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Kosminski stellt sich am Nationaltheater Mannheim einer Traditionsbühne und neuer Dramatik
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Offener Brief an die Bundesregierung

Theaterchef fordert Soli-Zuschlag für Kultur, Spiegel Online >

Offener Brief von Burkhard C. Kosminski an die Bundesregierung, Juni 2014:

"Die Kultur erlebt einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß"

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Wanka, sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters, sehr geehrte Frau Ministerin Bauer, sehr geehrter Herr Minister Stoch,
das Nationaltheater Mannheim wurde 1839 von einem Hoftheater in die städtische Trägerschaft überführt. Es ist heute das älteste kommunale Theater der Welt. Das Nationaltheater war in diesen 175 Jahren immer ein Zentrum der Öffentlichkeit und Ort des Austauschs unter Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, vor allem aber war es Ausdruck selbstbestimmter Bürgerlichkeit und selbstbestimmten Lebens. Die Sorge darüber, dass Kultur und Bildung in absehbarer Zukunft diesen Stellenwert in unserer Gesellschaft verlieren, veranlasst mich Ihnen diesen Offenen Brief zu schreiben.
Ganz herzlich möchte ich Sie alle für den Herbst 2014 nach Mannheim einladen, um darüber nachzudenken, ob das bisherige Modell Kultur und Bildung von einander zu trennen, noch zeitgemäß ist, oder ob es nicht notwendig ist, gemeinsam eine neue Vision für die Zukunft zu entwickeln. Die Kultur erlebt einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß; die öffentlichen Diskussionen sind von Fatalismus geprägt; die Demokratie scheint auf diese Herausforderungen nur schleppend zu reagieren. Die Schuldenbremse, die Bund und Ländern zwingend vorschreibt, von 2020 an keine Schulden mehr zu machen, wird die fatalen Konsequenzen der jetzigen Entwicklung schlagend deutlich machen: Es gibt keine Ziele mehr jenseits des Sparzwangs. Es gibt keine verbindenden Werte jenseits der Ökonomie.
Ich möchte nicht, dass unsere Kinder von Schulden erdrückt werden, ich will aber auch nicht, dass sie in einer orientierungs- und wertlosen Welt aufwachsen müssen. Deshalb halte ich es für eine gute Idee, den bislang für andere - und weitgehend erfüllte - Zwecke genutzten Solidaritätszuschlag der deutschen Steuerzahler umzuwidmen und zukünftig für Kultur und Bildung zu verwenden.

Warum dieser dramatische Appell? Die Situation ist nicht nur für viele Theater lebensbedrohlich. Laut Schuldenbremse muss der Bund sein strukturelles Defizit bis 2016 zurückführen. Die Länder dürfen ab 2020 keine Schulden mehr machen. Es ist schon heute absehbar, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für die Kultur einen radikalen Kahlschlag bedeuten wird. Wenn die Schuldenbremse greift, ist zu befürchten, dass ein Großteil der deutschen Stadttheater und damit ein großer Teil der Kultur von der Landkarte verschwinden wird, denn wo sonst könnten die Kommunen streichen als bei den "freiwilligen Ausgaben" für Kultur?
Für die schon heute unterfinanzierten Städte droht eine Ungleichheit nicht nur ökonomisch sondern auch kulturell. Schon jetzt findet innerhalb der kulturellen Eigenbetriebe der Kommunen, wenn es zu Tariferhöhungen kommt, ein brutaler Verteilungskampf statt. Da viele Kommunen hier nicht wie in allen anderen städtischen Bereichen Tarifsteigerungen ausgleichen, stehen viele Theater seit Jahren unter einer dauernden Sparkuratel. Wohl in keiner anderen öffentlichen Institution wurde so viel gespart wie in den Theatern. Ich frage mich, ob es zulässig ist, von Zuschüssen zu sprechen - Universitäten und Krankenhäuser bekommen ja auch keine Zuschüsse, sondern sind gesetzlich vorgeschriebene Grundversorgung.
Auch Kultur und Bildung sind elementare Bestandteile einer Gesellschaft - wenn dieser Begriff "Gesellschaft" denn noch eine Bedeutung hat. Was passiert, wenn das nicht der Fall ist, kann man in vielen europäischen Ländern sehen. In Griechenland und in Italien wurden zahlreiche Theater und andere Kultureinrichtungen finanziell zugrunde gerichtet. Worum es - auch im größeren Zusammenhang - geht, zeigt sich am altehrwürdigen Teatro Valle in Rom. Ähnlich wie das Nationaltheater Mannheim war das Valle im Jahr 1822 eines der ersten Theater Europas, das Vorstellungen für die generelle Öffentlichkeit anbot.

Dieses Theater, in dem einst Mozart, Rossini und später Pirandello arbeiteten, wurde im Juni 2011 von Schauspielern, Theaterangehörigen aber auch anderen Bürgern besetzt, nachdem die kommunale Politik es an private Bieter verhökern wollte. Die Besetzung fand nur Tage nach einem öffentlichen Referendum in Italien statt, bei dem über 95 Prozent der Wähler dafür gestimmt hatten, Wasser als "bene comune", als Gemeingut zu sehen und die kommerzielle Privatisierung zu verbieten. Die Besetzer des Teatro Valle verlangten, dass Kultur wie Wasser auch ein Gemeingut ist, das gesetzlich garantiert werden soll. Mit der Unterstützung namhafter Anwälte schaffte es das Teatro Valle tatsächlich vor Gericht, seinen Status als Gemeingut zu verteidigen - und die Besetzung zu legalisieren.
Wollen wir solche Auseinandersetzungen schon bald auch in Deutschland? Es macht mich traurig und verzweifelt, dass Kultur heute nur über Subventionen definiert und ausschließlich ökonomisch diskutiert wird. Ich wünsche mir, gemeinsam mit Ihnen eine neue Wertedebatte zu führen, jenseits der zynischen Finanz- und Rentabilitätsdiskussion!
Warum sollten wir Angst haben vor einer solchen Auseinandersetzung? Warum können wir die Diskussion, wie wir selbst und unsere Kinder leben sollen und wollen, nicht offen führen?

Zeitgleich mit dem Theatersterben erleben wir eine dramatische Krise der Printmedien. Das Zeitungssterben droht viel umfassender zu werden, als wir uns im Moment noch vormachen. Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es in den vergangenen Jahren die größte Entlassungswelle in der Presse seit Kriegsende. Millionenverluste selbst bei den überregionalen Leitmedien haben zu Massenentlassungen, Einstellungsstopps oder zur Insolvenz wie bei der "Frankfurter Rundschau" geführt.

Theater, Kunst und Zeitung sind Refugien kritischer Selbstreflexion, ohne die es keine Meinungs- und Willensbildung geben kann, ohne die die Demokratie selbst ihren Wert verliert. Es macht mir Angst, dass gleichzeitig Theater und Zeitungen in dieser Weise bedroht sind. Wo werden wir künftig unsere Meinung sagen dürfen? Wir brauchen gemeinsame Werte, die in jeder Stadt offen und öffentlich diskutiert werden sollten. Solche Streiträume sind gelebte Demokratie und verhindern radikale Strömungen, Intoleranz und rechtsextreme Tendenzen.
Wenn wir es mit Demokratie ernst meinen, dann muss etwas geschehen. Ich wünsche mir, dass in dieser besorgniserregenden Situation die Politik ihrer Verantwortung gerecht wird. Wie soll die Welt aussehen, in der unsere Kinder zu Erwachsenen werden? Wie wollen wir alle in Zukunft leben? Die Fragen sind einfach, aber man muss sie stellen. Es geht nicht um komplizierte Sachverhalte, es geht um Haltung. Es geht darum, dass wir alle gemeinsam, aber auch Sie als Politiker im Besonderen, diese Verantwortung übernehmen.
In einer Wertedebatte sind Kultur und Bildung nicht länger voneinander zu trennen. Der Rückzug der Schulen in den Achtzigerjahren aus dem musischen und kulturellen Fächerkanon schlägt jetzt als kulturelles Defizit in diesen Generationen zurück. Die immense Bedeutung der kulturellen Bildung für die persönliche Entwicklung zeigt die Berliner Langzeitstudie von Hans-Günther Bastian (2000).
Föderalistische Bildungspolitik muss sich, wenn von kultureller Bildung gesprochen wird, neu aufstellen. Die Förderstruktur von Bund und Land muss neu diskutiert werden. Ich halte es für einen guten Vorschlag, in dieser dramatischen Situation den Solidaritätszuschlag umzuwidmen und zukünftig für Kultur und Bildung zu verwenden.
Mit der Nutzung dieser Abgabe für Kultur- und Bildungszwecke kann die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft erhalten werden und könnten auch die drängendsten bildungspolitischen Aufgaben erfüllt werden.
Und warum denken wir nicht auch darüber nach, ob der Rundfunkbeitrag auch den Printmedien zugutekommen könnte? Diese Steuer sollte kritischem Journalismus und der Medienvielfalt nutzen und nicht nur den Sendeanstalten und ihren Rentenempfängern.
Ich fordere außerdem gemeinsam mit vielen anderen die Vertreter der Bundesregierung auf, alles dafür zu tun, damit die Kultur aus dem derzeit diskutierten Freihandelsabkommen mit den USA herausgelöst wird. Kultur ist keine Handelsware.

Ich bitte Sie, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg, diese Debatte gemeinsam mit uns zu führen und lade Sie dazu ganz herzlich nach Mannheim ein, wo wir im Herbst das 175-jährige Jubiläum unseres Nationaltheaters in kommunaler Trägerschaft und damit im ältesten kommunalen Theater der Welt feiern.
Ich möchte gern gemeinsam mit Ihnen eine Vision zur Sicherung der Kulturnation Deutschland entwickeln und dieses Signal als Botschaft in die deutsche Kulturlandschaft senden.
Mit freundlichen Grüßen,
Burkhard C. Kosminski, Intendant Schauspiel Nationaltheater Mannheim

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Mehr Anstrengung wird belohnt
„Gegen den leicht fallenden Bundestrend (siehe Grafik) hat das Nationaltheater Mannheim für die Spielzeit 2013/14 einen deutlichen Besucheranstieg zu verbuchen: 392 687 Besucher - und damit 36 037 mehr als im Jahr davor zu den Spielstätten des Hauses am Goetheplatz kamen. […]

Das Schauspiel
Intendant Burkhard C. Kosminski verbucht einen neuen Besucherrekord: 126 640 Zuschauer besuchten 588 Vorstellungen. Damit erreicht die Sparte "die besten Besucherzahlen seit über 20 Jahren". Zuzuschreiben sei das natürlich auch dem Festival Theater der Welt sowie erfolgreichen hauseigenen Produktionen. Genannt werden hier die Theresia-Walser-Uraufführung "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel", "Die Glasmenagerie", "Der Kirschgarten", "Die Wildente", "Brilliant Adventures" oder die immerzu ausverkauften Vorstellungen der Peter-Stamm-Adaption "Agnes". Doch auch ohne den Festivaleffekt, rechnet das Theater vor, sei die Spielzeit die erfolgreichste seit 1997/1998.[…]“
(Mannheimer Morgen, 14.10.2014)

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Kulturpolitik: Das Nationaltheater Mannheim richtet drei Kongresse aus und sucht die bundesdeutsche Öffentlichkeit
Theater als Kongresszentrum
Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals

