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Richard Wagner Musikalische Leitung: Axel Kober Besetzung:
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> Interviews zu „Tannhäuser“ : aus dem Programmheft:
SPIEGEL: Herr Kosminski, in Ihrem Operndebüt mit dem "Tannhäuser" des Antisemiten Richard Wagner gibt es eine Szene mit Sterbenden, die aus einer Gaskammer taumeln. Was war Ihre dramaturgische Idee? Kosminski: In Wagners Oper versündigt sich der sterbliche Tannhäuser, indem er die göttliche Venus liebt. Das lässt sich heute nicht mehr als Skandal erzählen, der zu einem Ausschluss aus der Gesellschaft führt. Mich interessiert das große archaische Thema der Schuld. Wieso sollte man also Tannhäuser nicht zu einem Täter machen, zu einem Kriegsverbrecher? In meiner Inszenierung wird Tannhäuser von Mitgliedern der Wehrmacht gezwungen, eine Familie zu erschießen. Der Abend beschäftigt sich mit individueller Schuld im Nationalsozialismus und während der Entstehung der BRD. SPIEGEL: Wie haben Sie die Proteste bei der Premiere erlebt? Kosminski: Es gab Zwischenrufe während der Aufführung. Als ich mich beim Applaus verbeugte, gab es ein Buhkonzert, gemischt mit vielen Bravos. Bei der Premierenfeier wurde ich massiv beleidigt. SPIEGEL: Nach der Premiere hat auch die Jüdische Gemeinde protestiert - macht das den Fall besonders prekär? Kosminski: Natürlich bin ich da erschrocken. SPIEGEL: Michael Szentei-Heise von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf kritisierte die Aufführung als geschmacklos. Kosminski: Ob er sie selbst gesehen hat, ist unklar. Sehr gern würde ich mich mit ihm unterhalten. Eine Absetzung hat die Jüdische Gemeinde aber nicht verlangt. Meine Inszenierung verhöhnt Opfer nicht, sondern beklagt sie. SPIEGEL: Der Düsseldorfer Opernchef Christoph Meyer hat Ihre Inszenierung vor der zweiten Aufführung gekippt, weil Sie sie nicht umarbeiten wollten. Warum haben Sie sich geweigert? Kosminski: Ich habe zehn Monate vor der Premiere der gesamten künstlerischen Leitung mein Konzept vorgelegt. Allen Beteiligten war bewusst, dass wir auf einen Abend voller Kontroversen zusteuern. In den Endproben bat man mich, die Erschießungsszene etwas zu kürzen, was ich gemacht habe. Warum sollte ich hinterher Szenen herausnehmen oder im Dunklen spielen lassen? Warum das Konzept ändern? SPIEGEL: Ist Ihr Verhältnis zum Düsseldorfer Opernchef jetzt zerrüttet? Kosminski: Nein, aber ich bin schockiert und sprachlos und kann seine Entscheidung nicht nachvollziehen. Wir wurden beide massiv unter Druck gesetzt, durch die lokale Presse und die besserwisserische Ignoranz von Menschen, von denen die meisten die Aufführung nicht kennen. Was in Düsseldorf passiert ist, ist die Zensur von Kunst. Das ist der eigentliche Skandal. „Ich bin vollkommen geschockt“? Das Unfassbare ist geschehen: Seit gestern spielt die Deutsche Oper in Düsseldorf den von Burkhard C. Kosminski inszenierten "Tannhäuser" aufgrund von Protesten nur noch konzertant. Ähnliches gab es zuletzt 2003, als Hans Neuenfels an der Deutschen Oper Berlin in der Mozart-Oper "Idomeneo" die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed auf Säulen präsentierte - unter heftigen Tumulten. Auch in Düsseldorf gab es am Samstag Tumulte. Mannheims Schauspielintendant Kosminski ist schockiert - ein Austausch über die Vorfälle und die Freiheit der Kunst. Herr Kosminski, Ihre bei vielen Menschen und der Jüdischen Gemeinde umstrittene, mittlerweile als "Nazi-Tannhäuser" fungierende Inszenierung ist von der Deutschen Oper abgesetzt worden. Gestern ging das Werk konzertant über die Bühne. Wie fühlen Sie sich? Burkhard?C.?Kosminski: Ich bin vollkommen geschockt - vor allen Dingen über die Begründung. Es kann doch nicht sein, dass diese Art von Zensur stattfindet. Mein Wunsch an den Intendanten Christoph Meyer war es, in eine sachliche Diskussion einzusteigen und dadurch die in beide Richtungen aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Mein Vorschlag, eine Podiumsdiskussion anzubieten, wurde nicht gehört. Da wurde meiner Meinung nach eine große Chance verpasst, konstruktiv zu diskutieren. Nach der Absetzung habe ich daran kein Interesse mehr. Was ist denn die Begründung? Kosminski: Na ja, man reagiert offenbar darauf, dass einige Szenen, insbesondere die Erschießungsszene, für zahlreiche Besucher sowohl psychisch als auch physisch zu einer starken Belastung geführt haben soll. Offenbar haben sich Besucher im Anschluss in ärztliche Behandlung begeben. Eine solch extreme Wirkung will die Oper nicht. Nun, viele - auch viele Juden - regen sich natürlich darüber auf, dass Sie den Nationalsozialismus