Lukas Bärfuss

Malaga

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Linda Johnke
Kostüme: Janine Werthmann
Dramaturgie: Katharina Blumenkamp
Musik: Hans Platzgumer

Deutsche Erstaufführung: 17. Mai 2011
Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Vera: Ragna Pitoll
Michael: Klaus Rodewald
Alex: Peter Pearce

 

 


Pressestimmen:

Wenn der Babysitter versagt, droht eine Katastrophe
Knallhart auf den Punkt gebracht:
"Malaga" von Lukas Bärfuss in Burkhard C. Kosminskis
eindringlicher Studio-Inszenierung in Mannheim

Michael muss zu einem Ärztekongress nach Innsbruck, Vera will das selbe Wochenende mit ihrem neuen Freund Paul in Malaga verbringen. Nach achtjähriger Ehe haben sich die beiden getrennt, teilen sich aber die Betreuung der gemeinsamen Tochter Rebekka, und selbst verständlich gibt es ein Mädchen zum Babysitten, wenn weder Vera noch Michael Zeit für die Kleine haben. Die erprobte Kinderhüterin ist nun leider kurzfristig krank geworden. Als Ersatzlösung schlägt Vera den Sohn ihrer Freundin Chantal vor: Alexander, der das Babysittergeld für sein Studium in New York gut gebrauchen könnte. Zwar gibt es beiderseits Bedenken gegen den schwer einzuschätzenden jungen Mann, doch weder Vera noch Michael wollen ihre Wochenendpläne aufgeben.
Krisensituationen, wie sie der Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss in "Malaga" zum Ausgangspunkt einer Komödie macht, die ziemlich böse endet, sind nichts Besonderes im Leben moderner junger Menschen; die sich abmühen, Beruf und Familie, Beziehung und Selbstverwirklichung, Anspruchsdenken und Verzichtbereitschaft unter einen Hut zu bringen. Das vor einem Jahr in Zürich uraufgeführte Stück hat Mannheims Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski im Studio des Nationaltheaters knallhart auf den Punkt gebracht.
Wo Bärfuss schon kaum ein Wort zuviel verliert, gelingt Kosminski noch eine weitere Verdichtung des Textes, auch bezieht er eindeutig Stellung in dem, was Bärfuss in der Richtung vorgibt, ohne es festzulegen. Das betrifft vor allem die Figur des Alex, der in der Mannheimer Inszenierung stark in den Vordergrund rückt, was wiederum den Schwerpunkt der Aufführung verlagert, vom anfangs dominierenden Geschlechterkampf auf das im Stück nur indirekt mitgeteilte Drama der einsamen Kinder, die bei der Verteilung der knappen Familien-Ressourcen an Zeit und Aufmerksamkeit am ehesten zu kurz kommen. Kosminski zeigt, dass im fast erwachsenen Alex und der siebenjährigen Rebekka zwei solcher Kinder aufeinander treffen, denen ihre Fantasiewelt, der sie die Hauptrolle spielen dürfen, längst wichtiger als die Realität geworden ist. Bei ihm bekommt das im Stück unsichtbare und unhörbare kleine Mädchen wenigstens eine Stimme, wenn es schwer verletzt im Krankenhaus liegt, nach dem Wochenende mit Alex, der sie begeistert dabei gefilmt hat, wie sie genauso stark und mutig wie Pippi Langstrumpf war. Mit ihrem Lied vom Apfelbaum, in den sie hineinsteigt "so hoch, man sieht mich kaum", endet der Abend, der nur 60 Minuten dauert, aber lange darüber hinaus nachwirkt.
In der zurückhaltenden Ausstattung (Kostüme: Janine Werthmann, Bühne Linda Johnke) gibt es nichts, was vom Text und den Schauspielern ablenken könnte. Ragna Pitoll als Vera und Klaus Rodewald als Michael kommen quasi stellvertretend aus dem Publikum, das sich - Frauen und Männer getrennt - in zwei Blöcken gegenüber sitzt. Dazwischen liegt weit und leer das Spielparkett. Es sind keine Rabeneltern, die da streiten, wer mehr Recht als der andere hat. Stärker als die Sorge um die Tochter ist die unerträgliche Angst, ewiger  
Verlierer zu sein. Kleine Gesten, ein kurzes Entgleisen der Stimme, ein Ringen um Atem genügen Ragna Pitoll und Klaus Rodewald, um deutlich zu machen, wie viel Kraft es kostet, in der emotional aufgeladenen Situation nicht die selbst auferlegte Beherrschung zu verlieren.
Beeindruckend auch Peter Pearce in der Rolle des undurchsichtigen Filmfreaks Alex: Ein irrer Typ, halb linkisch, halb durchtrieben, liebenswürdig und unverschämt, gefällt er sich in vielen bizarren Posen und lässt nur in wenigen Momenten die Maske fallen: In der Verlorenheit einer Tanzszene (die Kosminski eigens für ihn ins Spiel gebracht hat) und bei der hasserfüllten Attacke auf Vera, wenn er die Verantwortung für das, was mit Rebekka passiert ist, ohne Schuldbewusstsein von sich weist.
(Rhein-Neckar-Zeitung)