Ob er spielfilmtitelgemäß tanzen wird, der Kongress, kann keiner sagen. Aber er kommt, der Kongress, und zwar gleich in Mehrzahl, gar als Quartett. Weit ist der Weg zur Kulturhauptstadt und gepflastert mit Sonderveranstaltungen. Der Bürger muss ins Boot und ins Theater, wo er als Zuschauer Lücken lässt, als Akteur aber zunehmend gefragt ist.
Und so beginnt der theaternahe Tagungsreigen schon am Wochenende: Von 8. bis 10. November treffen sich gut 80 Teilnehmer zum Bürgerbühne-Kongress am Nationaltheater, dessen Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski die Idee zum vertiefenden Austausch gemeinsam mit Dresdens Intendant Wilfried Schulz entwickelte. Der Trend zum kommunalen Laientheater wird und wurde an vielen Theatern aufgegriffen - freilich auf unterschiedliche Arten, über die es in Mannheim nun zu diskutieren gilt. Prominente Redner wie Wolfgang Schneider, Leiter des Instituts für Kulturpolitik an der Uni Hildesheim (8.11., 16.15 Uhr), Bernd Stegemann, Dramaturgieprofessor an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" (8.11., 16.45 Uhr), oder Choreograph und Schillerpreisträger Royston Maldoom, 9.11., 13.30 Uhr) analysieren und bewerten das Phänomen der Bürgerbeteiligung an Theatern.
Nicht nur hier stehe "Mannheim im Fokus bundesdeutscher Öffentlichkeit und für Offenheit", so OB Peter Kurz. Die nachfolgenden Kongresse legten beredtes Zeugnis ab, wie "Theater in die Stadtgesellschaft" dringe.
Theater-Fachtagungen in Mannheim
• Bürgerbühne-Kongress (8. bis 10 November): 80 Theatermacher tauschen sich über Konzepte und Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung aus.
• Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft (23. bis 26. Januar 2014): 150-300 Dramaturgen, Verleger und Theaterleute sprechen über "Leben, Kunst und Produktion".
• Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins (12. bis 14. Juni 2014): 250-300 Intendanten und Kulturschaffende tagen zum Thema gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Theaterarbeit .
• Bundesfachkongress Interkultur "DiverCity" (6. bis 8. Oktober 2014): etwa 400 Teilnehmer. rcl
Auch die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft (23. bis 26. Januar 2014), bei der zwischen 150 und 300 Dramaturgen, Verleger und Theaterschaffende über die Zukunft des Theaters nachdenken, kommt wieder in die Quadratestadt. Auch hier zeugen Referenten und Teilnehmer wie Diedrich Diederichsen, Rolf Bolwin oder Matthias Lilienthal von der überregionalen Bedeutung der Fachtagung.
Ohnehin ist ja mit dem Festival "Theater der Welt" (23. Mai bis 8. Juni) unter Matthias Lilienthal die Welt zu Gast in Mannheim, so dass die Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins (12. bis 14. Juni 2014) mit etwa 250 Teilnehmern aus "der Crème de la Crème" des deutschen Theaterwesens, so Verwaltungsintendant Ralf Klöter, vorort folgerichtig erscheint. Hier will das Intendantenquintett auch über seine Erfahrungen mit dem neuen Leitungsmodell sprechen. Bürgermeister Michael Grötsch nennt dies "einen positiven Nebeneffekt".
Doch Peter Kurz blickt noch weiter voraus und kündigt für Oktober 2014 auch den 5. Bundesfachkongress Interkultur mit dem Arbeitstitel "diverCity" - dies nun allerdings im Rosengarten - an.
Lob und Anerkennung für das Nationaltheater gab es freilich von allen Mitgliedern des voll besetzten Podiums. Schließlich sei das Vorbereiten, Veranstalten und Abwickeln von gleich drei Kongressen dieser Art "nicht das klassische Betätigungsfeld des Hauses, das damit einen wichtigen Beitrag für die Stadt" leiste, so das Stadtoberhaupt. Über das "klassische Betätigungsfeld" selbst wurde hingegen nicht gesprochen.
(Mannheimer Morgen, 05.11.2013)

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Theater der Welt - Gelungene Mischung
Von Ralf-Carl Langhals

Der Ehrgeiz von Mannheims frischgekürtem Schauspielintendanten Burkhard C. Kosminski geht in viele Richtungen. Dazu steht ihm und Matthias Lilienthal mit "Theater der Welt" 2014 eine echte Herkulesaufgabe ins Haus am Goetheplatz. Und dennoch ist es ihm und seinem Chefdramaturgen Ingoh Brux gelungen, den wohl ausgewogensten Spielplan seiner Mannheimer Zeit vorzulegen. Seinen angloamerikanischen Schwerpunkt hat er nicht aufgegeben, aber sinnvoll reduziert. Auch die Förderung junger Autoren - die Berufung von Theresia Walser zur Hausautorin darf da als kuriose Ausnahme gelten - spielt in der kommenden Saison mit sechs Uraufführungen eine spannende Rolle. Mit renommierten Hoffnungsträgern wie Ulrike Syha, Philipp Löhle, Marianna Salzmann, Felicia Zeller und Thomas Arzt schließt er mit Verve an den großen Uraufführungsreigen seiner ersten Mannheimer Jahre an. Mit zwei mutmaßlich wilden Shakespeare-Projekten, der Bürgerbühne und der Literaturbearbeitung von Peter Stamms "Agnes" ist sein Programm breit aufgestellt, in dem er mit Henrik Ibsen und Anton Tschechow nun auch die letzte Lücke schließt. Die Mischung darf durchaus als gelungen gelten, auch, was die sehr unterschiedlichen Regiefarben angeht. Zeitgenossenschaft und Internationalität sind die idealen Wegbereiter für ein anregendes Theater der Welt - und 175 Jahre Kommunaltheater.
(Mannheimer Morgen, 15.05.2013)

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Burkhard C. Kosminski stellt sich am Nationaltheater Mannheim einer Traditionsbühne und neuer Dramatik
Aus: Theater der Zeit

„Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. Mit diesem Slogan warb die baden-württembergische Regierung einst für das Potential des „Ländles“. Hochdeutsch ist nicht die Stärke Mannheims, wo es eben „Badische und Unsympathische“  gibt, die eines noch weniger mögen als andere: Schwaben. Mannheim ist als Industrie – und Arbeiterstadt ein besonderes Pflaster, das großen Wert auf seine kulturelle wie einst kurfürstliche Identität legt. Das Nationaltheater ist eines der ältesten Abonnententheater der Theaterlandschaft, für die Größe der Stadt baulich überdimensioniert und fest im Bewusstsein der Bürger verankert. Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski ist zuvor nicht mit Schiller  aufgefallen (nicht gut). Dennoch hat er durch offenes Auftreten und enorme Einsatzbereitschaft bereits viele kurpfälzische Sympathiepunkte gesammelt.
Postalpines Volkstheater und amerikanischer Neorealismus heißen die Positionen, die
Kosminski konsequent zu besetzen weiß. Gleich zum Auftakt der Saison landet er einen veritablen Coup: Die Deutschsprachige Erstaufführung von Tracy Letts „Eine Familie/August: Osage County“ wird als Ensemblefeuerwerk zum Publikumsrenner der Saison und schaffte es eben leider nur fast zum Berliner Theatertreffen. Freilich strickt Letts sein komödiantisch-abgründiges Trauerspiel am Rande einer Beerdigung nach Tennessee Williams und Eugene O’Neill, doch seines langes Stückes Reise ist die menschliche Nacht erfährt eine derart mitreißende Aktualisierung, dass wir ihm gebannt dorthin folgen. Als Regisseur hat Kosminski bewirkt, dass familiäre Bosheit lachen macht, während im nächsten Moment feine Psychologie folgt. Gäste aus dem Ausland reisen an: Ging dem Schweden  Anders Paulin Büchners „Woyzeck“ verloren und vertanzte der Argentinier Alejandro Tantanian Kafkas Romanfragment „Amerika“, widmete sich der Isländer Egill Heidar Pálsson heuer erfolgreich Jonnas Hassen Khemiris „Invasion!“. Der Ungar András Fricsay Kali Son  inszeniert im Juni „Macbeth“, und die Schillertage (19.-27. Juni) werden durch den Katalanen Calixto Bieito („Don Carlos“) eröffnet – so international war das Mannheimer Schauspiel nie. Kontinuität zeigt man in Sachen Autorenpflege. …
Förderung zeitgenössischer Dramatik ist ein großer wie allenthalben inflationär kursierenden Begriff. In Mannheim gelingt derzeit – Fehlschläge durchaus inbegriffen – zunehmend eine Verdichtung des Begriffs. Reihen wie „FrühStücken „, „Autorentreff“ oder das germanistische Seminar „Hausautoren am Mannheimer Nationaltheater“ suchen in Werkhaus, Theatercafé und Universität den direkten Zuschauerkontakt. Daneben stehen Projektarbeiten wie „4x4“ (Juliane Kann, Lorenz Langenegger, Philipp Löhle, Ewald Palmetshofer) ebenso auf dem Spielplan wie die Autoren der Vorgängergeneration Danckwart, Walser oder Ostermaier.
Kosminski ist kein hysterischer Uraufführungssammler, kein Trashologe, sicher auch kein ästhetischer Avantgardist oder genialischer Weitwerfer, aber eben auch kein Nachklapperer und Vermeider. All das macht seine bisherige Arbeit in Mannheim so lebendig und sympathisch. Ganz in diesem Sinne spielen sich derzeit auch die Schillertage ab: nicht als hehre Werkschau zum 250. Jubeljahr an der „Räuber“-Uraufführungsbühne, sondern als Arbeitsfestival mit und an allen Ecken und Kanten der Stadt, die spürt, dass jemand sie ernst nimmt, nach Themen, Orten und Bezügen sucht, ohne seine theatralischen Vorlieben zu verleugnen. So komplex und doch so einfach kann gutes Stadttheater mit Anspruch und überregionaler Wahrnehmung sein, gelinder Ärger einer 70-jährigen Abonnentin die Vorfreude auf die nächste Premiere nicht schmälern kann: „Wissen Se, isch ärger misch schunn a oft, awwa isch frei misch immer uffs nägschde Mol.“ Die Mannheimer können eben alles. Außer das eine eben. …“

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„Über Burkhard C. Kosminski“
Rhein-Neckar-Zeitung, 22.10.2004 von Günther Hennecke

Er liebt die Offenheit der Rheinländer. Seit drei Jahren genießt er sie. Kosminski, in Pfullingen aufgewachsen, hat am Lee Strasberg Theater Institut und am William Esper Studio in New York Regie und Schauspiel studiert.
1988 inszenierte er dort George Taboris „Kanibalen“, ein Jahr später Eugen Ionescos „Unterrichtsstunde“ und wurde, vier Jahre vor seinem Start am Rhein, für die amerikanische Erstaufführung von Jonigks „Du sollst mir Enkel schenken“ mit dem Award für die erfolgreichste Inszenierung an der Westküste ausgezeichnet. Nicht gerade ein „klassischer“ Start ins Regie-Leben.
Nicht alltäglich war auch hierzulande sein Aufstieg in die Charts. Schon 2001 wurde er, beim jährlich stattfindenden NRW-Theatertreffen mit dem  Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Die hatte er dem Filmstoff „Das Fest“ von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov angedeihen lassen. Vom Filmstoff ließ er auch nicht, als er, nun in einer Leitungsposition, mit einer Adaption von  Lars von Triers „Dancer in the dark“ seine Visitenkarte in Düsseldorf abgab.
Mit „39.90“ schickte er gleich noch eine Uraufführung hinterher, die Dramatisierung des Romans von Frédéric Beigbeder. Schließlich griff Kosminski auch  noch auf Rainer Werner Fassbinder zurück, als er die „Ehe der Maria Braun“ auf die Düsseldorfer Bühne hievte. Nimmt man noch Kathrin Rögglas „Wir schlafen nicht“ die vierte Uraufführung von insgesamt acht Inszenierungen am Gustaf-Gründgens-Platz, spürt man freilich eher Kosminskis Tendenz „zeitgenössische Themen“ zu kreieren. „Dabei interessieren mich auch Geschichten, die wir auf dem Theater nicht haben.“
Was freilich nicht heißt, dass er um klassische Theaterstoffe einen Bogen macht.
Schillers „Kabale und Liebe“ inszenierte er erfolgreich am Rhein und die „Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams ist auch nicht von gestern.
Nach innen schwört Kosminski auf eine gemeinsam wachsende Ensemblestruktur.
Kosminski, nach eigenem Bekenntnis und Kritikerurteil alles andere als ein Stückezertrümmerer, will immer eine Geschichte erzählen.
Mannheim darf gespannt auf ihn sein.

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Der Autor, ein Teil des Profils
(Interview mit Jürgen Berger)

Autorenförderung nach Mannheimer Art.
Schauspielchef Burkhard C. Kosminski stellt seit vier Jahren Spielpläne vor, in denen neue Stücke die Hauptrolle spielen. Dafür hat das Nationaltheater in der vergangenen Spielzeit den Preis der deutschen Theaterverlage gewonnen.