und Holocaust thematisieren. Haben Sie mit dieser Vehemenz an Protest wirklich nicht gerechnet? Burkhard C. Kosminski: Nein, das alles überrascht mich sehr. Ich möchte hier klarstellen, dass ich in keinem Moment die furchtbaren Verbrechen des Nationalsozialismus als Selbstzweck oder billiges Mittel, einen Skandal zu provozieren, benutzt habe. Die umstrittenen Szenen sind Beleg für eine unfassbare Schuld, die in meiner Lesart Tannhäuser begangen hat. Ich will nicht die Opfer verhöhnen. Ich will die Opfer beklagen. Das Kernthema sind Schuld und Erlösung. Das wirft die Frage auf: Was hat Tannhäuser getan, dass er aus der Gesellschaft ausgestoßen wird? Die jüdische Gemeinde hat ja klargestellt, dass Wagner Antisemit war, aber kein Nazi. Eine Absetzung wurde übrigens gar nicht gefordert. Aber Sie wurden gefragt, ob Sie die heikelsten Stellen streichen. Warum wollten Sie das nicht? Kosminski: Wenn ich mich intensiv mit einem Stoff beschäftige, kann ich doch nicht einfach sagen: Das lassen wir jetzt weg. Hätte man diese Veränderungen vorgenommen, dann hätte das keinen Sinn mehr gemacht. Vor zehn Monaten habe ich der künstlerischen Leitung mein "Tannhäuser"-Konzept vorgestellt. Allen Beteiligten war klar, dass diese Inszenierung eine Kontroverse auslösen wird. Mit einem Skandal hat keiner gerechnet. Schon damals war diese Szene besprochen. In den letzten Tagen wurde ein immenser Druck gegen mich, aber sicherlich auch gegen Intendant Christoph Meyer aufgebaut. Zweifeln Sie nun an der Freiheit der Kunst und Ihrer Freiheit als Regisseur? Werden die Geschehnisse auf künftige Arbeiten Einfluss haben? Kosminski: Welchen Einfluss diese Arbeit hat, kann ich nicht sagen. Es stellt sich aber natürlich die Frage: Was darf Kunst? Sind Sie bedroht worden? Kosminski: Soweit ging es nicht. Mir wurden Mails geschickt, in denen man mich beleidigte. Es wurde auch der Versuch unternommen, mich einzuschüchtern. Manchmal habe ich das Gefühl, in ein Wespennest gestochen zu haben. Interessant wäre für mich zu wissen, was sich da eigentlich entlädt. Es gab ja auch viele Premieren-Besucher, die begeistert waren. An diesem Abend waren die Reaktionen sehr emotional in beide Richtungen. Das war für mich eine neue und wichtige Erfahrung. Am NTM waren Sie bislang gar nicht als Provokateur aufgefallen. Hat Sie die Gattung zu extremen Darstellungen provoziert? Kosminski: Ich beschäftige mich mit dem Inhalt des Stoffes. Bei Uraufführungen gilt es, das Stück zu präsentieren. Da nehme ich mich zurück. Bei Klassikern muss ich aber eine Interpretation finden. Da will ich mit einem klaren Konzept arbeiten und die Kernfragen des Plots beantworten. Die Partitur des "Tannhäuser" ist nicht so dicht wie Wagners Spätwerk. Hier gibt es in sich geschlossene Nummern - und es finden sich immer wieder Generalpausen, in denen Wagner seine Musik anhält. Wenn unter einer solchen Pause auch noch der Vermerk "lange Pause" steht, dann reizt mich das, die Musik auch einmal anzuhalten und eine Spielszene einzuschieben. Aber all das kommt aus dem Inhalt der Vorlage.
> Kritiken „Tannhäuser“ : TANNHÄUSER Das saß und traf ins Mark eines saturierten und gestern ganz auf wohltimbrierten Genuss eingestellten holden bis dato noch gutgelaunten Premierenpublikums. Starker Tobak! Ich erinnere mich nur an wenige Abende in den letzten 40 Jahren, die so aufregend waren und an denen sich das Publikum dermaßen empört spaltete. Bei Zimmermanns "Soldaten" (1968) hielten sich am Ende, vor allem bei den Abo-Aufführungen, Zuschauer und darstellende Künstler die Waage; öfter zählte ich mehr Darsteller als Besucher. Viel später in den 80-ern blieb mir Krämers "MacBeth" als Antikriegs-Oper noch in Erinnerung; mit landenden Kampfhubschraubern mitten im Wahnsinn eines Dschungel-Krieges. Oder seine kongenialen "Gezeichneten", wo sich das Düsseldorfer Publikum und die vor der Oper demonstrieren Tierschützer mehr über die friedlich auf der Bühne schwimmenden Zwergschwäne aufregten, als über die Leichenberge nackter Menschen im Finale. Nun ist es wieder soweit! Regisseur Burkhard C. Kosminski provoziert mit dem immer noch bis in die Gegenwart reichenden Trauma unserer deutschen Geschichte - von Ralph Giordano auch als "zweite Schuld" benannt - unserer immer noch ungenügenden Vergangenheitsbewältigung. (…) eine solche Inszenierung [ist] nicht nur nötig, sondern auch wichtig. So wird der erste Akt, auch mittels der grandios, genialen Darstellerleistung des schwedischen Newcomer und Ex-Rocksänger Daniel Frank zum überzeugenden "Alptraum deutscher Geschichte". In den Wahnträumen Tannhäusers explodiert eine wahre Blutorgie als wären wir in einem