Anton Tschechow

Der Kirschgarten

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Lydia Kirchleitner
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Katharina Blumenkamp

Premiere am 20. Juni 2014

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Ljubow Andrejewna Ranjewskaja: Ragna Pitoll
Lopachin : Klaus Rodewald
Firs : Gabriela Badura
Charlotta : Ralf Dittrich
Anja : Dascha Trautwein
Wanja : Katharina Hauter
Gajew : Reinhard Mahlberg
Trofimow : Sascha Tuxhorn
Pischtschik : Jacques Malan
Jepichodow : Svan Prietz
Dunjascha : Michaela Klamminger
Jascha/Soldat : David Müller

 

 


Pressestimmen:


Viel Beifall bei der Premiere von Tschechows "Kirschgarten"
Burkhard C. Kosminskis zeigte eine feinfühlige Regie
Nur selten glückt eine in so hohem Maß überzeugende Klassiker-Inszenierung wie sie jetzt bei der Premiere von Tschechows letztem großen Stück "Der Kirschgarten" am Nationaltheater Mannheim zu sehen war. Die feinfühlige Regie des Schauspiel-Intendanten Burkhard C. Kosminski eröffnet dem Stück ebenso wie den Schauspielern viel Raum zu nuancenreicher Entfaltung, und eine Besten-Auslese seines Ensembles weiß diese Chance eindrucksvoll zu nutzen. Das oft lächerliche Scheitern der Figuren beim verzweifelten Suchen nach einer Alternative zu ihrem als sinnentleert empfundenen Leben wird nicht beschönigt, aber auch nie so vergröbernd dargestellt, dass man sich eigener Betroffenheit auf billige Weise entziehen könnte. In der vordergründig gespielten Komödie scheint immer wieder das Trauerspiel menschlicher Existenz auf, und in den Dialogen, die meist Monologe sind, werden die Abgründe an Einsamkeit sichtbar, in der hier alle mehr oder weniger unrettbar festsitzen.
Kosminskis "Kirschgarten" hat die Jahrhundert-Wende der Tschechow-Zeit bis zur Gegenwart unter Zar Putin und die Vorherrschaft der Oligarchen überdauert. Die Gutsbesitzerin Ranjewskaja kehrt nun nicht mehr aus Paris, sondern aus New York auf ihren von Versteigerung bedrohten Besitz zurück. Um das finanzielle Desaster der Familie abzuwenden, schlägt der neureiche Aufsteiger Lopachin statt Bau und Verpachtung von Sommerhäusern die Nutzung von Gas- und Ölvorkommen im abgeholzten Boden vor. Der ewige Student Trofimow, der bei Tschechow die Lethargie der Intellektuellen anprangert und den selbstlosen Einsatz für eine bessere Zukunft predigt, ist ziemlich rechtsradikal geworden und fordert die Restauration eines von volksfremden Einflüssen bereinigten Russlands. Weit wichtiger als solche Aktualisierungsversuche ist für die Aufführung jedoch die Aufwertung zweier Nebenrollen durch die Regie: Der Diener Firs und die Gouvernante Charlotta verkörpern hier das jeweils größte Maß an Heimatverbundenheit und Heimatverlorenheit, in deren Spannweite sich die übrigen Charaktere befinden.
Beide Rollen sind mit Gabriela Badura und Ralf Dittrich optimal besetzt. Die Grande Dame des Mannheimer Schauspiels zeigt die anrührende körperliche Gebrechlichkeit des stets fürsorglich um das Wohl Anderer besorgten Firs und zugleich die unverbrüchliche innere Stärke dieses mit den Jahren nur weiser und gütiger gewordenen alten Mannes, der die Ordnung, in die er gestellt wurde, nie hinterfragt hat. Ralf Dittrichs transsexuell schillernde Charlotta hat dagegen gar nichts, woran sie ihre Identität festmachen könnte, kennt weder ihre Herkunft noch ein Zuhause. Aber auch sie hadert nicht mit ihrem Schicksal, steht souverän im Abseits und gestattet sich nur dann Anflüge leiser Traurigkeit, wenn sie zum Akkordeon greift und wehmütige russische Lieder anstimmt.
Aus der Vielzahl hervorragender schauspielerischer Leistungen sei hier stellvertretend nur noch Klaus Rodewalds Lopachin hervorgehoben. Wie dieser scheinbar ganz auf gesellschaftliches Ansehen und materiellen Gewinn fixierte Mensch vom Rausch, durch den Kauf des Kirschgartens endlich sein Traumziel erreicht zu haben, in den Daseinsschmerz über ein "elendes, klägliches Leben" abstürzt, gehört zu den bewegendsten Momenten des Abends.
Glänzend auch Ragna Pitoll als elegante lebens- und liebeshungrige Ranjewskaja, Dascha Trautwein als drollige Anja auf der Schwelle vom Kind zur Frau, Katharina Hauters gar nicht graues Mauerblümchen Warja und Michaela Klammingers reizendes Dienstmädchen Dunjascha. Nicht weniger Lob haben Reinhard Mahlberg (Gajew), Sascha Tuxhorn (Trofimow), Jacques Malan (Pischtschik), Sven Prietz (Jepichodow) und David Müller (Jascha) verdient.
Wunderbar von Jean Sasportes in Florian Ettis Breitwand-Bühnenbild hineinchoreografiert: Die folkloristischen Tanzeinlagen des Ensembles (Musik: Hans Platzgumer). Da waren alle - auf der Bühne wie im Parkett - für kurze Zeit nah beieinander im Wunsch, das ganze Leben möge doch so ein Fest sein...
(Rhein-Neckar-Zeitung, 24.06.2014)


