Reto Finger

Kaltes Land

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Sabine Blickenstorfer
Musik: Jörg Gollasch
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux

Uraufführung am
06. Oktober 2006
Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Jakob: Edgar M. Böhlke
Kathrin: Gabriela Badura
Hanna: Nadine Schwitter
Pfarrer Hofmann: Rüdiger Hacker
Tobias: Tim Egloff
Jasmin: Isabelle Höpfner

 


Pressestimmen:

[…] Reto Finger, der frisch als Hausautor ans Nationaltheater berufen wurde […] Sein Stück „Kaltes Land“ erzählt eine Geschichte von holzschnitthafter Archaik. Ein junges Mädchen, Hanna, flieht von der Alm ihrer Eltern, als sie erfährt, dass ihr Vater ihren Bruder mit seinen verkorksten Vorstellungen von Mut und Männlichkeit in den Tod getrieben hat, wird aber von dem jungen Burschen, der sie in den modernen Alltag gelockt hat, brüsk zurückgestoßen, und auf dem Weg zurück in die heimische Enge erschlägt sie den Pfarrer, der ihr in all den Jahren stets ein bisschen zu nahe gewesen war, mit der Axt.
Einzige Requisiten in Kosminskis aufwühlender Inszenierung, zu der das Publikum auf der Bühne des Kleinen Hauses Platz nehmen muss, sind ein Dutzend Baumscheiben, die an ketten vom Schnürboden hängen. Kein Bauernstuben-Muff, auch keine Gegenwelt aus besprayten Wänden und Vorstadt-Tristesse – das Ensemble behauptet seine Figuren gegen die lieblos technische Anmutung nackter Hubpodien. Edgar M. Böhlke ist ein bedrängend herrischer Vater, Rüdiger Hacker ein zwischen Berechnung und echtem Mitgefühl zerrissener Pfarrer, Nadine Schwitter eine anrührende, unvermittelt von bellender Vorwärtsverteidigung in schreckliche Hilflosigkeit abstürzende Hanna.
Das große Erzähltheater, das man sich von Kosminski erhofft – hier ist es zum Greifen nahe […]

Wiesbadener Tagblatt / Allgemeine Zeitung Mainz

 

[…] Der junge Schweizer Dramatiker Reto Finger hat mit Kaltes Land ein bemerkenswertes Stück geschrieben. Angesiedelt in einem Bergtal scheint es die gute alte Volkstheatertradition mit Realismus, Volksnähe und schwergewichtigen Themen weiterzuschreiben. Der Melchior, Melk genannt, ist in der „Chindlifluh“, das ist eine steile Felswand, umgekommen. Seitdem nennt der Vater seine Tochter Hanna „Bub“ und schaut, dass sie dem Pfarrer beim „Eindecken“ der Gräber für den Winter hilft. Der Pfarrer sucht große, vielleicht zu große Nähe zu Hanna. Und Hanna möchte mit Tobias, dem jungen Mann, den es zufällig mit Jasmin in das Tal verschlägt, in die Stadt flüchten. Dazu bringt die Lisa, Hannas Lieblingskuh, ein totes Kalb zur Welt.
Zwischen den Bergen und Figuren steht dabei groß die Frage: Wer ist schuld am Tod des Bruders? Ist jemand schuld? Hat ihn der Vater in den Tod getrieben? War es des Bruders Traurigkeit? Und was weiß der Pfarrer? Eindeutige Antwort gibt es keine, dafür hat Reto Finger die Wucht und Bedeutung solcher Fragen klar herausgearbeitet […] Das ist kein neues Volkstheater, sondern neue Archaik […]

Frankfurter Rundschau

 

Rückschau: Baden-Württembergische Theatertage in Konstanz
„..Eine Sprache, die die Sprachlosigkeit verewigt.
Es handelt in den Schweizer Bergen, spielt auf unüberwindlich archaische über- wie unmenschliche Seinstrukturen an, in welchen der Bauer, vom Vieh lebend, diesem nicht ferner steht als der Tochter. Diese, seit Kindertagen vom Pfarrer missbraucht, von den Eltern unverstanden, übt grausame Rache und sthet am Ende wie verwandelt und als Mörderin da – ein stummes, blitüberströmtes Rätsel. Denn die Sprache des jungen Autors Reto Finger verewigt die Sprachlosigkeit der Figuren mehr, als dass er aus dieser herausführte, um uns zu verkünden, woher das Schicksal diese eiseren Notwendigkeit hin zur „schlimmstmöglichen Wendung“ (Dürrenmatt), sprich zur Katastrophe, nahm. Finger hat für seinen tragischen Gedanken keinen Begriff. Diese Tragik ist mit sparsamen, aber ausdrucksstarken, schier überdehnten Gebärden und Gesten ins übermenschlich Große gestochen scharf gezeichnet.
Regisseur Burkhard C. Kosminski tritt hinter seine das Publikum erschütternde Schauspieler zurück und beschränkt sich auf das Wesentliche, das magisch-beredte Schweigen dieser Uraufführung. Es ist gewiss ungerecht, eine Einzelleistung hervorzuheben, doch kennt das ungerechte Drama eben eine Hauptdarstellerin, die Hanna, die Nadine Schwitter mit einer Naivität und Echtheit auf die Bretter bringt, dass sie uns unvergesslich bleibt und sich dringend als nächste Johanna von Orleans empfiehlt. Dieser Abend gehörte zu den Entdeckungen und Höhepunkten des Theatertreffens…“

Badische Zeitung

 

„… „Kaltes Land“ des  Schweizer Dramatikers Reto Finger geriet zu einer unvorhergesehenen Sensation der Konstanzer Theatertage. … Was die sechs Schauspieler, die das Stück unter der Regie von Burkhard C. Kosminski erarbeitet hatten, ohne Bühnenbild an Theater boten, war in jeder Hinsicht bemerkenswert und Ausdruck dafür, welche Kraft eine Regie entwickeln kann, die ganz auf die Schauspieler fokussiert….“

Thurgauer Zeitung

 

Ein Stuhl bleibt leer
Kaltes Land: eine unvorhergesehene Sensation –
Nationaltheater Mannheim überzeugt ohne Bühnenbild
„…Wer am Feiertag (trotzdem) gekommen war, durfte staunen: was die sechs Schauspieler, die das Stück unter der Regie von Burkhard C. Kosminski am Nationaltheater erarbeitet hatten, ohne Bühnenbild zur Aufführung brachten, war bemerkenswert. …Sechs Schauspieler, sieben Holzstühle. Dann das Büschel Tannenzweige, um das Grab vom  Melk abzudecken, die Schuld unsichtbar zu machen. Schließlich das dumpf scharrende Geräusch der Axt, die Hanna plötzlich hinter sich her schleift. So wenig, so viel. An Stück und Aufführung wird man sich lange erinnern. …“

Südkurier