Tarantino-Film - gleich eimerweise läuft das Kunstblut die Wände herunter. Kein schöner Opernabend zum anschließenden Champagner-Defilee. Eher ein Theaterabend, der aufrüttelt, schockiert und aufwühlt. Empörte Besucher und Ignoranten verlassen lärmend und demonstrativ türenschlagend den Musentempel. (…) Der zweite Akt, erkennbar am geänderten Bundesadler, spielt blutlos in der neuen Bundesrepublik: Staatsempfang beim Landesfürsten. Sänger-Concours. Man singt in der heiligen teuren Halle namens Opernhaus - natürlich ins Publikum. Da macht Rampengesang Sinn... Doch am Ende sehen wir, daß die Entnazifizierung doch noch nicht ganz stattgefunden hat, denn manche Minne-Sänger tragen unter ihrem Smoking noch ihre alten Original SS-Reiterhosen. Ute Lichtenberg (Kostüme) muß alle deutschen Nationalarchive geradezu geplündert haben - so echt wirken auch die kompletten Uniformen. Aber, mit Verlaub, was macht der Papst in seinem weisen Ornat in diese Partygesellschaft? Anspielung an die Rattenlinie? Jene von der römischen Kurie nach dem Krieg organisierte Weißwaschung und Verschiffung von Naziverbrechern mittels neuer Rot-Kreuz-Pässe nach Südamerika? Eine intelligente Inszenierung. War der zweite Akt dann schon wieder pulsberuhigend bis auf die untoten KZ-Insassen, die zombiegleich unseren Minnesänger wohl nach Rom geleitet haben, kommt es im dritten Akt wieder knüppeldick. Wolfram bedrängt die mittlerweile ins Kloster gegangene Elisabeth und vergewaltigt sie, worauf sich Elisabeth die Pulsadern aufschneidet, um allerdings dann im finalen großen Nazi-Staatsbegräbnis als real brennender Engel (…) wieder aufersteht, während Tannhäuser laut schreiend, vor Spalier stehenden Nazigrößen, dem Wahnsinn verfällt. Dank an Christoph Meyer und Burkhard C. Kosminski für diesen wahrscheinlich international besten und intelligentesten Beitrag zum Wagner-Jahr 2013 - wahrlich eine Großtat!
Vergeben können nur die Opfer Nach 20 Minuten ist es so weit: Das Auditorium probt den Aufstand. Es ruft "Buh", brüllt "Vorhang zu" und übt sich in Fäkalsprache. Auch die Frage, was dies alles mit Kunst zu tun habe, wird lautstark gestellt. Unheil kommt über uns. Menschen gehen. Türen fallen ins Schloss. Ein Theaterskandal. Es ist aber auch einiges passiert. Nackte Frauen und Männer waren zur Ouvertüre unter dem Reichsadler in Glaszellen vergast worden. Ein Mann war mit Hakenkreuzbinde marschiert. Und als Höhepunkt aller Provokation war eine Familie auf die Bretter gezogen, ausgezogen, geschoren und erschossen worden. Dies geschieht zwischen 1. und 2. Szene. Blut rinnt. Grauen dräut. Und das final leuchtende E-Dur der Sirenenmusik ist längst verpufft. Die Ruhe provoziert Protest. Das ist gewollt. Theater will, soll, ja muss aufrütteln. Das gehört zu seinem Wesen. Düsseldorf. Deutsche Oper am Rhein. Burkhard C. Kosminski feiert sein Debüt als Opernregisseur. Ein Paukenschlag! Von (Calixto) Bieito bis (Theresia) Walser sind viele seiner Weggefährten dabei. Aber tappt Mannheims Schauspielchef hier gleich in die NS-Falle? Jein! Wagners "Tannhäuser" hat er zwar neu gelesen, umgekrempelt, ja: an den Rand des für Wagner-Freunde Erträglichen manövriert. Doch wie - das hat durchaus Herzschlagpotenzial. Aus dem "Homo duplex" Tannhäuser, der zwischen sittlicher Zucht und sinnlicher Sucht wandelt, hat er einen "Homo horribilis" gemacht, einen Täter, NS-Kriegsverbrecher, der immer wieder von Erinnerung, Schuld und Horrorvision eingeholt wird - und daran zerbricht. Die Venuswelt, jenes Reich, das er verlässt, um Freiheit zu erlangen, verführt nicht liebestoll; Venus ist eine asexuelle Frau in Uniform (Ute Lindenberg). Kosminski deutet das Dionysische als Rausch nationalsozialistischer Verführung, der er mit der Elisabethwelt die Scheinheiligkeit sich versteckender Täter in der hornbebrillten Adenauer-Ära dualistisch entgegengestellt. Er vertraut also nicht darauf, dass einer, der libidinösen Lieblingsbetätigungen nachgeht, nach Rom pilgern und (beim Papst vergebens) Vergebung suchen wird. Deswegen ist die Schuld, die auf Tannhäuser lastet, eine viel größere, ja: die kollektive Schuld der und des Deutschen. Unsere Schuld. Deswegen zerbricht Tannhäuser nicht am Zwiespalt zwischen Venus und Elisabeth. Deswegen ist Elisabeth auch nicht die brave Fromme, sondern eine, die ihn beim Wiedersehen in der "teuren" Wartburghalle wild bespringt. Also Jungfrau ist die nicht. Überzeugende Psychologie Freilich, nicht alles geht auf. Die Deutung ist eine Verbiegung. Wer festhält an der Sex-kontra-Moral-Polarität, ist verloren. Die Verbindung zwischen Venus und der NS-Zeit ist das Satanische und die ästhetisch-romantische Komponente