Träumen und tanzen
1904 wurde „Der Kirschgarten“ in Moskau uraufgeführt. Sein Autor Anton Tschechow versprach ein Stück, das „unbedingt komisch, sehr komisch“ sei. Dabei handelt es vom Ende eines blühenden Gartens und der Entwurzelung der Menschen, die hier lebten. Im Mannheimer Nationaltheater hat Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski uns das Stück auf poetisch-beschwingte Weise nahegebracht.
Wer Tschechows „Kirschgarten“ betritt, gelangt in eine Zwischenzeit. Eine Epoche hat aufgehört, die neue Zeit noch nicht angefangen. Die Menschen, die in dies Stillstandsblase geraten sind, haben noch große Zukunftsvisionen, kleben aber fest an einer verglühenden Vergangenheit und sind so unnütz wie die Kirschbäume in dem Garten, die kaum noch Früchte tragen. Der Untergang dieser Welt ist unvermeidlich, trotzdem blickt man voller Wehmut auf den Kirschgarten, wenn die Männer mit den Äxten anrücken.
Im Mannheimer Schauspielhaus gibt es keine Kirschbäume, kein Kinderzimmer, im dritten Akt auch keinen Salon mit Kronleuchter. Florian Ettis Bühnenbild ist überhaupt kein geschlossener Raum, sondern ein niedriger Durchgang mit Holzboden, dessen offene Rückseite nahtlos in einen zugefrorenen See übergeht, auf dem der Schnee meterhoch liegt. Das Stück spielt eigentlich im Frühjahr, die Kirschbäume blühen bereits, aber hier draußen herrscht noch tiefer Winter. Die Möbel stehen zu Beginn aufgestapelt wie für einen Umzug, niemand scheint hier mehr zu wohnen, als wäre alles längst eine Erinnerung, und dieser verlassene Ort nur mehr träumend in Besitz zu nehmen.
Kosminskis Inszenierung zeigt gleich, wie die Sache ausgehen wird, dass das hoch verschuldetet Gut der Ranjewskaja, die im Ausland Geld und Leben verschwendet hat, am Ende versteigert wird, dass ihre Töchter und die anderen, die hier Auskommen oder Zuflucht haben, diesen Ort für immer verlassen müssen.
Aber bevor es soweit ist, dürfen sie noch einmal träumen und tanzen, auf die Liebe hoffen und das rettende Geld, eine Vergangenheit beschwören, die es vielleicht niemals gegeben hat.
Im Zentrum und doch eine Getriebene wie alle anderen die Ranjewskaja der Ragna Pitoll, immer noch eine feudale Erscheinung in beschwingten Kleidern, eine Lebens- und Liebessüchtige, die mit melodramatischer Geste die Reuetelegramme ihres Geliebten zerreißt, der sie ausnutzte, abservierte und nun zurückhaben will. Diese Frau ist verliebt in ihr Verliebtsein, den Geliebten braucht sie nicht mehr, nur noch das Gefühl, das sie mit ihm verbindet. Und so entgeht ihr, wie allen hier, die profane Liebeschance direkt vor ihrer Nase.
Hier ist es ausgerechnet der vom Enkel eines Leibeigenen zum reichen Geschäftsmann aufgestiegene Lopchain, der diese Frau begeht und mit ihr eine Welt, die er zwar kaufen, aber nicht besitzen kann. Barfuß und im Unterhemd hetzt Klaus Rodewald hinter ihr her, die auf einem Kinderfahrrad davonsaust. Später trägt er sie auf Händen, während sie ihm die Ehe mit ihrer spröden Pflegetochter Warja nahelegt. Aber natürlich passen die beiden nicht zusammen. Wenn sie die Musik hört, die in dieser Inszenierung immer wieder diese absterbende Welt zum Leben erweckt und ihre Bewohner in wilder Polonaise durch den Raum jagt, wenn die Rajewskaja also fasziniert lauscht, da hört Lopachin nichts.
Drumherum gibt es viele weitere Unglückspaare: der tapsige Buchhalter Jepichodow, der das Zimmermädchen Dunjascha liebt, die ihr Herz an den düster träumerischen Diener Jascha verloren hat, der wiederum um jeden Preis ins Ausland will. Oder Trofimow, der ewige Student und schwadronierende Philosoph, der sich mit Liebesverzicht gegen Liebesverlust zu schützen versucht und deshalb auch die zärtlichen Annäherungsversuche von ranjewskajas Tochter Anha vermasselt. Und natürlich die ihr Herz mit Arbeit betäubende Warja, die auf ein Liebeszeichen von Lopachins wartet, während der sein verworrenes Gefühlsleben mit Geldverdienen abtötet.
Das Mannheimer Ensemble spielt das alles mit großer Detailfreude und psychologischer Genauigkeit, es gelingen viele kleine Momente hoffnungsvollen Glücks und niederschmetternder Enttäuschung: Katharina Hauters Warja, die angespannt und stumm auf einem Stuhl auf Lopachins Heiratsantrag wartet. Reinhard Mahlbergs Gajew, der Pralinen mampfende Bruder der Ranjewskaja, der mit den Nichten in kindlicher Erinnerung auf dem Boden herumhopst. Gabriela Badura, die den alten Diener Firs spielt und daraus so etwas wie den allwissenden Erzähler dieser Geschichte macht. Charlotta, die unnahbare Gouvernante, die bei Ralf Dittrich zu einer sehnsüchtig verblühenden Person wird, die im falschen Geschlecht und überhaupt im falschen Leben steckt. […]
(Die Rheinpfalz, 23.06.2014)


