Stephen Sewell

Mythos, Propaganda und Katastrophen
in Nazi-Deutschland und dem
heutigen Amerika

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Sabine Blickenstorfer
Musik: Jörg Gollasch
Dramaturgie: Sybille Meier

Deutschsprachige Erstaufführung 20.04.2005,
Düsseldorfer Schauspielhaus

Besetzung:
Talbot Finch, Professor für Politik: Peter Siegenthaler
Eve, seine Frau, Drehbuchautorin: Esther Hausmann
Margurite Lee, Politikstudentin: Julia Grafflage
Jack, Direktor des Seminars: Wolfgang Reinbacher
Amy, seine Frau: Anke Schubert
Stan, Fakultätsanwalt: Alexander Ebeert
Max, australischer Freund von Talbot: Tim Egloff
Der Mann: Michael Fuchs

 

 


Pressestimmen:


Unter Wölfen
Wie in den USA die Angst vor Terror die Freiheit ins Gegenteil verkehrt, davon handelt ein neues Stück des Australiers Stephen Sewell. Packende Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus.
Das karge, nur mäßig erhellte Rechteck der Bühne wird immer mehr zum Gefängnis. Außenwelt dringt lediglich per Video ein. Die Flachbildschirme ringsum an den Wänden vermitteln kaum mehr als bewegliche Ornamente. Wer zuschaut, den fröstelt es spätestens, als aus heiterem Himmel das erste Unheil hereinbricht.
Regisseur Burkhard C. Kosminski hat im Bühnenbild von Florian Etti die deutschsprachige Erstaufführung von Stephen Sewells Stück „Mythos, Propaganda und Katastrophe in Nazi-Deutschland und dem heutigen Amerika“ aufs Podest des Kleinen Hauses in Düsseldorf gebracht und damit diejenigen widerlegt, die behaupten, Theater der Gegenwart sei ausgelaugt. Sewell hat mit seinen geschliffenen Dialogen nicht nur ein Stimmungsbild von den USA nach dem 11. September gemalt, sondern Zeitgeschichte zugleich ins Philosophische gewendet und all dies so gut geerdet, dass man sich mal in einem Kriminalfilm, mal in einer Soap Opera wähnt.
Der Abend ist das Gegenteil einer Tschechow-Inszenierung: häufige Schnitte und rasche Wortwechsel, kaum etwas, das sich zwischen den Zeilen versteckt. Talbot Finch, ein Australischer Professor für Politikwissenschaft an einer amerikanischen Uni, hat ein Buch verfasst mit eben dem Titel, der auch Sewells Stück bezeichnet. Doch in einem Amerika, in dem jeder als möglicher Terrorist gilt, wird selbst ein rein akademischer Vergleich zwischen „Nazi-Deutschland und dem heutigen Amerika“ schon fast zum Verrat.
Gerade noch haben Talbot und seine Ehefrau Eve, die sich mit Drehbüchern zu seichten Fernsehserien reich geschrieben hat, darüber gestritten, wann die Zeit endlich reif sei für ein von Eve seit langem ersehntes Kind, da stürzt ein Mann mit Putzeimer in Talbots Büro. Die Beleuchtung wechselt und lässt offen, ob das unvermutete Auftauchen dieses Mannes, seine Überwindung sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen nun Wirklichkeit ist oder ein böser Traum. Denn der anfangs so heitere Eindringling wirft den Professor kurz darauf zu Boden und zwingt ihn mit vorgehaltener Pistole dazu, sich für sein liberales Denken zu rechtfertigen. Diese mephistohafte Gestalt (Michael Fuchs), so zeigt sich bald, kennt sich nicht nur mit Kafka aus, sondern auch mit Sokrates und Platon, mit Hegel, Marx und Professoren, die sich von Studentinnen gute Noten mit Sex bezahlen lassen. <immer wieder bricht der schwarze Mann in den Alltag des Professors ein. Er babbelt zuweilen hessisch, schmeichelt sich gar als wendiger Conferencier ein – bis er durch seine Intrigen das Klima der Universität und das Leben nicht nur des Professors zerstört hat.
Peter Siegenthaler spielt seinen Talbot als aufrechten Linksliberalen, der keinesfalls der Radikale sein will, den der schwarze Mann in ihm sieht. Esther Hausmann zeichnet die Gattin als temperamentvolle, selbstbewusste Erfolgsfrau, die aber sentimental wird, sobald ihr ungestillter Kinderwunsch zur Sprache kommt.
Und dann gibt es da neben anderen noch Jack, den Direktor des Seminars. Wolfgang Reinbacher zeigt geschickt, wie sich dieser scheinbar Umgängliche hinter unverändert freundlicher Fassade vom Wohlmeinenden Fiesling wandelt, der die zweifelhaften, anonymen Vorwürfe gegen Talbot für bare Münze nimmt und ihn aus dem Amt drängt. Am Ende hat Mephisto sein Ziel erreicht: Jeder verdächtigt jeden.
Schutzmaßnahmen. Sicherheitsvorschriften und Überwachungssysteme haben die Menschen zu Opfern ihres Mythos von Freiheit und Demokratie gemacht und damit das gegenseitige Vertrauen als Grundlage des Staates vernichtet. Das Böse hat gesiegt, allerdings anders als in der Schreckensvision von George W. Bush, in der Terroristen den Untergang herbeiführen. Seine Rede über die Achse des Bösen wird denn auch zwischendurch kurz in halliger, verfremdeter Fassung eingespielt, untermalt von zuckendem Licht.
Nach anderthalb Stunden viel Applaus für ein stets vorwärts drängendes Stück und seine zügige Inszenierung, die offen lassen, ob der schwarze Mann den Professor wirklich drangsalierte oder nur dessen Hirngespinst war.