MEIER Sie bleiben auch in der kommenden Saison Ihrer Linie treu und leiten ein ausgewiesenes Uraufführungsschauspiel. Warum sind Sie so sicher, dass man heute unbedingt Autoren fördern und Stückauftrage vergeben soll?
BURKHARD C. KOSMINSKI Na ja, als wir starteten, war da dieser Grundgedanke, dass ein Nationaltheater wie das Mannheimer für Zeitgenossenschaft und Autorenförderung steht. Dazu gehört vor allem, dass man Stückaufträge vergibt, sie vernünftig bezahlt und den Autoren auch Einnahmen über Tantiemen ermöglicht. Man sollte die neuen Stücke also auch im großen Haus spielen, damit Autoren etwas von den Abendeinnahmen haben. Das machen wir und spielen die Hälfte der Uraufführungen im Schauspielhaus. Bei uns kommt der Autor im Gegensatz zu den meisten anderen Theatern, tatsächlich im Wirtschaftsplan vor. Wir behandeln ihn nicht als Nische, sondern sagen, er ist ein Teil unseres Profils. Wir haben jährlich wechselnd einen Hausautor, in dieser Spielzeit Ewald Palmetshofer, der von den Freunden und Förderern des Nationaltheaters bezahlt wird, was wirklich außergewöhnlich ist. Außerdem treffen wir Absprachen über einen längeren Zeitraum, so dass der Autor weiß: Ich bin gemeint.
MEIER Was aber machen Sie, wenn Sie einen Stückauftrag vergeben, der Autor aber keine tragfähige Idee hat?
KOSMINSKI Es kommt ja auch vor, dass ein Autor sagt. Im Moment möchte ich das nicht machen. Sobald ich was habe, melde ich mich bei euch. So wie Regisseure und Schauspieler kreative Menschen sind und permanent etwas entwickeln, schreiben Autoren ja auch permanent und entwickeln neue Ideen. Wenn dann gerade nichts Tragfähiges da ist, sagen seriöse Autoren: Ich brauche gerade eine Pause.
MEIER Welche Fehler kann man in solch einem Prozess machen?
KOSMINSKI Na ja, es kann passieren, dass ein Stücktext zu spät fertig wird Die Bauproben stehen schon vor der Tür, der Text allerdings ist noch nicht da. Da muss man ehrlich sein, und das als Problem benennen. Der größte Fehler ist allerdings, beim Lektorieren über Ungereimtheiten im Text hinweg zu gehen Da sind wir hier in Mannheim im Lauf der Jahre allerdings besser geworden.
MEIER Wollen Sie sagen, dass Sie inzwischen in harte Auseinandersetzungen mit dem Autor gehen?
KOSMINSKI Ja, und ich mache die Erfahrung, dass die das sehr schätzen. Beschäftigt man sich mit einem Exposé oder der ersten Fassung eines Stückes sehr genau, sind Autoren sehr dankbar für ein genaues Lektorat, spiegeln im Gegenzug den Probenprozess und sind sehr wichtige Partner für Regisseure und Schauspieler.
MEIER Wenn Sie den Spielplan mit Klassikern bestücken, wissen Sie, was auf Sie zukommt. Beim neuen Stück ist das völlig anders. Sobald der Text da ist, muss er zuerst einmal wahrgenommen und eingeordnet werden. Gibt es für Sie eine Obergrenze neuer Stücke pro Saison?
KOSMINSKI Es gibt keine Obergrenze. Ich sehe das eher wie im Fußball als eine Frage der taktischen Ausrichtung. Beim Klassiker muss man eine eigene Haltung entwickeln, ein neues Stück dagegen, das noch nicht auf der Bühne erprobt wurde, muss man zuerst einmal auf die Welt bringen.
MEIER Ist es manchmal sehr schwierig, die nötige Kombination von Text und Regisseur zu finden?
KOSMINSKI Na ja, es ist ja nicht so, dass Autoren sagen, Hauptsache min Text kommt auf die Bühne. Gerade wenn man, wie wir in Mannheim, in starkem Maß mit bereits arrivierten Autoren arbeitet, dann haben die Wünsche. Und auf der anderen Seite sind da auch Regisseure, die sich mit bestimmten heutigen Autoren besser auskennen, so dass wir die Frage, wer inszeniert welches neue Stück, ganz und gar nicht nach Gutsherrenart entscheiden können.
MEIER Gibt es eine Faustregel wie: Ein schwieriger neuer Text sollte eher von einem erfahrenen Regisseur inszeniert werden?
KOSMINSKI Auch da gibt es keine Regel. Wichtig ist, dass man alles in Ruhe entwickelt und Schwierigkeiten im Dialog meistert.
MEIER In den letzten zehn Jahren hat die Autorenförderung exorbitant zugenommen. Gibt es Überhitzungserscheinungen? Wie sollen junge Autoren reagieren, wenn sie ganz plötzlich viele Stückaufträge angeboten bekommen?
KOSMINSKI Diese ganze Debatte, die ja in Berlin losgetreten und jetzt beim Heidelberger Stückemarkt weiter geführt wurde, hat mit der Art und Weise, wie wir das hier in Mannheim angehen, überhaupt nichts zu tun. Überhitzung entsteht ja nur, wenn man als Intendant oder Schauspielchef auf der Jagd ist und eine Uraufführung im Studio platziert, um endlich auch mal das Feuilleton dahin zu bekommen. Genau das machen wir nicht. Wir haben von Anfang an gesagt, dass es uns darum geht, über einen längeren Zeitraum seriös mit Autoren zusammen zu arbeiten. Genau deswegen haben wir dieses Jahr ja auch den Preis der deutschen Theaterverlage erhalten.
MEIER Trotzdem gibt es Beispiele wie jetzt Nis Momme-Stockmann. Er schreibt sehr gute Stücke, ist plötzlich aber überall vertreten und entsprechend kurzatmig. Sollte da nicht irgendjemand sagen: Sachte, junger Mann?
KOSMINSKI Ich kenne ihn nicht und wage nicht, das zu beurteilen. Eigentlich wäre das ja die Aufgabe der Theaterverlage. Und da kann ich schon sagen: Spricht man mit seriösen Autoren, dann sagen die, dass sie maximal zwei Stücke pro Jahr schreiben können. Legt man das zugrunde, ergibt sich eine einfache Rechnung: Wer von zwei Stücken pro Jahr leben will, braucht seriöse Partner im Theater. Genau das sind wir.

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Volltreffer
Von Ralf-Carl Langhals

Respekt! Anders kann man Mannheims künftigen Schauspieldirektor nicht
begrüßen. Burkhard C. Kosminski hat einen ersten Spielplan vorgelegt,
der auch nicht zu Superlativen neigenden Theaterfreunden als
sensationell gelten muss.

Es ist nicht nur das an Quantität dichteste Programm der letzten 15
Jahre, sondern auch mit klugem Blick auf eine Stadt und ihre
Traditionen zurechtgeschneidert. Junge Dramatik bindet er an hiesigen
Zuschauern vertraute Namen, große "Klassiker" gibt er in die Hände
junger Regisseure. Die großen Namen des Regiefaches fehlen freilich,
doch wie wir wissen, trat auch Schiller einmal als Unbekannter hier an.
Die eine oder andere Überforderung eines Regisseurs oder
Zuschauer-Enttäuschung werden wir hinnehmen müssen, doch die gehört zum
Theater wie das Salz zur Suppe. Von den Epochen hat er einzig den
Naturalismus ausgespart, wagt mit Elfriede Jelineks "Raststätte" auch
Provokantes, bekennt sich zu Raumbühne, Schillertagen, dem
Szene-Bereich und der bürgerlichen Tradition des Schauspiels in
gleichem Maße. Die Auswahl der jungen Dramatik ist exzellent, und auch
die Ausgrabung "verstaubter" psychologischer Dramatik liegt im Trend
bedeutender deutscher Bühnen. Die von Jens-Daniel Herzog geschaffenen
strukturellen Voraussetzungen sind günstig, löst Kosminski sein viel
versprechendes Programm qualitativ ein, könnte Mannheims Schauspiel
rosigen Zeiten entgegengehen.

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Mit Klinsmann siegen
Aus: Die Welt
Von Stefan Kister 7. Oktober 2006


Der neue Schauspielchef Burkhard C. Kosminski positioniert das Nationaltheater Mannheim als Uraufführungshaus. "Bei jedem Neustart braucht man Glück."
Das hat den neuen Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski dann doch erstaunt. Beim Kauf einer Espressomaschine kam er mit der Verkäuferin ins Plaudern. Als die hörte, dass ihr Kunde der Neue vom Nationaltheater sei, quasselte sie drauf los: Sie erwarte seinen Amtsantritt mit großer Spannung, im Theater sei ja immer schon viel los, und was er denn gedenke anders zu machen als sein Vorgänger. Sie wolle alles verfolgen - und über den Garantievertrag der Maschine habe sie ja seine Handy-Nummer und werde zurückrufen, wie sie seinen Einstand finde.
Ganz schön öffentlicher Druck, der da auf dem Boss lastet; beim Espressomaschinen-Shop fängt er an und beim Italiener um die Ecke setzt er sich fort, wo jeder den Schauspielchef bereits zu kennen scheint. "Kaum zu glauben, Theater ist hier Stadtgespräch, wie man es höchstens von Wien kennt.

Das ist ganz anders als in meiner bisherigen Wirkungsstätte am Düsseldorfer Schauspiel", sagt Kosminski, der trotz allseits großer Erwartungen entspannt wirkt in der kurzen Ruhe vor dem Sturm. Schließlich hat sich der Mittdreißiger schon auf verschiedenstem Parkett bewährt: als Buchhändler, als Mitglied einer Polit-Rock-Kommune ohne Privateigentum, als Kneipier.
Nach der Schauspielschule und einer Zeit als freier Darsteller studierte er in New York Regie. Wieder in Deutschland entschloss er sich, beeindruckt von Thomas Vinterbergs Film "Das Fest", zu einer Theaterbearbeitung. Die Uraufführung in Dortmund war ein Knaller; "danach war mein Theaterleben ein anderes", gesteht er. Jeder wollte ihn als Regisseur, der sich doch - noch Neuling in der Branche - gleich als überraschend genauer Menschenzeichner erwies. Nun engagierte ihn die Mannheimer Intendantin Regula Gerber.
Schon zuvor, als leitender Regisseur in Düsseldorf, hat Burkhard C. Kosminski nach Themen gesucht, die eng mit der Stadt, in der er arbeitet, zu tun haben. Doch der Spielplan, mit dem er sich jetzt präsentiert, ist geradezu exemplarisch auf lokale Gegebenheiten eingestellt. Der gesamte Gemischtwarenhandel eines Stadttheaters ordnet sich überschaubar wie auf einem klaren, nachvollziehbaren Koordinatensystem: Mannheim als Zentrum einer zeitgenössischen Theaterformation, in der alles mit allem kommuniziert - Klassiker mit junger Dramatik, lokale Traditionen mit überregionalen Innovationen.

Da sind die dem Theater direkt verbundenen Autoren, etwa Schiller, dem ersten in dieser Reihe, mit "Maria Stuart" und "Kabale und Liebe"; beides keine Uraufführungen. Dafür eine Schiller-Paraphrase von Albert Ostermaier, mit dem die Tradition des Hausautors 1996 wieder aufgenommen wurde sowie ein neues Stück des jetzigen Hausautors, dem schon berühmten Jungstar Reto Finger. Büchners "Woyzeck" steht auf dem Plan, gesehen als türkische Außenseitergeschichte. Immerhin ist Mannheim nach Berlin die Stadt mit der größten türkischen Population. Und so geht das weiter: Ob Feridun Zaimoglu und Günter Senkel "Max und Moritz" als Anarchoterroristen wieder aufleben lassen in einer Koproduktion mit der Mannheimer Popakademie oder ob Gesine Danckwart ein spektakuläres Straßenbahnprojekt realisiert.
Was da so geschickt wie originell mit Mannheim verbunden wird, sind - man höre! - zur Hälfte Uraufführungen. Das Nationaltheater darf sich ungeniert als "Uraufführungshaus der Saison" begreifen. Nirgends wird mehr noch nie Gezeigtes gespielt. Kein geringes Risiko. Und Kosminski weiß, wie vorschnell die Politik reagiert, falls ein Theater leer gespielt wird; sei es auch noch so avanciert, was ohnehin höchstens die Feuilletons interessiert. Kosminski baut darauf, dass eine geballte Novitätenschau mit einer guten Auslastung sehr wohl einhergehen kann - sofern das Publikum sich gepackt fühlt. "Es muss spannend sein und mit möglichst jedermann zu tun haben, aber auch von der Menge verstanden werden; ausgetüftelte Ästhetiken wären da - zumindest fürs erste - fehl am Platz."
Und: "Bei jedem Neustart braucht man Glück, in Klinsmanns Sprache gebracht: Das erste Spiel muss funktionieren", sagt er. Doch schon die Eröffnung jetzt am Wochenende hat es in sich. Zunächst fünf Produktionen auf einmal, zwei vom Hausherrn selbst inszeniert, darunter die Uraufführung der neuesten Arbeit der Mannheimer Berühmtheit Theresia Walser "Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm". Darin lässt sie einen Regisseur gewitzt über das Wesen des Theaters räsonieren. Dem folgen Sabine Harbekes Großstadtballade "Nachts ist es anders", Wilhelm Genazinos Angestelltenfarce "Fremde Kämpfe", Reto Fingers Fantasie über eine Gesellschaft im Wandel "Kaltes Land". Alles Uraufführungen, versteht sich. Und zwischen den Aufführungen soll sich das Publikum zum Austausch oder auch einfach zur Entspannung an einer Tafel im Foyer versammeln. Sozusagen ein riesiger Runder Tisch. Vielleicht begegnet Kosminski dort der theaterbegeisterten Verkäuferin. Bei einem Espresso kann er sich dann schon mal eine erste Rückmeldung holen.