 

Dem Egoismus folgt die Leere
Erstaufführung: Theater im Telegrammstil: „Malaga“ von Lukas Bärfuss kippt im Studio des Mannheimer Nationaltheaters rasant von der flotten Beziehungssatire zur finsteren Tragödie.
Ehepaare, die im Theater gerne nebeneinander sitzen, haben Pech. Für die deutsche Erstaufführung von Lukas Bärfuss‘ neuem Stück „Malaga“ wird das Publikum nach Geschlecht sortiert, die Damen nehmen den linken Eingang, die Herren den rechten, und dann winken sie einander zu von den beiden Seiten des Parkett-Rechtecks, mit dem die Bühnenbildnerin Linda Johnke die Spielfläche markiert. Das ist die komplette Ausstattung, nichts soll ablenken von dem Wortduell, das der Mannheimer Schauspielchef Burkhard C. Kosminski glänzen lässt.
Dass die Zuschauer nicht nur als Individuum angesprochen werden, sondern auch als Teil ihrer Geschlechtsgemeinschaft, ist zunächst ein plausibler Effekt. Denn Vera und Michael liefern sich einen saftigen Trennungskrieg. Das Paar steht vor der Scheidung, es geht darum, wer übers Wochenende auf die siebenjährige Tochter aufpasst. Denn beide haben Wichtigeres vor. Sie will mit dem neuen Liebhaber ein paar Tage nach Spanien, er muss auf einen Kongress in der Hoffnung, endlich sein künstliches Innenohr verkaufen zu können und von seinem Schuldenberg runterzukommen. Beide wollen dieses eine Mal nicht nachgeben, und so engagieren sie den Sohn einer entfernt Bekannten, sich um Rebekka zu kümmern.
Ihr Egoismus ist so groß, dass er alle Zweifel an dem jungen Mann verdrängt. Hauptsache, er achtet beim Vorlesen auf die politisch korrekte Sprachregelung, nach der Pippi Längstrumpfs Vater kein Negerkönig ist, sondern König der Afrikaner. Das wäre noch die geringste Sorge, denn Peter Pearce spielt diesen Alex als windiges Bürscherl, dem man bei gesundem Verstand nicht einmal den Kanarienvogel anvertrauen würde. Er ist auf dem Sprung nach New York, ein Filmstudium lockt, und mit Rebekka will er schon mal etwas drehen, wahrhaftig und echt soll es sein. Gleichzeitig hat er genug Instinkt, seine Macht zu erkennen und die Ehepartner gegeneinander auszuspielen, um sein Honorar in die Höhe zu tricksen.
Die Sache geht schief, und statt eines Kindes findet das Paar einen reichlich wirren und zudem aggressiven Jungregisseur, der dämonisch von dem wahrhaftigen und echten Erlebnis mit Rebekka faselt. In gerade mal einer Stunde vollzieht die Mannheimer Aufführung einen rasanten Sturz von der pointierten Beziehungssatire zur finsteren Tragödie. Ragna Pitoll und Klaus Rodewald vollziehen diesen Wechsel mit staunenswerter Konsequenz, am Ende stehen sie da wie ausgehöhlt, zu erschüttert, um sich Vorwürfe zu machen. Und in einer Leere, in der die egoistischen Hoffnungen verpufft sind, gibt es behutsame Signale einer neu gewonnenen Nähe. So knapp der Text ist, so zielstrebig kommt Kosminskis Regie auf den Punkt in diesem Drama um Selbstsucht und Verantwortung, Gefährdung und Schuld, das hier in einem theatralischen Telegrammstil formuliert ist. Dabei könnte die Geschichte auch einen längeren Abend tragen.
(Darmstädter Echo)