des Faschismus. Das macht alles nur noch grausamer und lässt die Reinheit der Gegenwelt erst gar nicht zu, obwohl die hochästhetische Bühne Florian Ettis dies gern hätte. Es braucht schon Willen, dem allen so zu folgen. Richtig überzeugend indes: die psychologische Zeichnung Tannhäusers, Elisabeths und Wolframs. Jeder dieser Drei zerbricht. Tannhäuser an der Schuld, die auch unsere ist, Elisabeth an der Nicht-Vergebung der Schuld, Wolfram an allem und seinem Waschlappen-Ich. All dies zeichnet Kosminski konzentriert und kann dabei auf herausragende Sänger bauen, die vom Mannheimer (und Düsseldorfer GMD) Axel Kober am Pult, von Orchester und Chor meist bestens unterstützt werden. Die Sensation: Daniel Franks Tannhäuser. Der ehemalige Rockstar aus Uppsala lässt bei seinem Deutschlanddebüt die Wagnertenöre vieler Jahre hinter sich. Kraftvoll, gesund, in idealer Mixtur aus weich und kernig strahlt er, mit Farben, Gefühlen, Seelenzuständen, die unter die Haut gehen. Der Mann muss dringend nach Bayreuth! Ex-Mannheimer Markus Eiche (Wolfram mit brillantem Heldenbariton) und NTM-Kraft Thomas Jesatko (Biterolf mit schön bissigem Timbre), Elisabet Strid (makellose Elisabeth mit traumhafter Stimmführung) und Elena Zhidkova (Venus mit Biss) liefern Exzellentes ab. Vergeben können bei Kosminski nicht Papst oder Kirche, sondern nur die Opfer. Es gehört zu den emotionalen Gipfeln, wenn am Ende der Hirte, der das Kind des erschossenen Paares vom Anfang ist, Tannhäuser zur Vergebung der Sünden einen Blumenstrauß reicht. Des Priesters Stab grünt also wieder. "Dem Sünder in der Hölle Brand soll so Erlösung neu erblüh'n." Elisabeth brennt. Wagner dreht noch ein paar triumphale Friedenskurven in Es-Dur. Der Vorhang fällt. Viel Jubel. Viel Entrüstung. Ein an- und aufregender Abend, der uns lange beschäftigen wird. (Mannheimer Morgen, 06.05.2013)
Schuld und Sühne Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski debütiert in Düsseldorf als Opernregisseur – Sein „Tannhäuser“ ist spannend, manchen finden auch skandalös Mannheimer Familientreffen an der Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf. Aktuelle und ehemalige Ensemblemitglieder, der Ex-Generalmusikdirektor Axel Kober und der gerade erst vom Schauspieldirektor zum Schauspielintendanten beförderte Burkhard C. Kosminski machen aus Wagners „Tannhäuser“ einen aufregenden Opernabend. Kosminskis Regie sorgt dabei für mächtig viel Betrieb. Der Widerspruch war groß, die Aufregung immens. Frischer Wind für den „Tannhäuser“, bei dem es einem mitunter eiskalt wurde. Bei Wagner geht es immer um die letzten Dinge. Darunter macht er es nicht. Schuld und Sühne sind so ein existenzialistisches Thema, das vom „Holländer“ bis zum „Parsifal“ durchdekliniert wurde. Meistens taugt die Frau als Retterin, als Erlöserin, als Entsühnerin. Mannheims Schauspielintendant sieht das anders. Ganz anders. Die finale Erlösung, also das typisch Wagnersche metaphysisch aufgeladene Happy End, bleibt aus. Und die Frau, nun, die hat als Erlöserin dann wohl auch ausgedient. Tannhäuser, der Anti-Held, der Unangepasste, nicht Vermittelbare, nicht zu Integrierende, was hat der eigentlich durchgemacht, erlebt, erlitten, vielmehr noch verbrochen, dass er ausgeschlossen wird von der Gemeinschaft seiner Mitmenschen? Wie übel reicht die Schuld an seinen Fingern, dass ihm niemand mehr die Hand reichen will. Wie viel Blut klebt auch daran? Viel, sehr viel, erzählt uns Kosminski im Bühnenbild von Florian Etti und den Kostümen von Ute Lindberg. Die Ouvertüre zur Oper wird zur Schocktherapie. Nackte Menschen hinter Glas beobachten einen von schlechten Träumen zerquälten Tannhäuser – ehe sie ins Gas geschickt werden. Wenn später, im zweiten Akt, Elisabeth gegenüber der zur Lynchjustiz bereiten Wartburggesellschaft betont: „Nicht ihr seid die Richter“, dann ist das einer der vielen aufregenden Momente dieser Inszenierung, in dem Kosminski KZ-Häftlinge auf Tannhäuser zumarschieren lässt. Doch wenn nach der Ouvertüre eine Familie auf offener Bühne entkleidet wird, Vater und Mutter kahlgeschoren du erschossen werden, dann scheint eine Grenze erreicht. Der Widerstand im Publikum äußert sich heftig. Dabei hat Kosminski eigentlich diese Schuldfrage nur einmal ganz ohne Rücksicht gestellt. Er findet den Kriegsverbrecher Tannhäuser – und entdeckt zugleich die Verdrängungsmechanismen der Wartburggesellschaft. Alle haben sie Blut an den Fingern kleben. Der Reichsadler der Venuswelt des ersten Aktes wird durch den Bundesadler auf der Wartburg ersetzt. Die Botschaft ist klar: Es waren die Tannhäusers dieser Republik, die den erfolgreichen Nachkriegsstart ermöglicht