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Im richtigen Sinne "Theater für die Stadt"
DAS INTERVIEW: Mannheims neuer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski über
Spielplan, Schauspieler und die Schillertage
Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals


Noch rund drei Wochen, dann gehen in Mannheim gleich sieben
Theaterpremieren an einem Wochenende über die Nationaltheater-Bühne,
sechs davon im Sprechtheater. Verantwortlich für diesen Rekordstart ist
Burkhard C. Kosminski. Wir trafen Mannheims neuen Schauspieldirektor
und sprachen mit ihm über seine Wirkungsstätte, Erwartungen, Pläne und
die Marschrichtung der Schillerbühne.

Herr Kosminski, fühlen Sie sich in Mannheim bereits angekommen?

BURKHARD C. KOSMINSKI: Ja, ich fühle mich hier sehr wohl zwischen
Probenräumen und meinem Loft in den Quadraten und ja, wir arbeiten Tag
und Nacht, aber ich kenne doch schon die einschlägigen Lokale.

Ihr Eröffnungsspielplan mit starken Mannheim-Bezügen verlangt Respekt;
wie lange und mit wem haben Sie daran gestrickt?
 
KOSMINSKI: Das war eine aufwendige, ungefähr zweijährige Recherche, an
der die gesamte Dramaturgie, insbesondere mein Chefdramaturg Ingoh Brux
beteiligt waren. Wir waren häufig vor Ort, haben die Stadt auf uns
wirken lassen und uns von der Tradition des Nationaltheaters und der
Geschichte Mannheims inspirieren lassen. Da kommen viele Mosaiksteine
zusammen: ein Artikel in der "Zeit" über die Popakademie oder der
Hinweis eines Kollegen, dass Theresia Walser in Mannheim lebt. Und
gerade diese Mosaiksteine waren wichtige Bausteine des Spielplans.

Was war Ihnen an Ihrem Spielplan wichtig?

KOSMINSKI: Wir haben versucht, im richtigen Sinne Theater für die Stadt
zu machen. Wir haben uns zudem bemüht, viele Alt-Mannheimer
zurückzugewinnen, wie etwa Franz Wittenbrink, der unter Arnold Petersen
musikalischer Leiter des Schauspiels war, bevor er seine
Erfolgsgeschichte vom Burgtheater bis zum Deutschen Schauspielhaus
Hamburg schrieb. Natürlich führen wir auch die lange Tradition des
Hausautoren fort und sind sehr glücklich, mit Reto Finger einen der
außergewöhnlichsten jungen Autoren an das Nationaltheater binden zu
können. Außerdem haben wir Stückverträge an Theresia Walser und
ehemalige Hausautoren wie Albert Ostermaier und Feridun Zaimoglu
vergeben. Zudem werden wir mit der Popakademie zusammenarbeiten und
Gesine Danckwart wird einen Text für unser Straßenbahnprojekt
schreiben. Dieses Projekt findet im Rahmen des Stadtjubiläums 2007
statt.

Und wie sieht die Spielplangestaltung außerhalb der Mannheim-Bezüge
aus?
 
KOSMINSKI: Hier in Mannheim ist es selbstverständlich, die
Auseinandersetzung mit Schiller zu suchen. Dazu gehört aber auch eine
Bandbreite, die von Schulstücken wie Dürrenmatts "Die Physiker",
Klassikern wie Lessings "Emilia Galotti" über die amerikanische
Dramatik eines Arthur Miller mit "Tod eines Handlungsreisenden" bis zur
Nobelpreisträgerin Elfriede Jellinek reicht.

In Mannheim übernehmen Sie erstmals eine Schauspieldirektion. Haben Sie
Angst vor der Unbill der Verwaltungspflichten?

KOSMINSKI: Angst nein, Respekt ja. Ich verstehe meine Aufgabe als
Fulltimejob, bei dem es viel zu lernen gibt. Sicherlich werde ich
anfangs auch Fehler machen, fühle mich aber insgesamt durch das große
Vertrauen seitens Frau Gerber sehr bestärkt und in gewisser Weise auch
beschützt. Für mich ist es eine besondere Herausforderung an einem
Vier-Sparten-Theater zu arbeiten, da ich bisher nur an reinen
Schauspielhäusern gearbeitet habe.

Sie haben junge Regie-Talente engagiert. An den großen, derzeit
gesetzten Namen des Regietheaters - wie etwa Kriegenburg, Thalheimer,
Walburg, Nübling - fehlt es. Der bekannteste Regiename ist Kosminski,
dulden Sie keine Götter neben sich?

KOSMINSKI: Wir wollten bewusst nicht dem üblichen Regie-Jetset
entsprechen. Wichtig war uns, ausschließlich Regisseure einzuladen, die
eine sehr eigene und darin sehr klare Handschrift haben - das schließt
sowohl unsere jungen Hausregisseure Christiane J. Schneider und Simon
Solberg ein als auch renommierte Regisseure: Michael Simon, der
Hausregisseur an der Berliner Schaubühne war; Anders Paulin, der einer
der wichtigsten skandinavischen Regisseure ist und auch am Deutschen
Schauspielhaus Hamburg und am Theater Basel arbeitet; André Wilms,
dessen Inszenierung "Die Bakchen" letztes Jahr in Paris Inszenierung
des Jahres war; und Georg Schmiedtleitner, Nestroy-Preisträger, der
auch am Burgtheater arbeitet.

Wenn wir über das Ensemble sprechen, fällt auf, dass Sie eine Reihe
gestandener Schauspieler engagiert haben. Wie ist das zu finanzieren
und wo sind die reiferen Damen neben Gabriela Badura?

KOSMINSKI: Finanzieren können wir das nur durch eine Reduzierung des
Gästeetats, das heißt, wir lassen mehr Geld in den Ensemble-Etat
fließen. Ich bin sehr glücklich, dass Gabriela Badura weiterhin am
Nationaltheater arbeitet. Solche Schauspielerinnen sind rar. Natürlich
fehlt uns im Moment eine fünfzigjährige Frau, wir werden diese Position
zunächst mit einem Gast besetzen, erstmals bei O'Neills "Trauer muss
Elektra tragen".
Mit dem Wegfall des alten Werkhauses ist auch ein Szene- und Theaterort
mit Ambiente weggefallen. Haben Sie bereits eine Alternative gefunden?

KOSMINSKI: Nein, für die Zeit während des Neubaus gibt es noch keine
Lösung. Wir suchen für die Schillertage händeringend einen ähnlichen
Ort für Partys, Veranstaltungen, Frühstück für die Stipendiaten. Das
alte Werkhaus war die Seele des Festivals. Wir freuen uns sehr auf den
Neubau.

Wie dürfen wir uns die ersten Schillertage unter Burkhard C. Kosminski
im Stadtjubiläumsjahr 2007 vorstellen?

KOSMINSKI: Mit André Wilms' Inszenierung "Schwarze Minuten" von Albert
Ostermaier, der erster Hausautor nach Schiller war, steht ja schon die
Festivaleröffnung. Ich war sehr beeindruckt von den letzten
Schillertagen, die ich sehr, sehr gelungen fand. Wir arbeiten schon an
den Einladungen der Gastspiele, am Workshop-Programm und
verschiedensten Kooperationen. Die Messlatte hängt sehr hoch, und wir
bemühen uns, dem gerecht zu werden, bitten auch um ein bisschen Geduld,
weil dieses Festival unter der alten Direktion über die Jahre gewachsen
ist.

Nachdem im aktuellen Haushalt, der im Februar verabschiedet wurde, die
Schillertage nicht vorkamen, hat der Stadtrat die 160 000 Euro auf das
Haushaltsjahr 2008 verlagert. Wie wollen Sie das Minus von 160 000 Euro
2008 auffangen?

KOSMINSKI: Zuerst einmal ist dies ein klares Bekenntnis des Stadtrates
für die Erhaltung der Schillertage 2007. Für ein Festival von solch
überregionaler Bedeutung sollte man natürlich langfristig die
Subventionen festsetzen. Ich habe das volle Vertrauen in den Stadtrat,
dass auf lange Sicht eine optimale Lösung gefunden wird.

In seinem Ausblick auf die deutschsprachige Theatersaison erwähnt der
gefürchtete FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier das Mannheimer Schauspiel
sechs Mal und apostrophiert es als das "fleißigste Uraufführungstheater
überhaupt". Wie leben Sie mit solch gefährlichen Vorschusslorbeeren?

KOSMINSKI: Vorschusslorbeeren sind generell gefährlich, aber natürlich
freut man sich über die überregionale Wahrnehmung - das spornt an!

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Ganz oder gar nicht
Aus: Rhein-Neckar-Zeitung, 29. September 2006

Zum Saisonstart am 6. Oktober plant er fünf Premieren an einem Tag
Interview mit dem neuen Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski

Neue Mannschaft, neues Glück. Burkhard C. Kosminski startet am kommenden Wochenende als neuer Schauspieldirektor des Nationaltheaters Mannheim in die neue Saison. Der Regisseur, der bislang in Düsseldorf und Frankfurt überregional auf sich aufmerksam gemacht hat, präsentiert einen äußerst abwechslungsreichen Spielplan. Besonders viel vorgenommen hat er sich für den 6. Oktober. Da plant er fünf Premieren an einem Tag, vier davon sind Uraufführungen. Die Proben dazu liefen im tropisch heißen Juli auf Hochtouren.

Herr Kosminski, wie viele Hitzekoller haben Sie denn bei den Proben erlitten?
Dass wie hier in einem Sumpfgebiet leben, hat man mir erst gesagt, als ich hier war. Mein Bruder ist Tropenmediziner. Er meinte, die Region sei nicht bedenklich, man bräuchte keine Schutzimpfung.

Sie haben sich gewaltig viel für den Eröffnungstag vorgenommen – fünf Premieren. Wollen Sie im Guinness-Buch der Rekorde eingetragen werden?
Im Guinness-Buch zu stehen, ist immer toll. Unser Ziel sieht aber anders aus. Wir haben Theresia Walser gebeten, einen Eröffnungstext zu schreiben. Davon ausgehend wollen wir die  Besucher dazu ermutigen, zu einzelnen Produktionen durchs Haus zu wandern. Der eine Teil kann „Kaltes Land“ unseres neuen Hausautors Reto Finger sehen, der andere Teil sieht die Uraufführung von Willhelm Genazino, oder man sieht „nachts ist es anders“ von Sabine Harbeke. Dann kommt man wieder zurück ins Foyer, um Theater als Ort der Begegnung zu erleben. Dort wird ein riesiger Tisch stehen, und alle treffen sich zum Essen. Jeder hat etwas anderes gesehen und kann davon erzählen. Nach all diesen kulinarischen und sinnlichen Genüssen geht’s zu Franz Wittenbrinks Neueinstudierung „Mütter“. Danach feiern wir, bis wir umfallen.