Rheinische Post

 

„….Im Stück „Mythos, Propaganda und Katastrophe in Nazi-Deutschland und dem heutigen Amerika“ des australischen Dramatikers Stephen Sewell, das Burkhard C. Kosminski am Düsseldorfer Schauspielhaus in deutscher Erstaufführung inszeniert hat, befindet sich Amerika im Reich einer tiefschwarzen Phantasie. In der Folge des 11. September ist die alte Achtundsechziger-Befreiungsparole „Die Phantasie an die Macht“ im zerstörerischen und selbstzerstörerischen amerikanischen Imperium auf eine böse Weise Wirklichkeit geworden. Wobei man von „Wirklichkeit“ besser nicht spricht, weil letztlich alles in der Schwebe bleibt. Auch die demokratisch-aufklärerische Amerikakritik Finchs hat paranoide Züge. Oder wird er von geheimnisvollen Mächten in die Paranoia getrieben?
Ob es den „Mann“, der in Finchs Büro eindringt, ihn mit der Pistole bedroht, ihn schlägt, ihn beschuldigt, ein Araber und Terrorist zu sein, ihn in einem Keller gefangen setzt und schließlich erschießt, wirklich gibt, bleibt von Anfang bis Ende unklar. Doch ist dieser von Michael Fuchs gespielte „Mann“ die vielschichtigste  Figur des Stückes, mal populistischer Anti-Intellektueller, mal mephistophelischer Geist, der den armen Finch sein Schicksal weissagt, indem er leicht abgewandelt den ersten Satz aus Kafkas „Prozess“ zitiert: „Jemand musste Professor F. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
„..Kosminski lässt auf leerer Bühne agieren; Flachbildschirme zeigen rätselhaft die Wechsel der Spielorte an. Er verzichtet auf einige Nebenrollen und hat den Text etwa um die Hälfte gekürzt. Das Stück gewinnt so erhebliches Tempo, seine ganz in der angelsächsischen Tradition stehende routinierte Bauweise kommt auch in der deutschen Übertragung von John und Peter von Düffel gut zur Geltung.
Vor allem aber lässt die Straffung die dramaturgische Idee des Autors deutlich hervortreten: Er zeigt eine Versuchanordnung, die Auskunft geben soll, wie Totalitarismus im gesellschaftlichen Mikrokosmos entsteht und funktioniert, wie ein politischer Mythos sich übersetzt in der Interaktion menschlicher Elementarteilchen. …“

