Theresia Walser
Herrenbestatter

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux

Uraufführung am 18. Dezember 2009,
Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Peter Rühring
Sven Prietz
Gabriela Badura
Anke Schubert
Jenny König
Reinhard Mahlberg
Hans Fleischmann
Ralf Dittrich

 

 


Pressestimmen:

Angestellte sind austauschbar wie Regenmäntel: "Herrenbestatter"

Die Welt der Angestellten ist voller Absurditäten. Zumal in Zeiten der Krise, wenn alle Arbeitsverhältnisse prekär werden. Mehr Einsatz und erhöhte Identifikation mit dem Unternehmen wird dann von ihnen erwartet - auch wenn der Arbeitsplatz morgen schon verloren und jede übertriebene Identifikation mit ihm eine zusätzliche psychische Bürde sein kann. Im Kampf ums berufliche Überleben sind alle Kollegen notwendige Mitstreiter, aber zugleich auch versteckte Konkurrenten. Und jeder Kunde muss nun öffentlich umso liebevoller umworben und heimlich umso gründlicher ausgenommen werden.

Diese ebenso vertraute wie bizarre Lebensnot hat Theresia Walser zum Stoff ihres neuen Stücks "Herrenbestatter" gemacht. Es ist eine Tragikomödie aus dem Milieu der Textilfachverkäufer: Lenz und Ellenbeck gehören zum Personal eines Kaufhauses, das kurz vor der Pleite steht. Der Investor, der das Unternehmen retten soll, heißt Fürth - wohl eine Anspielung auf das ruinierte Fürther Versandhaus Quelle.
Lenz ist jung und dynamisch, er kämpft noch um seinen Arbeitsplatz und memoriert eifrig die Lehrsätze aus den Fortbildungsseminaren, die aus ihm einen verkaufspsychologisch gewieften "Shoppingassistenten" machen sollten. Ellenbeck dagegen erlebt seinen letzten Arbeitstag, bevor man ihn in den Vorruhestand schickt: Er kann es sich leisten, das erniedrigende Gerangel bloßzustellen, mit dem die anderen ihre berufliche Zukunft zu sichern versuchen.

Burkhard C. Kosminski, der "Herrenbestatter" jetzt im Mannheimer Nationaltheater erstmals auf die Bühne bringt, setzt ganz auf die komischen Effekte des Stücks. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen ihm und Theresia Walser: Kosminski hat in Mannheim schon "Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm" (2006) und "Monsun im April" (2008) uraufgeführt.
Seine Entscheidung, aus "Herrenbestatter" eine zeitgemäße Insolvenz-Burleske zu machen, ist verständlich und klug. Denn die Figuren Theresia Walsers haben wenig Eigengewicht, es sind typisierte Karikaturen, deren literarisches Leben sich fast ausschließlich auf die beruflichen Sorgen beschränkt. Wollte man ihre Seelendisposition eingehender abklopfen, klänge das vermutlich ziemlich hohl.
Die Stärke der Komödie liegt eher in der illusionslosen Bestandsaufnahme: Die Kunden des Kaufhauses haben kein Geld mehr, die Angestellten keine Würde, die Manager keine zündenden Ideen - und das Unternehmen keine Zukunft. Wenn alle dennoch so tun, als seien noch irgendwelche großartigen Ziele zu erreichen, wirkt das sowohl sehr komisch als auch sehr bitter.
Dem Ensemble gelingt es, beides zugleich spüren zu lassen. Die Schauspieler denunzieren ihre Figuren nicht: Selbst hinter den grotesken Selbsttäuschungen und clownesken Hampeleien verstehen sie noch eine Portion Existenzangst zum Vorschein zu bringen. Peter Rührings Ellenbeck: ein Grandseigneur des Anzugverkaufs, der ein Leben, sein Leben zwischen Mantelabteilung und Pulloverregal führt. Aber dabei das Empfinden, dass auch dieser Berufsstand einen Rest Ehre jenseits der Umsatzzahlen bewahren muss, nie verloren hat.
Kollege Lenz dagegen, gespielt von Sven Prietz, scheint schier zu allem bereit, um sich für sein Kaufhaus unersetzbar zu machen. Er steigert sich in eine komplett haltlose, zappelnde Willfährigkeit hinein und hat dann doch mit ungläubigem Staunen zu registrieren, dass sogar seine Abteilungsleiterin ihn mit Ellenbeck verwechselt. Offenkundig ist er für sie so austauschbar wie ein Regenmantel durch den anderen. Feine, unaufdringliche Melancholie zeigt Jenny König inmitten des munteren Possenspiels: als junge Kundin, die für ihren Vater einen Anzug kaufen will - den letzten. Er soll ihn bei seiner Beerdigung tragen.

