Tracy Letts

Eine Familie / August: Osage County

Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne:
Florian Etti
Kostüme:
Ute Lindenberg
Dramaturgie: Ingoh Brux
Musik:
Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry

Deutschsprachige Erstaufführung,
Premiere am 31. Oktober 2008 im

Nationaltheater Mannheim

Besetzung:
Beverly Weston: Ralf Dittrich
Violet Weston: Gabriela Badura
Barbara Fordham: Irene Kugler
Bill Fordham: Thomas Meinhardt
Jean Fordham: Dascha Trautwein
Ivy Weston: Ragna Pitoll
Karen Weston: Isabelle Barth
Steve Heidebrecht: Reinhard Mahlberg
Mattie Fae Aiken: Anke Schubert
Charlie Aiken: Peter Rühring
Little Charles Aiken: Klaus Rodewald
Johnna Monevata: Nadine Schwitter
Sheriff Deon Gilbeau: Jacques Malan

 

 


Pressestimmen:



Drei Schwestern und eine Mutter
Trotz allem was in den vergangenen Wochen geschehen ist, scheint einiges ja doch noch sicher, wenn es um die USA geht: Am Dienstag passiert etwas Bedeutendes, es gewinnen entweder die Demokraten oder die Republikaner und das Land wird neu anfangen.
Nach dreieinhalb Stunden mit Tracy Letts und seiner "Familie" aus Oklahoma mag man nicht mehr glauben, dass diese Wahl irgendeine Bedeutung hat. Letts, und das ist alles andere als eine Feuilletonfloskel, lässt von Amerika nichts übrig. Es ist am Ende, es ist egal. Es ist, wie eine Tochter hier über ihre Mutter sagt, "am Arsch". Letts hat es gründlich und genüsslich zerlegt.

"August: Osage County" heißt "Eine Familie" im Original. Seit einem Jahr - nach der Uraufführung am Steppenwolf Theatre in Chicago - läuft das Stück ununterbrochen am Broadway. Das Osage County liegt in Oklahoma, an der Grenze zu Kansas: Amerikas Innerstes, tiefste Provinz, die Prärie. Die Prärie ist ein "seelisches Leiden, ein Bewusstseinszustand, wie der Blues", sagt Barbara in dem Stück. Hier ist es immer heiß, besonders aber im August und besonders in "August: Osage County".
Halten wir uns ansonsten nicht zu lange mit dem auf, was sonst Theaterkritiken ausmacht: Das Stück ist perfekt gebaut, die Informationen sickern aus den Dialogen, man weiß genug, aber nie zu viel. Es sind, vielleicht mit ein oder zwei Ausnahmen, alle 13 Rollen großartige Rollen. Nicht umsonst reißen sich gerade die größten Schauspielerinnen Hollywoods darum, in der Verfilmung mitspielen zu können. Die erste deutschsprachige Aufführung hat jetzt in Mannheim stattgefunden.

Die Aufführung des Schauspielchefs Burkhard C. Kosminski lässt keinen Zweifel daran, dass Mannheim, ja Mannheim, dafür der ideale Ort ist. Das Timing ist großartig, die Boshaftigkeit beiläufig. Das Ensemble passt so perfekt auf diese Rollen, dass man denkt, es sei extra für dieses Stück zusammengestellt worden oder habe jahrelang darauf gewartet, dass jemand ihm dieses Stück schreibt. Irene Kugler, die die Barbara spielt, die älteste der drei Schwestern, wächst bei der Premiere mit jeder Stunde, am Ende sehen wir der Verfertigung von Tragik beim Spielen zu. Schrittweise wird die Tochter das gleiche Monster wie die Mutter und doch haben wir immer noch Mitleid mit ihr.

Das Timing der Aufführung ist perfekt
Zurück nach Amerika. J.J. Cale stammt aus Tulsa, Oklahoma, und das Stück schmeckt so heiß und cool, so abgeklärt und staubig wie seine Musik. Man denkt an Sam Shepard, dann an Tennessee Williams, vor allem an den amerikanischen Supertragiker Eugene O'Neill. Seine Trinkerin Mary Tyrone ist hier in der tablettensüchtigen Violet Weston wieder auferstanden. Die 69jährige ist Oberhaupt und Zentrum der Familie. Und sie ist ein selbstsüchtiges, garstiges, berechnendes, schlaues Weib mit außerordentlich gut ausgebildetem Überlebenssinn, das in seinen drei Töchtern nicht mehr sieht als seine Krankenschwestern.

Sie ist so sehr damit beschäftigt, Oberwasser zu haben, dass sie nicht merken will, dass sie ihre Küken unter Wasser drückt, bis sie ertrinken. Diese Frau wird morgen Republikaner wählen. Man weiß es, ohne dass hier auch nur ein Wort über Politik gesprochen würde. Und sie ist eine dieser wunderbaren Figuren, deren selbstbewusste Boshaftigkeit uns zum Lachen bringt.