Ein richtiges Happening.
In der Konzeption des Spielplans wollten wir uns nicht an die Phrase „Wir machen Theater für die Stadt“ halten, sondern die Tradition des Hauses mit der Situation der Stadt verknüpfen. Hier gibt es die lange Linie der Hausautoren, beginnend bei Schiller. Theresia Walser lebt hier in Mannheim, Wittenbrink war vor seinem Siegeszug mit den „Sekretärinnen“ viele Jahre am Nationaltheater beschäftigt. Und Wilhelm Genazino wurde sogar hier geboren.

Während der Vorbereitungsphase haben sie Mannheim und vor allem das Nationaltheater schon recht gut kennengelernt. Was waren für Sie die überraschendsten Erfahrungen?
Die Annäherung funktioniert wie eine Entdeckungsreise: Man guckt sich die Stadt an, in der man leben wird. Regula Gerber, die Generalintendantin des Theaters, hat mir geraten, mich in der Stadt und im Theater genau umzusehen und zu prüfen, ob ich mich darauf einlassen will. Das war für mich die zentrale Vokabel: „einlassen“. Wenn man an so eine Aufgabe herangeht, dann ganz oder gar nicht.
Deshalb werde ich hier auch nur hier inszenieren und nicht auswärts. Was mich am Theater hier besonders fasziniert, ist die Begeisterung des Publikums. Die Stadt ist äußerst lebendig. Ich lebe in den türkischen Quadraten, wenn man so will im Mannheimer Kreuzberg, und ich genieße diese Atmosphäre der friedlichen und sich gegenseitig bereichernden Koexistenzen sehr.

Und das Theater selbst?
Es ist meine erste Begegnung mit einem Viersparten-Haus. Man lernt das Ballett und die Oper viel besser kennen. Das Nationaltheater ist ein Riesenschiff, dessen Kurs ganz exakt geplant werden muss, weil so irrsinnig viel gleichzeitig passiert. Eine ganz spannende, neue und bereichernde Erfahrung. Und dann genieße ich natürlich auch, dass man das Nationaltheater als kulturelles Zentrum der Stadt begreift, dass man mit ihm lebt und mit ihm fiebert.

Gibt es so etwas wie eine künstlerische Leitlinie, die Sie sich für Mannheim vorgenommen haben?
Den einen Schwerpunkt bildet das Autorentheater. Deshalb kehrt auch der ehemalige Mannheimer Hausautor Albert Ostermaier zu den nächsten Schillertagen zurück. Wir wollen mit hiesigen Institutionen zusammenarbeiten, beispielsweise beim „Max und Moritz“-Projekt, bei dem wir mit der Popakademie kooperieren. Und wir erobern die Stadt selbst als Bühne, wenn Gesine Danckwart ihr „Straßenbahnprojekt“ zum Stadtjubiläum realisiert. Auf der anderen Seite steht die Tradition Schiller, an die wir mit „Kabale und Liebe“ und „Maria Stuart“ gerne anknüpfen. Eine ganz andere künstlerische Leitlinie für den Neustart ist ein ganz klares Ensembletheater. Deshalb haben wir uns sehr viel Zeit genommen, das richtige Ensemble auszuwählen. Wir haben sehr renommierte, aber auch noch sehr junge Kollegen gefunden, die Lust haben, hier mitzumachen.

Und Sie haben eine Reihe von Schauspielern Ihres Vorgängers Jens-Daniel Herzog übernommen.
Etwa ein Drittel. Tolle Leute, die ausgezeichnet ins neue Ensemble passen.

Unter den Regisseuren finden sich Namen wie Franz Wittenbrink, André Wilms oder Michael Simon, die in der Branche bereits seit langem sehr bekannt sind.
Auch bei den Regisseuren kam es und darauf an, mit bekannten Namen zu arbeiten, die allerdings noch nicht zum Regie-Jet-Set gehören; aber wir wollen auch mit ganz jungen Leuten zusammenarbeiten, die eine ganz klare Handschrift haben: mit Cilli Drexel etwa, Lisa Nielebock, oder Jens Zimmermann. Außerdem haben wir zwei Hausregisseure, die jeweils drei Produktionen übernehmen: Simon Solberg, der aus Heidelberg stammt, und Christiane Schneider.

Sie selbst zeigen nach Reto Fingers „Kaltes Land“ im Oktober  auch Ihre Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“.
Die Amerikaner liegen mir sehr, aber auch das hat eine Mannheimer Traditionslinie. Während der goldenen Bosse Zeiten wurden ja sehr viele Amerikaner hier gespielt. Danach sind sie kaum noch aufgetaucht. Auf diese Weise tasten wir uns an die Stadt und das Publikum heran- und hoffen, dass es uns gelingt.

Hat das Ensemble schon richtig zusammengefunden?
Frau Gerber hat zu einem großen Frühstück eingeladen, bei dem sich alle kennengelernt haben. Und dann haben wir uns natürlich bei den Proben beschnuppert. Außerdem hat Jean Sasportes drei Wochen lang mit uns  Körpertraining gemacht, bei dem auch die Dramaturgen und ich mitgemacht haben. Noch weiter zusammengeschweißt hat uns die Fußball-Weltmeisterschaft. Ich habe in meinem Loft einen Riesenbildschirm aufgestellt, weil ich keine Karten für die Spiele selbst bekommen habe. Bei jedem wichtigen Spiel habe ich ein Fass Bier und Chips hingestellt. Dieses gemeinsame Fußball-Gucken hat auch für einen schönen Zusammenhalt gesorgt.

Insgesamt sind 20 Premieren geplant. Könnte man sie unter einer gemeinsamen Überschrift oder einer Art Spielzeitmotto zusammenfassen?
Es gibt die erwähnte Leitlinie, aber nach einem Motto haben wir nicht gesucht. Dafür suchen wir nach der Vielfalt und nach bewussten Kontrasten, wenn ganz junge Regisseure ganz alte klassische Texte inszenieren oder bewusst mit älteren Schauspielern zusammenarbeiten.

Die nächsten Schillertage kommen bestimmt. Das Festival ist kontinuierlich gewachsen und lockte beim letzten Mal 35 000 Besucher an – deutlich mehr als beispielsweise das Berliner Theatertreffen. Denken Sie für 2007 in ähnlich großen Dimensionen?
Den Wunsch haben wir. Wir werden Gastspiele einladen, und wir werden die Seminarprogramme beibehalten. Für Details ist es aber noch zu früh. Wir sind froh, dass die Stadt die Gelder für die Schillertage bewilligt hat, und es wird sicher viel los sein. Eröffnet werden die Schillertage 2007 von Albert Ostermaier. Albert war der erste Hausautor nach Schiller. Die Brücke zu Schiller ist, dass sich Ostermaier Gedanken über das Terrorismus-Thema in dem Schiller-Text „Verbrechen aus verlorener Ehre“ macht.

Wollen Sie das Raumbühnen-Konzept Ihres Vorgängers Jens-Daniel Herzog übernehmen, es basiert ja auf einer Idee Erwin Piscators und ermöglicht die direkte Konfrontation von Schauspielern und Publikum?
Auf jeden Fall. Es wird zwei Raumbühnen-Inszenierungen geben, beide mache ich. Die Raumbühne ist eine ganz tolle Möglichkeit für Mannheim. Dass Jens-Daniel Herzog dieses Konzept entwickelt hat, ist für das Haus eine große Bereicherung. Neue Dramatik braucht mittelgroße Räume und nicht die Riesendimensionen des Mannheimes Schauspielhauses.

Gibt es so etwas wie eine Kosminski Handschrift?
Zunächst war das die Auseinandersetzung mit den Dogma-Filmleuten. Das begann mit dem „Fest“, das ich in Dortmund auf die Bühne gebracht habe. Danach hat mir Lars von Trier quasi als Antrittsgeschenk für Düsseldorf ermöglicht, dass ich „Dancer in the Dark“ machen kann. Und dann mag ich, wie gesagt, sehr die amerikanische Dramatik. Mich interessieren immer emotionale Geschichten mit starken Situationen und starken Figuren. Trotzdem will ich mich nicht festlegen, ich will immer wieder Neues ausprobieren und experimentieren, damit ich mich weiterentwickle.

Zur Person
Burkhard C. Kosminski
Der Regisseur Burkhard C. Kosminski war von der Spielzeit 2001/02 bis zu seinem Wechsel nach Mannheim Oberspielleiter am Düsseldorfer Schauspielhaus. Nach seinem Studium in den USA (u. a. am Lee-Strasberg-Institute) inszenierte er in New York und Los Angeles. 2001 erhielt er für seine Dortmunder Inszenierung „Das Fest“ nach dem gleichnamigen Dogma-Film beim 20. NRW-Theatertreffen den Preis für die beste Regie. Für viel Aufsehen sorgten die Uraufführungsinszenierungen von „Dancer in the Dark“ (nach Lars von Triers Film in Düsseldorf), „39,90“ nach dem Roman von Frédéric Beigbeder (ebenfalls Düsseldorf) sowie seine Tennessee-Williams-Inszenierung im Frankfurter Schauspielhaus. Beim Heidelberger Stückemarkt 2004 gehörte Burkhard C. Kosminski zur dreiköpfigen Experten-Jury.

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Die Stadt, ihr Theater und die Menschen
Aus: Die Rheinpfalz, 18. Juli 2006

Die Stadt, ihr Theater und die Menschen
Mannheims neuer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski setzt auf Schauspieltheater und junge Autoren

Mit einer Uraufführungsoffensive startet der Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski in seine erste Spielzeit am Nationaltheater. 22 Premieren sind angekündigt, davon elf Uraufführungen oder deutsche Erstaufführungen. Kosminski selbst wird sich als Regisseur mit neuen Stücken von Theresia Walser, Reto Finger und Herbert Achternbusch vorstellen, aber auch mit klassischem amerikanischem Drama von Arthur Miller und Eugene O’Neill.
In Mannheim ist es heiß und schwül, selbst im Schatten unter den Bäumen vor dem Nationaltheater kaum auszuhalten. Gewitterstimmung. „Hier ist es so heiß, wie in New York“, sagt Burkhard C. Kosminski, schwitzt, hat Durst und ist prächtig gelaunt. In New York hat er ein paar Jahre gelebt, eine Ausbildung am berühmten Lee-Strasberg-Institute gemacht, in ersten Regiearbeiten Stücke von Tabori und Ionesco inszeniert. Seine amerikanische Erstaufführung von Thomas Jonigks „Du sollst mir Enkel schenken“ wurde 1997 als beste Inszenierung an der Westküste ausgezeichnet.
Auch in Deutschland hat er schon einen Regiepreis eingeheimst, für „Das Fest“ nach einem Film von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov. In Düsseldorf war Kosminski fünf Jahre als Oberspielleiter tätig, inszenierte nebenbei an der Berliner Schaubühne und am Frankfurter Schauspielhaus. In Mannheim wird ihm nun erstmals die Leitung einer Schauspielsparte übertragen. „Man hat damit eine große Verantwortung für eine Stadt“, sagt der 44-Jährige. Kosminski lebt schon seit ein paar Monaten in Mannheim, in den H-Quadraten, dem „Türkenviertel“. Vorher kannte er die Stadt nur von Theaterbesuchen, jetzt hat er begonnen, ein Gefühl für die Stadt und ihre Bewohner zu entwickeln. Die Ladenbesitzerin, die ihm eine Kaffeemaschine verkaufte, bekam gleich mit, dass er am Nationaltheater arbeitet. Und sie hat schon angedroht ihn anzurufen, wenn es ihr beim nächsten Theaterbesuch nicht gefallen sollte. Im Vergleich zu Düsseldorf sei das Theater in Mannheim viel stärker verankert in der Stadt, meint Kosminski und freut sich auf die Diskussion mit dem Publikum: „Etwas Besseres kann nicht passieren“.
Leicht macht es der neue Schausieldirektor seinem Publikum aber nicht gerade.
Im Spielplan findet sich wenig Mainstream, dafür viel Neues und Unbekanntes, Sperriges von Jelinek und Enda Walsh, gewichtige Klassiker von Goethe, Schiller, Dürrenmatt. In Büchners „Woyzchek“ werden zwei türkische Schauspieler die Hauptrollen spielen. „Wir fahren ein hohes Risiko“, weiß auch Kosminski.
Der Eröffnungsabend am 6. Oktober mutet den Besuchern gleich fünf Produktionen zu, darunter vier neue Stücke von Theresia Walser, dem neuen Hausautor Reto Finger, von Sabine Harbeke und Wilhelm Genazino. Dazu kommt ein Musikstück von Franz Wittenbrink, wer alles sehen wollte, müsste sich in mehrerer Personen aufspalten. „Theater soll ein Ort der Begegnung sein“, sagt Kosminski. Beim Eröffnungsabend sollen erst einmal alle das neue Stück von Theresia Walser im Schauspielhaus ansehen, sich dann aufteilen und zu den verschiedenen Spielorten im großen Haus und im Werkhaus gehen, zu Wittenbrinks „Müttern“ wieder zurückkehren. „Jeder sieht etwas anderes. Es wird diskutiert, gegessen und getrunken, am Ende Party gemacht.“