(Die Welt)


Kanariengelb

Der eine trägt schwarze Jeans mit Umschlag und schwarze Slipper, dazu einen dunkelblauen Blazer, einen gelben Wollpulli mit V-Ausschnitt, eine rote Krawatte und ein blaukariertes Hemd. Insgesamt ist das Erscheinungsbild von Herrn Lenz farblich gewagt, aber doch geschmackvoll. Man zeigt, man ist konservativ, aber mit Pep, aufgeschlossen eben und modern.
Der andere trägt einen gutsitzenden grauen Anzug, unter dem Einreiher mit Einstecktuch und Doppelschlitz befinden sich ein rosa Hemd mit weißem Kragen und eine rosa Krawatte. Herr Ellenbeck hat sich für die dezent-distinguierte Variante entschieden. Man sieht sofort, das ist der Mann der alten Schule.
Beide tragen das Jacket selbstverständlich geschlossen. Sie arbeiten in der Herrenabteilung eines Kaufhauses, bei dem die Kunden ausbleiben, das die Krise fest im Griff hat und wo der neue Investor mit dem Zugreifen zögert - ein Schnäppchenjäger oder Internethändler, wer dabei an Karstadt denkt. Auf jeden Besucher ihrer verwaisten Abteilung stürzen sich die beiden Verkäufer wie der Löwe nach Wochen des Hungers auf das Gnu, und wie das Gnu nimmt natürlich jeder sofort Reißaus. Theresia Walsers neues Stück "Herrenbestatter" zeigt nun, wie den beiden Herren die Reißzähne wachsen, auf dass sie niemanden, kein Gnu und keinen Kunden, mehr entkommen lassen.
Dabei zeigt sich dann durch den Mund von Herrn Lenz (Sven Prietz) der Irrwitz heutigen aufdringlichen Marketinggequatsches, gelernt im letzten Verkaufswochenendseminar, mit dem er fletschend die zarten Käuferpflänzchen verschreckt. Dauernd fragt er, für welche Gelegenheit die Hose sein soll, wo es doch nur eine Hose sein soll. Irgendwann lässt auch Ellenbeck (Peter Rühring), obwohl er - frühverrentet - seinen letzten Tag hat, die Zurückhaltung, Statur und Überlegenheitsgefühl beiseite, stürzt sich in den Kampf um den Kunden und haut ihm seine Konfektionsgröße wie einen Kaufbefehl um die Ohren.
Dabei wären sie so gerne gute Verkäufer, die Herren Ellenbeck und Lenz, sie würden so gerne Verkäufer mit Herz und Seele sein. Menschen, die aus ihrem Beruf, er mag so bescheiden sein, wie er will, eine eigene Weltsicht entwickeln, eine eigene Würde und Professionalität. Nur wer aus seinem Beruf ein eigenes Selbstbewusstsein entwickelt, wird ihn auch gut machen, das wissen sie ganz genau. Aber die Wirklichkeit macht es ihnen so schwer. Sie will ihnen nicht mal ihr bescheidenes Glück, ihr kleines Leben lassen.

Man weiß bei Theresia Walser nie, ob sie die Figuren, die sie zeigt, von vornherein lächerlich findet, so wie hier, oder ob sie voller Mitleid zuschaut, wie die Verhältnisse sie zu lächerlichen Figuren degradieren, wie ebenfalls hier. Man weiß nie, ob ihr sarkastisch-poetischer Witz einem grundsätzlichen Weltekel entspringt, oder einem kopfschüttelnden Unverständnis, welche Volten sich die Wirklichkeit noch für uns armselige Figuren ausgedacht hat.
Der Kunde kann zwischen Ellenbeck und Lenz eigentlich nur zerrieben werden. Hier aber ist der Kunde ein so unangenehmes Exemplar Mensch, so ein anspruchsvoller, verwöhnter Eigennutzbrocken, dass er wunderbar zwischen ihnen besteht. Er zerreisst Kleider, um sie billiger zu bekommen, oder auch aus purem Sadismus. Er fordert ein Glas Mineralwasser, als ob er in einer Bar wäre. Und er möchte trotzdem freundlich hofiert werden, wenn er sich schon überlegt, ob er etwas kauft. Der Kunde wird verkörpert durch Mutter und Sohn, hinreichend ekelhaft gespielt von Gabriela Badura und Jacques Malan.