Auf der Schattenseite der Liebe

Michael ist ein Mann des Geistes. Behauptet er jedenfalls von sich. Obwohl er sich nicht so verhält. Eher erinnert er an das, was man salopp als Kotzbrocken zu bezeichnen pflegt: Immer gleich auf der Palme und rasch beleidigt, einer, der die Welt locker zugrunde denkt und erlittene Kränkungen larmoyant beklagt. Bevor jedoch das Stück "Malaga" von Lukas Bärfuss im Werkhaus des Nationaltheaters beginnt, werden die Geschlechter getrennt: die Damen nach links, die Herren nach rechts.
Auf zwei einander gegenüberstehenden Zuschauertribünen finden sie sich wieder, dazwischen eine große, podestartige Fläche (Bühne: Linda Johnke), die Kampfstätte. Bereits im Dunkeln beginnen Michael und Vera, von der er zwar getrennt lebt, aber noch nicht geschieden ist, zu zanken. Sie sitzt in der ersten Reihe bei den Frauen, er hat sich den Männern angeschlossen. Ein dualer, um Verständnis heischender Solidaritätsappell. Irgendwie rührend. Denn wer wüsste besser um die persönlichen Nöte Bescheid als die Angehörigen des eigenen Geschlechts.
Nun erleben wir ein vom Regisseur Burkhard C. Kosminski souverän und fein ausbalanciertes verbales Gefecht, das den Zuschauer mit dem stärkenden und tröstenden Gefühl beglückt, sich aus der bergenden Distanz des Theaters wieder einmal gefahrlos und gemütlich am Höllenfeuer der anderen wärmen zu dürfen. Im Ping-Pong-Stil werden Gemeinheiten ausgetauscht. Man stochert böse in alten und neuen Wunden herum. Ein bekanntes Spiel, in dem es nicht um Leben oder Tod geht, sondern um die bessere Durchsetzungsfähigkeit egoistischer Motive. Dass sich hinter Wut und Hass meistens ein Betteln um Zuwendung und Aufmerksamkeit verbirgt, wissen alle Hobby-Psychologen.
Rebekka, die siebenjährige Tochter, ist das Objekt der Zwistigkeiten. Eigentlich hätte Michael, von Klaus Rodewald mit entnervender Sturheit und der Pose eines zynischen Weltverächters herrlich in einem bizarr emotionalen Ungleichgewicht gehalten, sie am Wochenende turnusmäßig betreuen sollen. Doch nun muss er unbedingt zu einem internationalen Ohrenkongress, um dort seine Erfindung, ein künstliches Innenohr, vorzuführen. Vera hingegen hat mit ihrem neuen Freund Paul einen Kurzurlaub in Malaga gebucht, auf den sie keinesfalls verzichten will. Da ist guter Rat teuer. Doch Vera, deren innere Unsicherheit Ragna Pitoll selbst noch als rigoroses Aufbegehren fabelhaft in ein ständiges körperbewusstes Changieren zwischen inständigem Erleiden und energischer Außenwirkung übersetzt, beweist fürsorgliche Umsicht. Sie hat bereits Ersatz besorgt und den neunzehnjährigen Alex, einen fanatischen Filmer, als Babysitter engagiert. Doch statt Dank erntet sie von Michael Vorwürfe. Ohne den jungen Mann zu kennen, unterstellt er ihm unlautere Absichten. Dass er mit seinen frei erfundenen Einwänden Vera eifersüchtig von ihrem Ausflug mit dem neuen Lover abbringen will, wird mehr als deutlich. Also liegt die Schuld für den Konflikt bei ihm. Bis Alex auftritt, den Peter Pearce so famos als durchgeknallten Typen zeigt, dass ihm vermutlich in der Republik kein Elternpaar sein Kind anvertrauen würde. Vera und Michael riskieren es dennoch und unterstreichen so ihre radikale Selbstsucht. Als beide von ihren Unternehmungen zurückkehren, befindet sich Rebekka schwer verletzt im Krankenhaus. Irgendeine mysteriöse Geschichte hat sich wohl zwischen ihr und Alex ereignet. Die tatsächlichen Ereignisse bleiben jedoch im Dunkeln.

Hatte der einstündige Abend begonnen, als sei das Stück ein Gipfel der Weltliteratur, so rutscht er jetzt ab in die Niederungen einer Betroffenheitsorgie. Zum Trost malt Kosminski abschließend ein kompliziertes Stimmungsbild. "Ich habe mir im Schrank ein Regal genommen", sagt der offenbar wieder heimgekehrte Michael im Auftrag seines Autors zu der gar nicht erstaunten Vera. Und fügt hinzu: "Ich leg mich dann hin. Sonst schlafe ich noch im Stehen ein. Kommst Du auch?" Nach all dem Krieg ein bisschen Frieden - wenn das keine Liebe ist!
(Mannheimer Morgen)

 

Malaga
Verbales Kickboxen.
Burkhard C. Kosminski inszeniert Lukas Bärfuss` Kammerspiel einer gescheiterten Ehe.

Lukas Bärfuss` „Malaga“ ist ein präzises Kammerspiel. Burkhard C. Kosminski inszeniert es als dichten, ganz auf Pitoll und Rodewald konzentrierten Clinch. Man muss lange zurückdenken, um sich an eine vergleichbare Schauspielkonzentration im Werkraum zu erinnern. Kosminski hat die anscheinend undankbare „Pflicht“ der Zweitinszenierung ernst genommen und einen Glanzpunkt gesetzt.
(Meier)