haben. Koste es, was es wolle. Zum Beispiel die Frau: Elisabeth. Die hatte sich in einen smarten Typen verliebt, der offensichtlich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist. Dieser Teufel heißt Venus. Und hier bewegt sich Kosminskis Regie dann auf dünnem Eis. „Die Verführung durch die Venus ist in meiner Inszenierung eine Verführung zum Faschismus“, erklärt er im Interview des Programmhefts. Und das heißt? Ist es etwa die Frau, deren Sexualität – denn um diese, vielmehr um deren Unterdrückung, geht es Kosminski im gesamten zweiten Akt – die uns Männer zu Massenmördern macht? Seine Fokussierung auf die Schuld der Titelfigur übersieht schlichtweg, dass der Text, viel mehr aber noch die Musik Wagners diese Schuld ganz klar benennen. Es geht, ganz simpel, um sinnliche Lust. Um Sex. Da hat einer unerlaubt die Liebesgöttin gepoppt, während sich die anderen mit ihren Ehefrauen langweilen. Dennoch ist Kosminskis Lesart aufregend, erregend, provozierend, und das hängt ganz wesentlich damit zusammen dass er aus Opernfiguren Charaktere macht. Menschen aus Fleisch und Blut. Es ist nachgerade atemberaubend zu sehen, wie der von Daniel Frank, der erst vor zwei Jahren von der Rockmusik ins Opernfach wechselte, großartig gespielte und fantastisch gesungene Tannhäuser unter dieser Schuld regelrecht zerbricht, zugrunde geht. Oder wie der vom früheren Nationaltheater-Ensemblemitglied Markus Eiche gespielte Wolfram langsam begreift, dass er genau wie Tannhäuser und alle andern Blut an den Fingern kleben hat. Er kann das Elend nicht mehr ertragen und sticht sich wie einst Ödipus die Augen aus, während Venus Tannhäuser die Hakenkreuz-Armbinde wieder überstreift. Erlöst wird hier niemand. Man sieht sich im innersten Höllenkreis von Dantes „Göttlicher Komödie“. Das sind die Stärken dieser aufwühlenden Produktion, diese intensiven psychologischen Ausdeutungen der Person. Neben der überzeugenden musikalischen Leistung der Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober und weiteren sängerischen Höhepunkten wie etwa die Elisabeth von Elisabet Strid oder der Landgraf von Thorsten Grümbel und der Biterolf vom Mannheimer Ensemblemitglied Thomas Jesatko. (Rheinpfalz, 06.05.2013)
Tannhäuser vor Gaskammern Buh-Sturm für eine kühne Wagner-Deutung an der Rheinoper. Der Titelheld trägt die schwere Schuld eines Nazi-Verbrechers Düsseldorf. Adornos Satz, Gedichte nach Auschwitz zu schreiben, sei barbarisch, hat das Kunstverständnis der Bundesrepublik geprägt wie kein zweiter. Man dachte daran, als Samstag an Düsseldorfs Rheinoper „Tannhäuser“ Premiere feierte. Für Wagners Sängerkrieg öffnete sich schon zur Ouvertüre die Gaskammer. Nackte verendeten im Gift. Vor ihnen wälzte sich ein Held, dem die Geschichte zum Albtraum des Lebens geworden ist: Tannhäuser. Fröhliche Verdrängungsgesellschaft Das verstörende dieses Abends ist sein düsteres Kapital. Man sieht im zweiten Akt die fröhliche Verdrängungsgesellschaft und kommt nicht umhin, zu erinnern, dass selbst die Neu-Bayreuther Wieland und Wolfgang sich politische Diskussionen nach dem zweiten Weltkrieg verbaten. Sie zitierten trotzig Großvater Richard: „Hier gilt’s der Kunst.“ (Rhein-Neckar-Zeitung, 06.05.2013)
Skandal-Oper erregt ganz Düsseldorf Düsseldorf. Was für ein bizarres Timing. In München startet der NSU-Prozess und Düsseldorf leistet sich einen Opern-Skandal … mit Nazi-Uniformen, Gaskammern und Nackten auf der Bühne, denen der Schädel kahlgeschoren wird! Aufruhr im Zuschauerraum bei der Premiere von Richard Wagners „Tannhäuser“ am Samstagabend. „Aufhören! Pfui! So was gibt es nur in Düsseldorf!“ schimpfen zahlreiche Zuschauer. Wütende Buhrufe, „Beleidigung“ und „Alptraum“ war zu hören. Verärgerte Zuschauer flüchteten schon nach einer halben Stunde von ihren Plätzen, knallten beim Rausgehen laut die Türen zu. Selbst Bürgermeisterin Gudrun Hock, ausgemachter „Tannhäuser“-Fan, gab zu: „Ich habe den ersten Akt mit geschlossenen Augen gehört.“ Selbst bei der Premierenfeier wurde Kosminski zur Zielscheibe der Wut – Intendant Christoph Meyer musste die Empörten zur Ordnung rufen. Aber es gab auch andere Stimmen: Stadtsprecherin Natalia Fedosenko und Stadtmuseums-Direktorin Dr. Susanne Anna fanden den umstrittenen Opernabend „einfach toll!“. (Express Düsseldorf, 06.05.2013)