Wenn Kosminski die Auswahl der Autoren und Stücke seiner ersten Spielzeit erläutert, begreift man ein wenig von der Denk- und Arbeitsweise dieses Theatermachers. „Ich habe versucht, die Wurzeln des Mannheimer Theaters neu zu ergründen“, sagt er. Wittenbrink hat seine Karriere in Mannheim begonnen, Genazino vor vier Jahrzehnten im Jungbusch gewohnt, Feridun Zaimaglu und Albert Ostermaier waren in Mannheim Hausautoren. Und Schiller gehört sowieso ans Nationaltheater, „Kabale und Liebe“ wird mit Christiane Schneider, die fest ans Nationaltheater kommt, eine junge Regisseurin inszenieren, „Maria Stuart“ wurde mit Georg Schmiedleitner  einem erfahrenen Regisseur anvertraut. Spricht Kosminski über Stücke und Themen, dann hat er selten theoretische Begründungen parat, dafür Erfahrungen, Geschichten, Beispiele. Und immer geht es um Menschen. Die Zusammenarbeit mit jungen Dramatikern ist ihm dabei genauso wichtig wie die Auswahl der Schauspieler und Regisseure. Bei den Schauspielern muss die Mischung stimmen, ist Kosminski überzeugt, talentierte Anfänger bringt er deshalb mit erfahrenen Kollegen zusammen. Den prominenten Schauspieler Edgar M. Böhlke hat er von Frankfurt weggelotst, die Mannheimerin Gabriela Badura, die schon in Ruhestand enteilen wollte, zum weitermachen verführt. In der Regie setzt er auf einige ganz Junge mit eigener Handschrift, räumt ihnen Entwicklungsmöglichkeiten einer über mehrere Spielzeiten hinweg.
Dass aus all diesen Überlegungen dann doch noch so etwas wie ein Spielzeitthema entstanden ist, hat Kosminski selbst überrascht. „Wir schauen auf unsere Wirklichkeit und dann kommen die Themen von ganz allein.“ Arbeitslosigkeit wird ein wichtiges Thema der Spielzeit sein, überhaupt „der Konflikt, wenn sich individuelle Lebensgeschichten und Weltgeschichte begegnen“. In den Stücken von Miller, O`Neill oder Genazino wird es also auch darum gehen, wie in einer Gesellschaft „ das Soziale und Ökonomische, immer weiter auseinanderdriften“, greift Kosminski dann doch einmal in die Theorie- Kiste.
Bei seiner Arbeit als Regisseur ist der neue Schauspielleiter natürlich von seiner Ausbildung an der Strasberg- Schule geprägt, also „eher ein Schauspieler- Regisseur“. In seiner Bühnenästhetik gibt er sich offen, setzt Film und andere Medien ein, nimmt gern Filmdrehbücher oder Prosatexte als Basis einer Produktion. Mit der Popakademie will er bei Zaimoglus  „Max und Moritz“- Projekt zusammenarbeiten, zum Stadtjubiläum 2007 mit einem Straßenbahnprojekt „rausgehen in der Stadt“.
Jetzt ist die große Mineralwasserflasche leer und in die schwarze Gewitterwolke über der Stadt fast ausgeregnet. „Ich hoffe, dass hier eine Lust auf der Theater entsteht“, sagt er noch und eilt in die nächste Probe.

 

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Das Kosminski Konzept
Neuer Schauspieldirektor am Mannheimer Nationaltheater legt guten Start hin
Aus: Welt Kompakt, 06. November 2006

Acht Premieren in drei Wochen. Das macht selbst einen Burkhard Kosminski völlig „alle“. „Aber der Weg ist richtig. Davon bin ich überzeugt“, sagt der neue Schauspieldirektor am Mannheimer Nationaltheater.
Ende Mai kam der 45-Jährige mit großen Visionen im Gepäck angereist. Viel Zeit zum Auspacken ist ihm bisher nicht geblieben. Dass sich mit Kosminskis Ankunft einiges ändern würde, war denen, die ihn berufen hatten – Generalintendantin und Kulturbürgermeister – sicher bewusst. Ohne Zögern tauschte er zwei Drittel der Schauspieler aus, ließ Plakate mit den neuen Köpfen bedrucken und steckte Spielpläne in Bäckerei-Papiertüten. Doch damit nicht genug: Insgesamt 21 Premieren hat ich der Schauspieler und Regisseur in dieser Spielzeit vorgenommen. „Es ist wichtig, ein großes Repertoire zu haben. Das ist der Bildungsauftrag.“ Vor allem aber möchte der große Blonde das Theater enger an die Stadt und ihre Bewohner binden: Mannheimer Theater für Mannheim. So hat er beispielsweise ein Stück des Autors Wilhelm Genazino in den Spielplan aufgenommen, der in Mannheim aufgewachsen ist. Ebenso wichtig sei es ihm erschienen, zwei türkische Schauspieler anzustellen, um der großen türkischen Gemeinschaft in Mannheim gerecht zu werden. Dazu sind Kooperationen mit der Popakademie geplant. „Es gibt so viele gute Dinge hier, die man nutzen muss.“ Das Kosminski-Konzept „Mit der Tür ins Haus“ scheint aufzugehen. Der Eröffnungsabend und sein Stück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ haben bundesweit für Furore gesorgt. „Alle überregionalen Zeitungen haben darüber berichtet“, freut er sich. „Egal wo ich hinkomme, überall werde ich darauf angesprochen.“ Seit ein paar Tagen ströme nun auch das Publikum in die heiligen Hallen. Der Verkauf ziehe „wahnsinnig gut „ an. „Volles Haus ist wichtig“, sagt der 45-Jährige und nickt zufrieden. Überhaupt: Er scheint sich wohl zu fühlen. „Ich mag das Multi-Kulti, habe ein traumhaftes Loft und schon eine Stammkneipe“, schwärmt er. Zwei Mal am Tag ist er im Café „Im Juli“ anzutreffen, wo es ihn und das gesamte Schauspiel-Ensemble ständig hinzieht. „Ich mag die freigeistige Atmosphäre dort. Und der Wirt ist so nett.“ Auch die Arbeit am Theater mache ihn sehr glücklich. Deshalb möchte er die nächsten drei Jahre erst einmal bleiben. Zu tun gibt es genug: Die nächsten Schillertage und die Premiere von „Woyzeck“ am 11. November stehen vor der Tür. Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm? Von wegen.

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Der einstige Politrocker ist glücklich
BEGEGNUNG: Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski mag kein "Regie-Jetset"
Von unserem Redaktionsmitglied Peter W. Ragge


Die Bedingung war klar: Er müsse sich "darauf einlassen", auf die Stadt
ebenso wie das Theater - dann werde er Schauspieldirektor. So hat es
Generalintendantin Regula Gerber vor rund zwei Jahren zu Burkhard C.
Kosminski gesagt. Nun ist er es geworden, und gleich darauf hat er sich
nicht nur auf eine große Loft-Wohnung in den Quadraten und das Theater
eingelassen, sondern auf ein Experiment: Fünf Premieren an einem
Wochenende und wenige Tage darauf - eine sympathisch verlaufende
"Begegnung mit . . ." den Freunden und Förderern des Nationaltheaters.

"Fulminant" sei der Auftakt gelungen, gratuliert ihm der Vorsitzende
der Theaterfreunde Achim Weizel, und prompt gibt es Beifall. Das macht
Kosminski "glücklich und sehr erleichtert": "Mehrere Backsteine" seien
ihm nach der positiven Publikumsresonanz vom Herzen gefallen, "das gibt
Kraft und Lust". Schließlich habe er seinen Schauspielern den Kraftakt
nur abverlangen können, weil auch er parallel drei Stücke einstudierte.
Doch ob beim gemeinsamen Pasta-Essen im Foyer, während der
Premierennacht oder einer Aktion aller Schauspieler auf dem Markt - "so
viel Herzlichkeit war ich nicht gewohnt", so Kosminski erfreut. In
Düsseldorf, wo er Oberspielleiter war, "musste man sehr viel mehr tun".
Und dennoch habe das Theater nicht eine derart große Rolle in der Stadt
gespielt wie in Mannheim, "hier ist es ja das kulturelle Zentrum",
erkannte er.
 
Das mitgestalten zu können, darauf freut er sich. Rund zwei Drittel
seines Ensembles sind neu. "Musste das so massiv ausgetauscht werden",
fragt da kritisch und sicher im Sinne vieler Theaterfreunde Achim
Weizel. "Ja", entgegnet Kosminski klar: "Erneuerung setzt Kreativität
und Kraft frei", meint er und führt als Beleg seinen eigenen Lebenslauf
an. Der führte den Villinger Arztsohn, der auf Weisung der Mutter eine
Buchhändlerlehre machen musste, vom Dasein als "Politrocker in einer
Kommune ohne Privateigentum" und Kneipier in Reutlingen zu TV-Krimi-
und Arztserien bis zum Regiestudium in New York.

Aber den "Regie-Jetset, der Mannheim nur mal eben so mitnimmt", den
werde er nicht verpflichten, beruhigt Kosminski die Theaterfreunde.
Junge ebenso wie renommierte Regisseure mit klarer Handschrift wolle
er, "damit Reibung und eine interessante Mischung entsteht". Wichtig
sei ihm auch, "dass die Schauspieler im Mittelpunkt stehen". Jeder von
ihnen werde einmal an zentraler Stelle zu erleben sein. Dabei sei ihm
der Dialog mit den Zuschauern weiter wichtig: "Sprechen Sie mich an,
gerne", verabschiedet er sich.

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"Wir müssen einen eigenen Weg gehen"
Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals


Vor wenigen Tagen hat die Fachzeitschrift "Theater heute" ihre
Jahresbilanz vorgestellt. 37 Kritiker wählten in verschiedenen
Kategorien die Besten des deutschsprachigen Schauspiels. Preisträger
gibt es in Mannheim keine, auf den zweiten Blick jedoch hat das
Nationaltheater-Schauspiel ordentlich abgesahnt: Zeit für Glückwunsch
und Analyse mit Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski.

Auch in Ihrer dritten Spielzeit setzen Sie auf Auseinandersetzung mit
Klassikern und zeitgenössisches Autorentheater, das historische
Mittelfeld mit Ibsen, Tschechow lassen Sie aus, warum?

Burkhard C. Kosminski: Wir verweigern da ja nichts. Doch eine Spielzeit
kann nicht alle Wünsche erfüllen. Letzte Spielzeit hatten wir mit Ibsen
und Hauptmann zwei Realisten im Spielplan, die nun auch wieder
aufgenommen werden - aber keinen Shakespeare, den es nun diese
Spielzeit gibt. Wir können nicht immer alle Vorlieben befriedigen.
Tschechow ist ein genialer, aber schwieriger Autor, sicher wird es in
Zukunft auch ihn wieder im Spielplan geben. Dennoch ist es toll, dass
in Mannheim solche konkreten Wünsche an Theater und Zeitung
herangetragen werden, das spricht für den Stellenwert des Theaters in
der Stadt.

Der Erfolg bei der Kritikerumfrage scheint ja Recht zu geben. . .

Kosminski: Wir wollten eben keinen belanglosen Gemischtwarenladen
anbieten, sondern Schwerpunkte setzen, Profil zeigen, nur so entsteht
eine Identität, die jetzt auch von außen wahrgenommen wird.
Ewald Palmetshofer wurde zum Nachwuchsdramatiker des Jahres. In
Mannheim wird es gleich zwei Arbeiten zu sehen geben. Auch Platz zwei
der Theater-heute-Kritikerumfrage kommt nach Mannheim: Philipp Löhle.
Sind sie stolz?