Ihr Mann, der versoffene Bev, verschwindet und bringt sich um. Da bevölkert sich das Haus langsam, Violets drei Töchter kommen, mit und ohne Männern, mit und ohne Kinder, Violets Schwester mit Mann und Sohn ist auch da: eine Familie, eine Welt. Ein Gefängnis, dem hier niemand entkommt. Man ist dazu da, um sich gegenseitig zu verletzen.

Barbara, die älteste, wird gerade von ihrem Mann sitzen gelassen, der lieber Frischfleisch vögelt. Eigentlich waren beide ganz kultivierte Leute, mit Sicherheit Wähler der Demokraten, aber hier hält sie nichts mehr. Ivy, die zweite Tochter, das Mauerblümchen, glaubt an ihr Glück mit Charles, den sonst niemand will: Wechselwählerin. Und Karen, die dritte, tut so, als würde sie vom Leben nichts abbekommen, hält sich aber mit einem Waffenhändler aus Florida ganz gut schadlos hält. Sie ist gefühlte Demokratin, macht ihr Kreuz aber bei McCain.

Theatergänger denken bei drei Schwestern an Tschechows "Drei Schwestern", zumal auch hier als vierte Frau ein furchtbarer Trampel dazukommt: Matti Fae, Violets Schwester. Die wählt morgen, was sie schon immer gewählt hat. Auch sie träumt aber, wie alle anderen, von einem anderen Leben. Auch sie reißt gern Wunden.

Das Ensemble passt sehr gut
Schritt um Schritt werden in dem Hauen und Stechen alte Geheimnisse und Lebenslügen entlarvt. Da sind wir dann bei Ibsen. "Die Familie" wird also mit den ganz großen Vorbildern erzählt. Sie wirkt dabei aber nie epigonal sondern kongenial. Altmodisch, breit, schwerblütig und tragisch-tief wälzt sich die Saga dahin.

Nun ist dieses Stück nicht von 1900, 1940 oder 1990, es ist nicht von Tschechow, O'Neill oder J.J. Cale, sondern von heute und von Tracy Letts. Das große fressende Tier "Familie" treibt alle Mitglieder gleichermaßen vor sich her, Sympathien hat Letts für keinen dieser Bilderbuchamerikaner. Er ist wie ein Kind, das einem Insekt aus Forscherdrang die Flügel ausreißt. Das macht ihn zu einem großen Dramatiker. Sein Triumph aber liegt woanders. Vor allem Jean, Barbaras Tochter, aber auch andere sprechen, wie wenn sie aus einer amerikanischen Soap entlaufen wären. Jean kann nicht mehr anders. Wegen dieser Sprüche ist das Stück so krass wie lustig. Das Irre dabei ist, dass die Sprüche vollkommen realistisch wirken: Wir sind in einer Tragödie und es klingt nach Soap. Und wir verstehen: Amerika ist eine Soap-Opera. Nicht nur hier, überall hat man sich gegenseitig die Hirne und Herzen rausgeblasen. "Die sind einfach nur noch Whoa", wie Jean sagt.

Letts ist dabei gnadenlos. Er ist ein Mann, dessen Vergangenheit wie die Vorgeschichte dieses Stückes ist. Er stammt aus einem Künstlerhaushalt in Oklahoma, er kennt die heißen Sommer, er war drogen- und alkoholabhängig. In amerikanischen Medien wird gern seine Mutter beschrieben. In einem früheren Stück wollte ein Drogi seine eigene Mutter umbringen, um das Geld der Lebensversicherung zu kassieren. Er ist der klassische Autodidakt, der sich selbst aus dem Sumpf zieht, für "August: Osage County" bekam der 43jährige dieses Jahr den Pulitzer Preis.

Im dritten und letzten Akt ist der Vater beerdigt und die drei Schwestern sitzen beisammen. Alles ist den Bach runtergegangen. Sie lachen über die Pussi ihrer Mutter. Sie bedauern sich dafür, dass sie Krebs haben oder sitzengelassen worden sind. Sie streiten sich, wer jetzt die alte Schachtel pflegen soll. Dann kommt noch ein Sohn, ein Versager, ein Nichts ins Spiel, die größte Lüge dieses Lügenlandes. Man kann immer noch weiter untergehen. Da erscheint die Mutter auf der Treppe: "Stör ich?" So ist sie, so ist hier Amerika, so ist Amerika in Mannheim. Das alles funktioniert so gut, dass das Mannheimer Publikum sich am Ende mit einzelnen Figuren identifiziert und Szenenapplaus spendet, wenn eine besonders verhasste Figur runtergeputzt wird. Ganz am Ende bleibt nur Johnna, die Hausangestellte, eine Indianerin. Die waren auch vor 500 Jahren schon da. Der Rest ist Nichts, er wird verschwinden wie ein Blatt im Präriewind in Osage County.