> Kommentare zu „Tannhäuser“ : "Tannhäuser"-Skandal: Im Land der Täter und Sanitäter Die Deutschen ermordeten sechs Millionen Juden, aber wenn man sie daran erinnert, rufen einige neuerdings den Arzt. Weil Zuschauern übel wurde, setzte die Düsseldorfer Oper eine umstrittene "Tannhäuser"-Inszenierung ab. Ob die wirklich ein Skandal ist? Mag sein. Ihre Absetzung ist sicher einer. Der Komponist Richard Wagner war ein ekelhafter Antisemit, seine Opern wurden von führenden Köpfen des nationalsozialistischen Politiker-Packs geliebt und zum Inbegriff deutscher Kultur-Wertarbeit verklärt. Deshalb liegt es ziemlich nahe, zwischen Wagners möglicherweise genialem musikalischem Werk und den Verbrechen der Nazis Verbindungen herzustellen. Der Regisseur Burkhard Kosminski, 51 Jahre alt und im Hauptjob Schauspielintendant in Mannheim, hat am vergangenen Samstag in Düsseldorf sein Debüt als Opernregisseur präsentiert. Eine "Tannhäuser"-Inszenierung, in der ziemlich zu Beginn einige Statisten zu sehen waren, die sich in Glaskästen bewegten. In denen stieg weißer Rauch auf, was offensichtlich an die Gaskammern der nationalsozialistischen KZs erinnern sollte. Wenig später sah man den Darsteller des Tannhäuser eine Familie erschießen. Schon während der Premiere gab es laute Proteste im Zuschauerraum, auf der Premierenfeier wurde Kosminski heftig attackiert. Ob seine Aufführung wirklich skandalös ist, wie manche Kritiker meinten, oder hochinteressant und erschütternd, wie andere schrieben, lässt sich nun nicht mehr überprüfen. Denn wer nicht in der Premierenvorstellung war (auch ich war nicht dort), der wird diesen Skandal-"Tannhäuser" nie zu sehen bekommen. Am Mittwoch hat der Düsseldorfer Opernintendant Christoph Meyer verkündet, dass er alle weiteren Vorstellungen der Kosminski-Inszenierung kippt. Der "Tannhäuser" wird künftig nur noch konzertant gespielt. Besonders bemerkenswert an dieser Absetzung ist deren Begründung. Ausschlaggebend, so Meyer, waren nicht negative Kritikerstimmen oder die Kampagne der Lokalzeitung "Rheinische Post", die sogar den israelischen Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, zu der ziemlich kühnen, weil sehr allgemeinen Stellungnahme veranlasste: "Jegliche Verwendung von Nazi-Symbolen in einem solchen Rahmen ist fehl am Platz." Entscheidend, so Meyer, sei allein gewesen, dass "einige Szenen, insbesondere die sehr realistisch dargestellte Erschießungsszene, für zahlreiche Besucher sowohl psychisch als auch physisch zu einer offenbar so starken Belastung geführt haben, dass diese Besucher sich im Anschluss in ärztliche Behandlung begeben mussten". Er habe die "Tannhäuser"-Arbeit gekippt, weil "wir eine solch extreme Wirkung unserer künstlerischen Arbeit nicht verantworten können". Wie immer es um Kosminskis nicht mehr zu beurteilende Regiekunst im Fall "Tannhäuser" bestellt sein mag: Diese Argumentation setzt im Kulturkampf zwischen Regisseuren und denen, die ihre Arbeit ablehnen, neue Maßstäbe. Jahrzehntelang haben deutsche Theaterbesucher nach dem Staatsanwalt oder nach der Politik gerufen, wenn ihnen eine Inszenierung nicht gefiel, wenn sie ihre religiösen oder sittlichen Gefühle verletzte. Es war fast immer vergebens. Selbst als der große Musiktheater-Erneuerer Hans Neuenfels vor über 30 Jahren in Verdis "Aida" das Liebespaar Aida und Radames in einer Gaskammer ihr Leben ausröcheln ließ (was in einer Verdi-Oper keineswegs näher liegt als bei Richard Wagner), blieb, so erzählen uns die Älteren, diese legendäre Frankfurter Inszenierung auf dem Spielplan - trotz aller wütenden Proteste. Der zürnende Kulturbürger von heute aber ruft nicht nach Justiz und Obrigkeit, er ruft nach dem Sanitäter. Mindestens zehn Premierenbesucher, so wird in Düsseldorf berichtet, hätten sich nach der Premiere in ärztliche Betreuung begeben müssen. Das hat für die Absetzung gereicht. Die Deutschen haben in ihrer jüngeren Geschichte sechs Millionen Juden umgebracht, aber wenn sie im Jahr 2013 auf einer Opernbühne daran erinnert werden, rufen sie nach dem Onkel Doktor. Selbst wenn einer oder mehrere der Zuschauer wirklich medizinischer Betreuung bedurften - für die Streichung einer Regiearbeit kann das nicht ernsthaft als Begründung dienen. Die "Tannhäuser"-Aufführung, so schrieb der Kritiker Frank Pommer in der sehr bürgerlichen Tageszeitung "Rheinpfalz", "mutet uns drastische Bilder zu. Sie mutet uns zu, über das Werk nachzudenken, sie verstört uns und konfrontiert uns mit der deutschen Geschichte, indem sie Tannhäusers Sünde als deutsche Urschuld schlechthin zeigt." Pommer schrieb, seiner Meinung nach sei Kosminskis Regiearbeit in entscheidenden Punkten nicht geglückt, doch sei sie selbst im Irrtum von beeindruckender Stringenz und "erschüttere die Zuschauer". Diese Erschütterung wird künftig in Düsseldorf nicht mehr stattfinden, sozusagen auf ärztliche Empfehlung. Wenn dieses Beispiel Schule macht, werden wir auch im Kino, im Theater und im Museum bald keine Bilder von den Verbrechen der Nazis mehr sehen dürfen. "Die Belastung", werden die Zensoren wie der Düsseldorfer Opernchef Meyer sagen, "ist nicht zu verantworten." (Spiegel online, 10.05.2013)