Kosminski: In gewisser Weise schon. Man freut sich, wenn Autoren ihren
Weg gehen. Wenn das Feuilleton diese Autoren ebenso bewertet, freut
einen das natürlich, weil wir ja auch sehr viel Risikofreude gezeigt
haben, die jetzt nachträglich anerkannt wird. Wir machen Theater für
Mannheim, das ist unser Auftrag. Wenn das auch überregionale Kritiker
interessant finden, ist das umso besser.

Auch Rafael Spregelburds "Sturheit" findet in der Kategorie "bestes
ausländisches Stück" Erwähnung, Isabelle Barth, neu im Ensemble, erntet
darin gleich zwei Nennungen als Schauspielerin des Jahres.

Kosminski: Es ist ja auch ein Freudenfest für die Schauspieler und
nebenbei auch von unserer Technik eine logistische Meisterleistung.

Bei der Kritikerumfrage findet auch Mannheims Hausregisseur Simon
Solberg Erwähnung. Leider hat der Fantasiebegabte das Haus verlassen.
Warum?

Kosminski: Wir hatten eine Verabredung über zwei Jahre, er war
Assistent in Frankfurt, dann bei uns Hausregisseur. Es ist ein ganz
normaler Abnabelungsprozess, dass er sich auch anderswo ausprobieren
und weiterentwickeln möchte. Das heißt ja nicht, dass er nicht
wiederkommt.

Wer wird die Lücke in seinem ästhetischen Felde schließen?
Kosminski: Wir haben mit dem jungen Isländer Egill Pálsson, mit Cilli
Drexel und Lisa Nielebock eine ganze Reihe junger Regisseure mit
individueller Handschrift am Haus.
Die Schillertage eröffnen Sie mit einer Auftragsproduktion des "Don
Carlos", die Calixto Bieto in Barcelona produziert. Seine
Mozartwochen-"Entführung " sorgte für einen Sturm der Entrüstung.
Fürchten Sie nicht das "Reizwort Bieto" im Vorfeld der Schillertage?

Kosminski: Es freut mich, dass er in Mannheim inszenieren wird. Ich
will ja kein Publikum vergraulen, schätze Mannheim aber als weltoffene
und tolerante Stadt. Die Aufregung um Bieto-Inszenierungen schwappte
vor meiner Zeit hoch. Er ist ein weltweit gesuchter Regisseur, seine
Truppe in Spanien führend, dem Land, in dem "Carlos" spielt. Außerdem
wird er Schauspiel inszenieren. Man sollte daher sehr entspannt mit dem
Namen Bieto umgehen und sich auf eine interessante Auseinandersetzung
mit dem Stoff freuen.

Auffallend ist generell die Internationalität des Spielplans. Ein
Isländer inszeniert einen schwedischen Autor, ein Niederländer schreibt
über Südamerika, ein Argentinier inszeniert Kafkas "Amerika". Ist dies
das globalisierte Stadttheater?

Kosminski: Die Frage stellt sich uns nicht. Wir suchen eben
international nach Regisseuren, die wir interessant finden. Dabei sind
erfahrene wie unbekannte Regisseure, die uns reizen. Die großen
deutschen Namen, die Thalheimers, Goschs, Polleschs oder Stemanns,
werden von allen großen Häusern angefragt, da haben wir - nicht nur
finanziell - keine Chancen. Wir müssen einen eigenen Weg gehen. Wie
sagte Olli Kahn in dieser Zeitung: "Weiter, weiter, immer weiter!"



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Konsequent
Von Ralf-Carl Langhals

Mannheims Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski und sein
Chefdramaturg Ingoh Brux wollen mit Spielplan und Ensemble bei der
Theaterarbeit "in der Kontinuität bleiben und gemeinsam wachsen." Ihr
neu vorgelegter Spielplan lässt daran keinen Zweifel. Der Schwerpunkt
bleibt konsequent bei junger Dramatik, wie acht Uraufführungen und zwei
deutschsprachige Erstaufführungen beweisen. Mit noch unbekannten
Autoren der internationalen Szene und großen Namen wie Lars von Trier,
Rimini Protokoll, Gesine Danckwart und Roland Schimmelpfennig ist
dieses Fach solide gemischt und bestens aufgestellt, auch wenn sein
"Rausgehen in die Stadt" etwas zurückgefahren wurde. Doch bietet er mit
Grillparzer, Ibsen, Wedekind und Hauptmann auch "Klassiker", die der
Nationaltheaterbühne lange fern waren - und somit etwas für jeden
Theaterfreund. Ein Zuwachs von 7000 Zuschauern im Schauspiel zeigt,
dass diese Botschaft beim Publikum angekommen ist und lässt weiter auf
eine positive Entwicklung hoffen.
Das Mannheimer Schillerpotenzial spart Kosminski klug für das
Schillerjubeljahr 2009 auf und setzt stattdessen zwei Mal auf Goethe.
Sein Steckenpferd amerikanische Dramatik pflegt er, wenn auch etwas
übermotiviert, so doch bundestrendgemäß weiter. Mit der Beibehaltung
seines Regisseurstammes mag nicht jeder Kritiker und Abonnent glücklich
sein, doch der Ensembleentwicklung wird sie zuträglich sein.

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Kenntnisreiche Feinjustierung
Ralf-Carl Langhals ist vom Sprechtheater-Spielplan angetan

Alle Achtung! Anders kann man den Spielplan des Schauspiels kaum bewerten. Burkhard C. Kosminski hat mit Chefdramaturg Ingoh Brux tief in die Zauberkiste des Theaters gegriffen. Zwar setzt das Duo, das zunehmend überregional Beachtung findet, weiterhin auf die bisherige Mischung aus zeitgenössischen Autoren, Klassikern, internationalen Regisseuren und amerikanischer Dramatik, doch geht das Konzept weit über die Tugend der Kontinuität hinaus. Schiller, Ibsen, Kleist, Shakespeare und Brecht kommen ebenso zum Zuge wie die führende Riege der Nachwuchsdramatiker oder als Geheimtipp geltende Theaterlaborateure: Mannheim ist im Kommen. Wie ließe sich sonst erklären, dass Marius von Mayenburg die erste Uraufführung seit Jahren außerhalb der Berliner Schaubühne ausgerechnet in die Quadrate vergibt oder ein begehrtes Talent wie Ulrike Syha als Hausautorin an das Nationaltheater kommt? Auch dass Calixto Bieito innerhalb von vier Monaten gleich zweimal in Mannheim inszeniert, kann in Branchenkreisen als sensationell gelten. Dass die eine oder andere Regie-Berufung dabei ist, die nicht jeden jubeln lässt, ist zu verschmerzen. Viel erstaunlicher ist, dass dem Schauspieldirektor auch im vierten Jahr die Bezüge zu Mannheim nicht auszugehen scheinen. Hier wurde in Sachen Feinjustierung an der richtigen Schraube gedreht, ohne Abonnenten zu verprellen. Ergebnis: intelligentes Stadttheater für alle.

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Eine Geschichte muss mitten ins Herz treffen

INTERVIEW: Mannheims künftiger Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski setzt
auf die große Theater-Familie
Von unserem Redaktionsmitglied Alfred Huber


Burkard C. Kosminski, zur Zeit leitender Regisseur am Düsseldorfer
Schauspielhaus, wird ab Herbst 2006 die Leitung des Schauspiels am
Nationaltheater übernehmen und Jens-Daniel Herzog ablösen. Wir sprachen
mit Mannheims künftigem Schauspieldirektor, der sein Regiehandwerk in
New York lernte.

Herr Kosminski, was hat Sie so sehr an Amerika fasziniert?

BURKARD KOSMINSKI: Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und New
York war ein Jugendtraum von mir. Irgendwann bin ich dann mit einem
lauen Gefühl im Magen und zwei Koffern rüber.

Wie alt waren Sie damals?

KOSMINSKI: Ich war 27 und hatte den Wunsch, dort zu studieren, mich mit
Stanislawski zu beschäftigen. Nirgendwo sonst in der Welt sind seine
Erkenntnisse über Theater so weiterentwickelt worden. Außerdem war die
Stadt sehr inspirierend. Ich habe viel für das Leben gelernt, die Stadt
fordert einen, aber sie gibt auch viel zurück.

Hat die Zeit dort, die Beschäftigung mit dem Realismus, Ihren
Inszenierungsstil geprägt?

KOSMINSKI: Ich denke schon. Als ich in Frankfurt "Endstation Sehnsucht"
inszenierte oder mich in Düsseldorf mit Tschechows "Platonow"
beschäftigte, spürte ich, dass diese Zeit prägend war.

Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Tschechow?

KOSMINSKI: Tschechow darf man nur alle paar Jahre machen. Er ist für
mich der Größte. Man braucht ein gutes Konzept und die richtige
Besetzung. Wenn alles zusammenpasst, erlebt man wahre Glücksmomente auf
den Proben.
 
Was bedeutet Ihnen das Theater?

KOSMINSKI: Es ist meine große Liebe. Ich glaube, Theater ist noch der
einzige Ort, an dem man wirklich Dinge ausprobieren darf. Eine Probe
heißt ausprobieren, suchen, subjektive Wahrheiten entwickeln. Bei der
Premiere zeigen wir den Arbeitsstand und hoffen, dass eine Verbindung
zum Publikum entsteht. Wichtig für mich ist es, einen kreativen Prozess
in Gang zu setzen. Wenn das gelingt, werden wir viele schöne
Theaterabende erleben.
 
Ist die Tradition des Mannheimer Nationaltheaters für Sie eine
Belastung?

KOSMINSKI: Nein, eher eine große Herausforderung. Ich mache meine
Arbeit angstfrei und versuche, mir selbst treu zu bleiben, in der
Hoffnung nicht zu scheitern. Aber Scheitern muss impliziert sein, sonst
kann sich auch nie ein ganz großer Erfolg einstellen. Abgesehen davon
glaube ich, dass das Nationaltheater ein riesiges Potenzial hat.

Was meinen Sie damit?

KOSMINSKI: Mannheim hat ein wunderbares Publikum. Ich glaube, es gibt
eine ganz große Liebe und Begeisterung für das Theater, wie ich es
sonst nur in Bochum erlebt habe.

Wie ist denn Ihr Verhältnis zur Klassik? Sie müssen ja in Mannheim auch
die Schillertage übernehmen?

KOSMINSKI: Ich mag Klassiker. Aber man muss bei klassischen Texten eine
Möglichkeit finden, sie für die Gegenwart aufzubereiten. Ich meine
damit nicht, plump zu modernisieren, sondern die Geschichte zu
erzählen, aber so, dass sie uns heute etwas angeht und trotzdem noch
mitten ins Herz trifft.

Wie nähern Sie sich dem Publikum?

KOSMINSKI: Ich mache relativ viele Publikumsgespräche, besuche Schulen
oder spreche mit Besucherorganisationen, um rauszukriegen, wie die
Menschen auf das reagieren, was sie gesehen haben. Dieser direkte
Kontakt mit dem Publikum ist sehr interessant und macht viel Spaß.

Und was erwarten Sie vom Publikum?

KOSMINSKI: Dass es mit großer Neugier den Weg mitgeht, dass es
Niederlagen verzeiht, dafür aber die Siege um so mehr mitfeiert.

Haben Sie bereits Pläne für Mannheim?

Nein, dafür ist es noch zu früh. Ich wünsche mir aber, dass das Theater
noch mehr ein Ort der Begegnung wird, d.h. dass nach einer Vorstellung
auch mal Schauspieler und Publikum zusammensitzen, ein Glas Wein
trinken, sich kennen lernen und austauschen.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Arbeit in Mannheim vor?

KOSMINSKI: Ich bin in einer Phase des Kennenlernens. Ich will öfter mal
einen Nachmittag oder Abend in Mannheim verbringen, die Stadt erkunden,
mich inspirieren lassen. Es gilt zu überlegen, welche Kollegen man
begeistern kann, hier zu arbeiten, aber auch, welche Kollegen man
unbedingt halten soll.

Heißt das, Sie sind kein totaler Personal-Austauscher?

KOSMINSKI: Hierzu eine Aussage zu machen, ist viel zu früh. Ich werde
mir die Inszenierungen ansehen und mir ein Urteil bilden. In Düsseldorf
gibt es 2006 einen Intendantenwechsel, auch da geht eine Ära zu Ende.
Dieses Thema werde ich mit der notwendigen Ruhe und Offenheit angehen,
aber ich weiß es wirklich noch nicht.

Sie wissen vermutlich auch nicht, mit welchem Stück Sie anfangen
werden?

