. Ein Traum, der ihm letztlich nur durch den eigenverantwortlichen Tod gelingt.
Insgesamt 100 nüchterne, aber den­noch sehr dichte Minuten. Gerade weil Burkhard C. Kosminski den Kontrast zwi­schen Realitätssinn und Illusionen so ge­nau akzentuiert, ist er diesem Drama des Alltäglichen und Normalen so gerecht ge­worden.

Rhein-Neckar-Zeitung

 

Mannheims Schauspielchef Burkhard C. Kosminski hat Millers Drama, in dem der nackte Terror namens Verständnis herrscht, mit einem genauen, einfühlsamen Blick für die Beziehungen zwischen den Figuren und die Motive ihres Verhaltens inszeniert.

Mannheimer Morgen

 

Aus dem Tiefkühlfach
Schauspiel: Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ in Mannheim
..“Ein Mann am Abgrund. Nach dreißig Jahren Abrackern als Handelsvertreter ist Willy Loman plötzlich arbeitslos. Arthur Millers Erfolgsstück vom „Tod eines Handlungsreisenden“ beschreibt einen hilflos seinem Scheitern ausgelieferten Kleinbürger, der nichts begreift, sich festklammert am amerikanischen Traum von Erfolg, heiler Familie, Geld und Glück. Die nun bereits dritte Mannheimer Inszenierung des neuen Schauspieldirektors Burkhard C. Kosminski erzählt die Geschichte seines unaufhaltsamen Abstiegs vom Ende her. In Videoeinspielungen sprechen Frau, Söhne, Nachbarn und Chef in flapsigem Ton über sich und ihr Verhältnis zu dem Toten. Willy Loman ist hier 50 und damit zehn Jahre jünger als Millers Bühnenfigur. Das erklärt die cholerischen Ausbrüche des traurigen Helden. Der Schauspieler Reinhard Mahlberg zeigt ihn als fülligen, immer noch irgendwie gegen sein Schicksal panisch anzappelnden Traumtänzer.
Ohne Ruhepunkte, mit drastischen Kürzungen, hat Kosminski die zentralen Konflikte herauspräpariert, nach etwa 90 von fließenden Szenenwechseln beschleunigten Minuten Spieldauer ist Schluss. Über der mit Ledersesseln, Küchenteilen und Bett möblierten Drehbühne (Florian Etti) liegt ein kaltes Licht. Alle Winkel sind ausgeleuchtet, verstecken ist unmöglich. Wie anatomische Präparate liegen die Figuren auf dem Seziertisch des Regisseurs.
Das typgenau und sauber agierende Ensemble mit Claudia Kaske als hilflos tapfer liebender Ehefrau, den beiden lebensuntüchtigen Söhnen, Simon Zagemann als Happy und dem fabelhaften Tim Egloff als Biff, kommt aus dem Tiefkühlfach nüchterner Fall-Analyse. Die wird nur dann aufgegeben, wenn die Mythen des American Way of Life – Straßenschluchten, Sternenbanner, Canyons, Disney-Kitsch, Nine-eleven – als monumentale Bildcollagen zugespielt werden. Vielleicht der einzige Weg, Millers Drama für die Gegenwart zu retten; die aktuellen Stichworte sind Hartz IV, Ausmusterung immer jüngerer älterer Mitarbeiter, Unterschichtsdebatte. …“

Darmstädter Echo