Offener Brief zum "Tannhäuser"-Skandal: Wagner wagen! Darf man Wagners Werke mit Nazi-Assoziationen inszenieren? Unbedingt, finden die israelischen Künstler Udi Aloni und Itay Tiran. Sie fordern eine Wiederaufnahme der abgesetzten "Tannhäuser"-Produktion an der Oper Düsseldorf. Wir dokumentieren ihren Offenen Brief. Die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf hat Burkhard C. Kosminskis "Tannhäuser"-Inszenierung nach der Premiere am 4. Mai 2013 abgesetzt - direkt vor der zweiten Aufführung. Denn dem Auftakt der Produktion folgte ein massives Medienecho, in dem die Aufführung als "Nazi-Oper" diffamiert wurde. Wir dagegen glauben, dass dieser Angriff zu einer Zeit kommt, in der das Stück den Nerv in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft trifft, die es ablehnt, sich mit dem Trauma ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Für uns ist es pure Ironie, wenn Israel einerseits jegliche Aufführung von Wagners Werken wegen dessen Nazi-Assoziationen verbietet - und gleichzeitig der israelische Botschafter protestiert, dass ein deutscher Regisseur Wagners mögliche NS-Verstrickungen aufzeigt. "Jegliche Verwendung von Nazi-Symbolen ist fehl am Platz", sagte er der "Rheinischen Post". Es ist keine Überraschung, dass es Wagner-Anhängern davor graut, wenn jemand diese unausgesprochene Verbindung herstellt, die den Festakt zu Wagners 200. Geburtstag stören könnte. Aber sollte es deshalb in Deutschland verboten werden, Wagners Antisemitismus als zentrales Thema ins Rampenlicht zu rücken? Wir glauben, dass Wagners Musik etabliert genug ist, um einen Umgang mit zwei gegensätzlichen Perspektiven auf sein Werk zu erlauben. Dies gibt dem Publikum das gute Recht, eine Aufführung auszubuhen - nicht jedoch einem Theater, sie zu zensieren. Die genannte Inszenierung wurde mit der Begründung abgesetzt, dass von der Produktion eine gesundheitliche Gefährdung für das Publikum ausgehen könnte - ganz so, als ob Kunst eines Terrorangriffs bezichtigt werden könnte. Wenn heute militante Kunst, so wie sie der Philosoph Alain Badiou definiert, innerhalb eines etablierten Theaters aufkommen kann, sollten wir diese als Wunder wertschätzen und sie nicht in die Komfortzone der etablierten Kunst zurückdrängen. Die Frage, die sich gegenwärtig in Israel stellt, ist folgende: Wer hat das Recht, Nazi-Symbole auf der Bühne einzusetzen? In zwei aktuellen israelischen Produktionen hat der Schauspieler Itay Tiran, einer der Unterzeichner dieses Briefes, erst im Rahmen einer "Cabaret"-Inszenierung einen Auschwitz-Häftlingsanzug getragen und dann in Sobols Stück "Ghetto" in voller SS-Montur Juden auf der Bühne niedergeschossen. Tatsächlich werden also nicht die Symbole der Nazis zensiert, vielmehr gibt es ein Bedürfnis, diese Symbole so fern wie möglich von Wagner zu halten. Als Mitglieder der kulturellen Gemeinschaft Israels lehnen wir grundsätzlich die offizielle Position der israelischen Regierung ab; das heißt, wir denken auf der einen Seite, dass Wagner in Israel so gespielt werden sollte, als stünde er in keiner Beziehung zur Nazi-Bewegung, während wir ebenfalls daran glauben, dass ein deutscher Regisseur das Recht hat, Wagners Werk in Verbindung mit nationalsozialistischen Haltungen zu interpretieren. Wir ersuchen deshalb den Direktor der Deutschen Oper am Rhein, Prof. Christoph Meyer, die Inszenierung wieder aufzunehmen. Nicht nur für die Meinungsfreiheit oder das Recht des Publikums, ein Werk auszubuhen oder zu feiern - sondern auch für das Recht der Kunst, mehr als bloße Unterhaltung liefern zu dürfen. (Spiegel online, 30.05.2013) Polarisieren gehört dazu Freiheit oder Feigheit Es stimmt schon: Nicht nur auf die Freiheit selbst trifft zu, dass sie für die einen dort ende, wo sie für andere beginne. Selbiges lässt sich auch über die Kunst sagen, deren Freiheit immer und immer wieder gefordert wird, ist sie doch, nicht zuletzt nach Schiller, "eine Tochter der Freiheit" selbst. Hat der Düsseldorfer Fall mit der Sicht von Mannheims Schauspielchef Burkhard C. Kosminski auf Wagners "Tannhäuser" nun mit Freiheit zu tun? Hat Kosminski mit seiner Deutung von Tannhäusers Schuld als Kriegsverbrecher, mit der Darstellung der Vergasung von Gefangenen und der Erschießung eines Ehepaares die Freiheit anderer verletzt? Nein, das hat er nicht! Verletzt hat er allenfalls deren Gefühle. Doch täglich werden solche Szenen im Fernsehen gezeigt. Wer sie nicht sehen will oder kann, drückt auf den Knopf. Auch die moralische