Frankfurter Rundschau


Von "Endstation Sehnsucht" bis zur "Katze auf dem heißen Blechdach", von "Wer hat Angst vor Virginia Woolfe" bis "Eines langen Tages Reise in die Nacht" schimmern die Dramaturgien des gescheiterten amerikanischen Traums durch diese Inszenierung, die sich am Ende zu großem Schauspielertheater aufschwingt.
Ein Frauenstück: schwarze Weiber, aus der griechischen Tragödie in die US-Konsumgesellschaft verpflanzt. Besonders Irene Kugler als älteste Tochter bietet eine beeindruckende Studie verlebter, aggressiv trauernder Liebessehnsucht. Ragna Pitoll macht aus der intellektuellen Ivy eine notorisch Zukurzgekommene, und Gabriela Badura baut die Familienmutter Violet am Ende zur bösen Hexe auf.

Deutschlandradio


Kosminski zeigt keine Scheu vor großen Gefühlen und den Krawall-Dialogen der Fernsehserien; seine Inszenierung bietet soliden psychologischen Realismus, der über fast vier Stunden hinweg die Spannung hält. […] Es ist große Unterhaltung, das Ensemble so gut wie schon lange nicht mehr, und so gibt es Szenenapplaus und am Ende stehende Ovationen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung


Letts' Well-made Play funktioniert wie geschmiert, hat er es doch den Schauspielern der Chigagoer Steppenwolf Theatre Company auf den Leib geschrieben. Dass es auch bei den Mannheimern, zwischen alten Hasen, Neuzugängen, Rückkehrern und Jungschauspielern funktioniert, steht für dessen Qualität. Man mag es für altmodisch halten; Letts schafft Figuren: mit Fleisch und Blut, Charakter, Schrammen und Wunden – und somit Schauspielerfutter verloren geglaubter Güte. […] Dass Bosheit lachen macht, im nächsten Moment dann furioser Aktionsrealismus feiner Psychologie folgt, Johlen und atemloses Stillschweigen über drei Akte derart Hand in Hand gehen, hat Burkhard C. Kosminski bewirkt. Er verfügt diesmal nicht nur über den richtigen Stoff, sondern auch über das richtige Timing, sorgt für den notwendigen Nachhall und hat sichtlich intensiv daran gearbeitet, aus einem Ensemblestück bis in die kleinste Rolle auch ein Stück für das Ensemble werden zu lassen.

Mannheimer Morgen

 

„…Zu Big Daddies Leichenschmaus etwa versammeln sich alle um einen langen Tisch und Burkhard C. Kosminski zeigt, dass er inzwischen ein überaus homogenes Ensemble um sich versammelt hat. …“
„…Nach dieser Mannheimer Erstaufführung würde man gerne mehr Theaterfutter von Tracy Letts auf der Bühne sehen. …“

Süddeutsche Zeitung

 

„…Figuren voller Leben und voller Unbrechenbarkeit ziehen da ihre Kreise. Und das Ergebnis ist Theater der Spitzenklasse. Leise Gitarrenakkorde zwischen den Szenen geben dem Abend zudem die Anmutung eines lässig hingetupften Leinwand-Epos. Als Dreingabe quasi. Toll. Besser geht’s nicht. ...“

Allgemeine Zeitung Mainz

 

„…Auch wenn im Stück eine Beerdigung gefeiert wird, bei der sich die Angehörigen pietätlose Schlachten liefern: Die Inszenierung ist ein wahres Fest für Regie und Schauspieler! Ausnahmslos. …
…Bei allem starken Tobak, den das Stück bereithält: Diese Inszenierung fliegt. So sehr, dass die immerhin dreieinhalb Stunden, die der Abend immerhin dauert, wie im Fluge vergehen. Am Ende wahrhaft verdienter Jubel und Standing Ovations. …“

Giessener Allgemeine

 

„…Der Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski hat „August: Osage County“ im vergangenen Jahr in New York gesehen und sich sofort und sich sofort um die deutschsprachige Erstaufführung bemüht. Nun hatte das bitterböse Familiendrama von Tracy Letts unter dem deutschen Titel: „Eine Familie“ am Nationaltheater Premiere, und das Stück, wie die genaue, von einem großartigen Ensemble getragene Inszenierung wurden vom Publikum begeistert gefeiert. „August: Osage County“ dürfte nicht nur in Mannheim zum Abräumer werden. …“

Die Rheinpfalz

 

„…zu danken ist dies der Personenführung Burkhard C. Kosminskis. Seine Regieleistung besteht darin, die komplizierte Maschinerie des Stücks perfekt in Gang zu halten. Von Szene zu Szene zieht er die Schrauben fester an – und sorgt gleichzeitig für Geschmeidigkeit, indem er das Triebwerk dieses Amerikanischen Alptraums an den richtigen Stellen ölt. ...“

Rhein-Neckar-Zeitung

 

„…Burkhard C. Kosminskis Inszenierung verlässt sich darauf, dass dieser Text einem großen Ensemble Gelegenheit zur charakterlichen Entfaltung gibt, während auf klassische Weise Lebenslügen demontiert werden. Eine Gewissheit nach der anderen purzelt, eine Hoffnung nach der anderen wird enttäuscht. …

…starkes und lebenspralles Theater, das den Ausflug zu dieser dramatischen Entdeckung lohnt. …“

Darmstädter Echo