Bis hierher ist alles wunderbar: Da hat Walser eine knallige Kaufhauskomödie geschrieben, ein Stück zur Krise. Im Krassen und Kracherten hat sie ihr Revier, Burkhard Kosminski, der Regisseur des Abends, und die Schauspieler fühlen sich hier ebenfalls wohl, in einer Gesellschaft, die nicht mal mehr das Kaufen hinbekommt. Auffallend viel Zitronen-, Kanarien- und Quietschgelb wird da dem Kunden aufgedrängt, die passend-unpassene Farbe des Stücks.
Dann aber läuft es etwas aus dem Ruder. Es kommen die Abteilungsleiterin, die natürlich eine Etagenschreckschraube ist. Der ehemalige Kollege, der Hausverbot hat, nach Kuba will und trotzdem aufsässig in der Abteilung rumhängt. Der Investor, der sich vor Ort umschauen will. Die Frau, die einen Anzug für ihren Vater will, der bestattet wird. Da zerfasert das Stück. Der Investor zappelt am Zipper eines Reißverschlusses, Ellenbeck zappelt auf der Empore, Lenz zappelt seinen Marketingsprüchen hinterher. Dazu dann auch noch Parolen, die Menschen wollen keine Freiheit, sagt der Unternehmer, sie "wollen Auto, wollen Ruhe, wollen Haus". Und Ellenbeck: Der Mensch brauche einen Kragen, keine Menschenrechte.
Von solchem Sinn- und Figurenüberschuss abgesehen bleibt in Walsers Boshaftigkeit etwas Bohrendes, hinein in Figuren, die zugleich nur Abbild der Zustände sind. Da drinnen vermischen sich Pointe, Poesie und Plattitüde zu einer sprudelnden Posse.

(Frankfurter Rundschau)


„Kosminski macht aus der Kaufhaus-Untergangs-Komödie ein fröhliches Endspiel an der Kundenfront. Die 90 Minuten machen also viel Spaß. Sven Prietz gibt den Nachwuchsverkäufer Lenz als wuseligen Torero, der mit der Modefarbe Gelb die Kundschaft reizt. Anke Schubert spielt die Abteilungsleiterin Frau Irrwein als somnambule Umsatzstrategin und Rolltreppenbeschleunigerin. Reinhard Mahlberg ist ein bauernschlau abgebrühter Investoren-Romantiker. Gabriela Badura und Jacques Malan ein von Abhängigkeit, Hass und vielen Jahren ineinander verbissenes Mutter-Sohn-Gespann im fortgeschrittenen Alter. Auch die junge Frau (Jenny König) und Herr Sims (Hans Fleischmann) sind als Kundschaft keine leichten Fälle. […] Vielleicht könnte Herr Ellenbeck ja alle retten, aber der hat ja leider seinen letzten Tag. Peter Rühring spielt diesen Herrenbekleidungs-Ritter von der traurigen Gestalt so wunderbar, dass man ihm gern noch ein Weilchen gegönnt hätte.“
(Die Rheinpfalz)

„In „Herrenbestatter“ erweist sich Theresia Walser als Matadorin des gehobenen Boulevards, indem sie zeigt, dass Untergangsstimmung und Humor genauso miteinander verwandt sind wie Unglücksraben und Spaßvögel. Der Mannheimer Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski sorgt in seiner weitgehend realistisch angelegten Inszenierung dafür, dass die schwarzhumorige Boulevard-Mechanik immer schön weiterrotiert – ganz so wie die Kaufhausdrehtür am linken Bühnenrand […]“
(Rhein-Neckar-Zeitung)

„Sprachpoesie, Humor und starke Schauspieler: Das neue Stück „Herrenbestatter“ der Dramatikerin Theresia Walser (42) ist am Freitagabend am Mannheimer Nationaltheater mit großem Beifall aufgenommen worden.“
(dpa)