Anstalt Theater ist keine reine Wohlfühl-Zone - zudem hat sie Türen, die in Düsseldorf vielleicht von zu wenigen genutzt wurden. Es stimmt zwar: Kosminski ist weit gegangen - sowohl in der Deutung als auch den ästhetischen Mitteln; Nacktheit, Erschießung und der Nationalsozialismus bringen die Menschen immer in Wallung (wobei jüdische Symbolik hier nicht einmal vorkommt - die beklagten Opfer sind hier alle: Kommunisten, Homosexuelle, Sinti, Roma, Juden?.?.?.). Seine geschichtskritische Sicht übertrifft aber nicht einmal einige Bilder aus dem Autodafé von Verdis "Don Carlo" - auch dort werden Systemgegner (in Gottes Namen) dem lodernden Scheiterhaufen übergeben. Der Skandal ist hier keineswegs die Inszenierung; sie geht an jene Grenzen, die wir alle von der Kunst immer wieder fordern und die Wagner selbst immer wieder überschritten hat. Der Skandal ist, dass die Führung der Düsseldorfer Oper Kosminksi im Stich lässt, obwohl man seine Sicht der Dinge im Vorfeld intensiv und kritisch diskutiert und sich dahinter gestellt hat. Niemand hat die Absetzung gefordert. In vorauseilendem Gehorsam hat Düsseldorfs Intendant Christoph Meyer eigenwillig gehandelt - und aus der "Tochter der Freiheit" eine Gefangene der Feigheit gemacht. (Kommentar von Stefan M. Dettlinger in Mannheimer Morgen, 10.05.2013)
Erste Hilfe Die umstrittene „Tannhäuser“-Inszenierung an der Düsseldorfer Rheinoper wurde abgesetzt. Auf Beschluss des Intendanten Christoph Meyer soll die Produktion nur noch konzertant gezeigt werden. Mannheims Schauspielchef Burkhard C. Kosminski hatte bereits die Ouvertüre mit provozierenden KZ-Szenen illustriert. Nackte Statisten, eingesperrt in Glaswürfel, werden „vergast“, auch der Minnesänger Heinrich von Ofterdingen alias Tannhäuser beteiligt sich als SS-Mörder an Erschießungen. Die Proteste bei der Premiere waren enorm, etliche Zuschauer mussten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Meyer begründete die ungewöhnliche Maßnahme damit, dass er „eine solch extreme Wirkung unserer künstlerischen Arbeit nicht verantworten könne“. Zuvor hatte der Regisseur die Bitte, Szenen zu ändern, aus künstlerischen Gründen abgelehnt. (FAZ, 10.05.2013) Kritik an der Absetzung des „Tannhäusers“ (dpa-Meldung in Süddeutsche Zeitung, 17.05.2013)
Der Skandal danach Burkhard C. Kosminskis „Tannhäuser“ ist eine Zumutung. Die erste Opernregie des Mannheimer Schauspielchefs mutet uns drastische Bilder zu, Nacktheit, Gaskammern, Exekutionen, eine Vergewaltigung. Sie mutet uns zu, über das Werk nachzudenken, sie irritiert, verstört uns, konfrontiert uns mit der deutschen Geschichte, indem sie Tannhäusers Sünde als deutsche Ur-Schuld schlechthin zeigt: als den Holocaust. Das mag mit dem Stück nur bedingt etwas zu tun haben, an entscheidenden Punkten geht dieser Interpretationsgriff auch ins Leere beziehungsweise schießt über das Ziel hinaus. Eines aber tut dieser „Tannhäuser“ aber sicherlich nicht, obwohl ihm auch dies vorgeworfen wurde: Er verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus nicht. Ganz im Gegenteil. Er erschüttert den Zuschauer, indem er das Leid der Opfer und die grausame Vernichtungsmaschinerie der Nazis vor Augen führt. Die Premiere, die ja nun die einzige szenische Aufführung bleiben soll, jedenfalls war ein zutiefst beunruhigender Abend, der lange nachwirkt. Das ist nicht das Schlechteste, was Kunst erreichen kann. Denn Kunst muss verstören, aufwühlen dürfen. Sie muss eine Zumutung sein dürfen, auch gegen den Widerstand einzelner im Publikum – die allermeisten blieben ja im Opernhaus. Düsseldorfs Intendant Christoph Meyer hat dem auch von der „Bild“-Zeitung angefeuerten Druck nun nachgegeben, obwohl er das Regiekonzept mitgetragen hatte. Das ist der eigentliche Skandal (Kommentar von Frank Pommer in Die Rheinpfalz, 10.05.2013)
Wo endet die Freiheit der Kunst? In der Operncommunity gilt seit längerem die These, man könne ein Theaterwerk von Richard Wagner, dessen sämtliche Werke im Nationalsozialismus zu faschistischer und anti-jüdischer Propaganda instrumentalisiert wurden und die selber eine Vielzahl an antisemitischen Vorstellungen und Formulierungen enthalten, nicht mehr ohne das Wissen um diese Wirkungsgeschichte auf die Bühne bringen. Man muss zur Wirkungsgeschichte als Regisseur eine Haltung entwickeln. Dass die romantische Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg aus dieser Perspektive ein undankbares Werk ist, sei nur am Rande erwähnt. Der Tannhäuser enthält überhaupt keine antisemitischen Aspekte, die sich in anderen Werken Wagners zu Hauf finden – offen oder subkutan.
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