Die Welt

 

„…Die inhaltliche Brisanz des Stückes passt nicht recht zu seiner braven Ästhetik. Dieses Problem hat Düsseldorfs Oberspielleiter Burkhard C. Kosminski erkannt, den Text auf die Hälfte gekürzt und von allem Realismus befreit. Der Raum ist fast leer, Stühle stehen an den Wänden, die einzigen Requisiten sind Zigaretten und die Pistole. …“
„…In der verknappten Form kann man dem Text vertrauen, immer weiter verrennt sich Finch in der eigenen Angst, die Welt entgleitet ihm. Oder ist er doch Opfer einer realen Verschwörung? Beides ist möglich, daraus gewinnt die Aufführung einen großen Teil ihrer Spannung.
Peter Siegenthaler gibt Talbot Finch eine beeindruckende Mischung aus Geisteshelle, Wut und Paranoia, Michael Fuchs unterfüttert den Unbekannten mit mephistophelischer Lust am Quälen. ..“
„..Die Erstaufführung gibt die Richtung vor, wie Stephen Sewells provokantes und intelligentes Stück auf deutschen Bühnen überzeugen kann. …“„..Nachspielen lohnt sich. …“

Frankfurter Rundschau

 

„…Regisseur Burkhard C. Kosminski ist eine packende Inszenierung zwischen
formaler Strenge, exaktem Timing und verspielter Präzision gelungen. …“

Financial Times Deutschland

 

„… Kein einfacher Stoff, den Sewell uns da zumutet. Aber auf kluge, kühl-distanzierte und dabei schwebende Wiese gelungen. Szene fließt in Szene oft filmschnittartig gefügt; Lichtkegel greifen die Akteure aus der Anonymität. Während die anderen, auf den Stühlen ringsum, gegenwärtig bleiben. Eine Atmosphäre der Unsicherheit, in dessen Mitte ein vergeblich für Vernunft und Demokratie plädierender Finch zappelt. Kosminskis sachliche und scharfkantige Inszenierung dürfte nicht die letzte sein, die sich des ungewöhnlichen Stücks annimmt. Es lohnt sich. Langer Applaus.

Kölnische Rundschau

 

„… In den Hörsaal setzt dort Regisseure Burkhard C. Kosminski sein Publikum. Er lädt zur kafkaesken Versuchsreihe mit Krimi-Anleihen. Zum politisch-philosophischen Diskurs mit satirischem Talkshow-Entertainment. Zur hochaktuellen Diskussion  über die gefühlte, die kalkulierte, die kanalisierte Wirklichkeit von Bedrohung nach dem 11 September. …“
„… Ein Stück das mit so vielen Anspielungen und Fragezeichen jongliert, muss in der Schwebe bleiben. Mit einer losen Kette aus Ein- und Ausblendungen erzählt  Kosminski Finchs Geschichte: Während sich der Professor zunehmend bedroht sieht, glauben ihm weder Kollegen, Freunde noch Eve, seine Frau. Finch gerät in den Verdachtsstrudel, eine Studentin sexuell belästigt zu haben, gar ein Terrorist zu sein.
Peter Siegenthaler gibt der wachsenden Verunsicherung des Wissenschaftlers menschliche Glaubwürdigkeit. In seiner aalglatten Unberechenbarkeit und chamäleonhaften Anonymität ist Michael Fuchs als „der Mann“ ein beklemmender Gegenspieler. Und wenn sich die Ehefrauen der Uni-Elite – Esther Hausmann als Eve und Anke Schuberts Amy mit verbalem Gift duellieren, dann blitzt auch ein  bisschen „American-Beauty“ beim Filmfreund Kosminski auf. …“

Neue Rhein Zeitung

 

„… Reichlich Denkanstöße geben Autor und Regisseure in pausenlosen 110 Minuten. Keine Sekunde davon verringt in Langeweile. Kosminski arbeitet temporeich den Aberwitz von politischem Fanatismus und dessen unerbittlichen Folgen heraus und bedient sich leichtfüßiger Filmschnitte. …“

Westfälische Rundschau

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