Zitate :

„Dascha Trautweins glänzend gespielte Anja ist ein hoffnungsfrohes Beispiel hierfür, und selbst der spröden, fleißigen Warja (beherzt: Katharina Hauter) wünschen wir alles Gute für die Zukunft.“

„Burkhard C. Kosminski setzt auf die irritierende Genrebezeichnung des Autors und lässt das Stück als pralle Komödie spielen. Mit viel Musik von Akkordeon bis Balkan-Polka (Ralf Dittrich und Hans Platzgumer), mit quirligen Choreografien und Polonaisen, mit Slapstick (exzellent: Sven Prietz und Michaela Klamminger) und hoher Geschwindigkeit.“

„Dennoch ist dem Hausherrn ein Ensemble-Abend gelungen, der durch große Mimen in kleinen Rollen (Badura, Dittrich, Malan) und – bei aller launigen Elendsheiterkeit – bewegende Momente in den Dialogen überzeugt, die auch in der Russendisko von hohem Ernst geprägt sind.“

„Es ist auch ein Abend für große Soli: Ralf Dittrichs chansoneske Erzählung, Ragna Pitolls einsame Tränen im Abendkleid (gelungene Kostüme: Lydia Kirchleitner) und Gabriela Baduras einsamer Auf- und Abtritt werden einem in Erinnerung bleiben.“
(Mannheimer Morgen, 23. Juni 2014)