KOSMINSKI: Zuerst gilt es, die Dramaturgen zu besetzen und dann,
gemeinsam den Spielplan zu entwickeln. Natürlich hat man erste Ideen,
Wünsche, aber diese Konzepte müssen dann im Team abgestimmt werden.

Haben Sie als Regisseur Vorbilder?

KOSMINSKI: Ein ganz großes Vorbild war George Tabori in den 80er
Jahren. Seine Arbeiten haben mich sehr inspiriert. Auch die Arbeit von
Peter Zadek hat mich sehr begeistert. Ich habe zu dieser Zeit in
München gelebt - und natürlich die Münchner Kammerspiele. Das war ein
fantastisches Theater mit einem wunderbaren Ensemble.

Und Peter Stein, haben Sie ihn nicht bewundert?

KOSMINSKI: Doch, Stein auch. Aber bei Stein war ich bitter enttäuscht.
Natürlich bin ich auch zur Schaubühne gepilgert. Und als er mal im
Münchner Prinzregententheater las, bin ich anschließend zu ihm gegangen
und habe ihn gefragt, ob ich Proben besuchen dürfe. Er hat mich dann
nach Salzburg eingeladen, und ich konnte Proben zu "Kirschgarten"
ansehen. Ich war zutiefst enttäuscht.

Ein so genannter Stücke-Zertrümmerer sind Sie aber nicht?

KOSMINSKI: Ich habe mir viele Castorf-Produktionen angesehen. Ich finde
es interessant, aber es ist nicht mein Theater.

Bislang sind Sie nie zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden.
Ärgert Sie das?

KOSMINSKI: Überhaupt nicht. Ich war mit zwei Inszenierungen knapp dran.
Es hat mich gefreut, dass die Jury sich die Mühe machte, sich die
Inszenierungen anzusehen. Eine Juryentscheidung ist immer sehr
schwierig. Ich habe diese Erfahrung als Jurymitglied beim Heidelberger
Stückemarkt selbst gemacht.

Wie schätzen Sie die Gegenwartsdramatik ein?

KOSMINSKI: Es gibt viele gute neue Autoren. Als Theater stehen wir in
der Pflicht, diese jungen Dramatiker zu schützen und sie kontinuierlich
aufzubauen.

Weshalb bindet man sich überhaupt an ein Haus, ist es nicht angenehmer,
als Gast zu inszenieren?

KOSMINSKI: Ich habe beides ausprobiert. Düsseldorf war mein erstes
festes Engagement. Und das war gut so. Ich habe Lust, für das Gesamte
Verantwortung zu übernehmen.


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Theater-Alcoholic
Aus: Theater pur Nr.06. 2003

„…Die inszenatorische Handschrift Burkhard Kosminskis  - seit zwei Jahren leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus – ist schnell erkennbar. Der Schwabe mit den klugen, leicht skeptischen Augen bringt „lebendige Menschen“ auf die Bühne. Die reagieren, leiden, Glück erleben. Dass Düsseldorf mit ihm eine gute Wahl getroffen hat, zeigen seine bisherigen, sämtlich erfolgreichen Inszenierungen „Dancer in the Dark“, „39,90“, „Kabale und Liebe“, „Tod eines Handlungsreisenden“. Nun stellt er mit Tschechows „Platonow“…..seinen ersten Russen vor. Der Mann aus Pfullingen (bei Tübingen), der regie-stilistisch in den USA geprägt wurde, lebt seit zwei Jahren in Düsseldorf.
Gedankenvolles Gesicht. Theater-Alcoholic. „Die Bühnenarbeit macht viel Spaß. Mein Traumberuf“, gesteht er beim Interview. Pro Jahr macht er zwei Stücke………Also nun Platonow (Die Vaterlosen) von Anton Tschechow. „Ein Titel, den ich unbedingt machen wollte,“ so Vielleser Kosminski, der immer nach „Zündendem“ Ausschau hält., und sich dabei nicht nur auf Theaterliteratur beschränkt. Sein Hauptinteresse gilt dem Menschen, wie er sich in der entsprechenden Zeit verhält, sie durchhält. „Jedes Stück hat seine eigene Lösung, die ich auch durch Bearbeitung herauszukristallisieren suche“. Bei dem Fragment Platonow habe er „krasse“ Vorarbeit auch durch Streichungen, geleistet. Er verlegt die Handlung über eine untergehende Gesellschaftsordnung in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. ………Kosminski hält viel von der Eigenständigkeit des Schauspielers auf der Bühne. „Mir geht es um Teamwork, nicht um Regietheater.“ Und es geht auch ums Schau-„Spiel“ mit allerlei Film- und Diasequenzen. Und manchmal der eine oder andere Gag mitwirkt; so lässt er Luise (Kabale und Liebe) auf Rollerskates daherkommen. Nicht zu vergessen: musikalische Einlagen und die einfallsreichen Bühnenbilder (Florian Etti).
Seine Liebe zur Regie hatte Kosminski erst auf den zweiten Blick erkannt. Nach dem Abi war er Buchhändler, Kulturbeauftragter und Schauspieler-Eleve gewesen. In den USA studierte es dann Regie und Schauspiel an renommierten Instituten (Lee-Strasberg-Theater-Institute und William-Esper-Studio New York). Dann ging es steil bergauf- mit eigenen Inszenierungen, wie George Taboris „The Cannibals“, „The Lessons“ (Ionesco) oder der amerikanischen Erstaufführung von Thomas Jonigks „You shall give me Grandsons“, die in Los Angeles besonders ausgezeichnet wurde. Zurück in Deutschland, machte der Regisseur in Bonn und Dortmund von sich reden und wurde beim 20. NRW-Theatertreffen 2001 für „Das Fest“ mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. An der Berliner Schaubühne eröffnete er mit „Merlin“ die Spielzeit 2002/03 und kam bald danach in Düsseldorf mit „Tod eines Handlungsreisenden“ heraus. Der geistige Anteil der großen deutschen Regiehoffnung Burkhard C. Kosminski am neuen Erfolgskurs des Düsseldorfer Schauspielhauses ist bemerkbar. Seine Meinung: „Wir haben einen ambitionierten Spielplan, einen beachtlichen Stellenwert in der Theaterlandschaft und eine hohe Auslastung.“ Na also – es geht doch.

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Risiko statt Nummer sicher
Von Dittrich Wappler, Die Rheinpfalz, 18.06.2010

Das Mannheimer Schauspiel setzt konsequent auf junge Autoren und neue Stücke und hat damit auch beim Publikum Erfolg.

Manchmal wird Mut ja belohnt. Von Beginn an setzte der Mannheimer Schauspielleiter Burkhard C. Kosminski auf junge Autoren und neue Stücke. An diesem Konzept hat er trotz einiger Fehlschläge festgehalten, präsentiert auch in seiner fünften Spielzeit am Nationaltheater stattliche zehn Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen. Mit Philipp Löhle, Kathrin Röggla, Lukas Bärfuss und Jan Neumann hat er zudem einige der vielversprechendsten Nachwuchsdramatiker im Programm. Und dass er den österreichischen Shootingsstar Ewald Palmetshofer als Hausautor gewinnen konnte, ist ebenfalls ein bemerkenswerter Coup. Die Lust auf Neues schließt Kontinuität nicht aus. Das Festhalten an Theresia Walser etwa hat sich trotz schwächerer Stücke gelohnt, das Mannheimer Publikum hat sie jedenfalls inzwischen ins Herz geschlossen.
Riskant ist ein solches Konzept natürlich. Bei neuen Stücken, die zum Zeitpunkt der Spielplangestaltung oft noch gar nicht fertig sind oder ihre Tücken erst während der Probenarbeit offenbaren, ist ein Erfolg weit weniger kalkulierbar als bei einer "Dreigroschenoper" oder einem nicht allzu experimentell in Szene gesetzten Schiller. Dass dieses Risiko vom Publikum belohnt wird, dass das Schauspiel Zuwachsraten von knapp zehn Prozent und damit die besten Besucherzahlen seit acht Jahren vermelden kann, ist damit gerechter Lohn für gute Arbeit.

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Spielmacher
Von Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 5.11.2009

Das im Theater meistdiskutierte Thema ist zur Zeit die neue Dramatik. Vor allem um die Frage der Förderung ist eine breite Diskussion entbrannt, zuletzt bei einem großen Symposion in Berlin: Wie fördern wir unsere neuen Stücke so, dass dabei etwas rauskommt, das wir sehen wollen? Das ist die Kernfrage. Nun ist der Zusammenhang, der hier vorausgesetzt wird, gute Förderung ergibt gutes Stück, natürlich nicht selbstverständlich. Tatsache aber ist, dass Stücke fördern zur Zeit gerade sehr beliebt ist im Theater. Und dass dabei nicht immer ein Niveau herauskommt, das eine Aufführung verdient.

Jetzt haben die deutschen Theater- und Medienverlage ihre Antwort auf diese Förderfragen gegeben und dem Nationaltheater Mannheim ihren Theaterpreis gegeben. Die Arbeit in Mannheim sei "engagierter, innovativer und nachhaltiger" als an jeder anderen deutschen Bühne.

Große, aber wahre Worte. Was machen die Mannheimer anders? Seit langem - in Mannheim meint man seit Schiller - gibt es hier die Tradition des Hausautors, die jedes Jahr fortgesetzt wird. Das Theater vergibt regelmäßig Stückaufträge, mindestens drei im Jahr. Diese sind mit vernünftigen Tantiemen ausgestattet. Das geht nur deswegen, weil ein Teil der Gelder des Stellenplans für Autoren ausgegeben wird. Das ist der wesentliche Punkt. Am Gelde hängt... Dazu kommt, dass die Mannheimer nun einen abbaubaren Kammerspielraum in ihr Schauspielhaus einbauen können und sich damit einen passenden Ort für die oft fragileren heutigen Stücke geschaffen haben.

Hinter all diesen Bemühungen steht ein einfacher Gedanke. Der Autor ist ein Teil des Theaters und kein outgesourcter Zulieferbetrieb. "Der Autor hat eine zentrale Rolle, wie die Nummer Zehn im Fußball", sagt Mannheims Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski. Für alle nur Feuilletonleser: Der Zehner, das ist der Spielmacher.

Wir gratulieren aufs Herzlichste! Und wünschen uns, dass die Mannheimer in den nächsten Jahren eine Antwort auf die überall offene Frage finden, wie man die Arbeit mit den Autoren so konzentriert, dass noch nachhaltigere und bedeutsamere Stücke entstehen?

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Die Stiftung Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage vergibt ihren
Preis der Deutschen Theaterverlage 2009 an das Schauspiel des Nationaltheaters Mannheim

Die Begründung der Jury:
Mit dieser Auszeichnung würdigt die Stiftung die herausragenden Leistungen der Sparte Schauspiel des Nationaltheaters Mannheim.
Mit der Verbindung von klassischem Schauspiel, zeitgenössischer Dramatik und einer beispielhaften Theaterarbeit für Kinder und Jugendliche gelingt es der Leitung des Theaters – der Generalintendantin Regula Gerber, dem Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski und der Direktorin des Schnawwl, Andrea Gronemeyer – einen gleichermaßen ambitionierten wie abwechslungsreichen Spielplan anzubieten. Die überdurchschnittliche Zahl an Ur- und Erstaufführungen, auch auf der großen Spielstätte, sowie die kontinuierliche und nachhaltige Zusammenarbeit mit Autoren zeugen von dem besonderen Engagement des Nationaltheaters zeitgenössische Dramatik einem breiten Publikum nahe zu bringen.
[…] Diese und andere Projekte sind Beispiele einer Schauspielarbeit, wie sie engagierter, innovativer und zugleich nachhaltiger an keinem Theater in Deutschland in der Spielzeit 2009/2010 zu finden sind.

Mannheim, den 15. Januar 2010
Winfried Jacobs (Vorsitzender der Jury)
Bernd Schmidt (Vorsitzender der Stiftung)

 

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Zweites Bürgerbühnen Festival
Kulturpolitik: 240 000 Euro von der Kulturstiftung des Bundes
NTM macht Bürgerfestival

Das Nationaltheater Mannheim wird 2015 ein neues Festival mit nationalen und internationalen Produktionen im Bereich Bürgertheater ausrichten. Dies teilte das Haus am Goetheplatz gestern im Rahmen des Bürgerbühnenkongresses in Mannheim mit. "Die Kulturstiftung des Bundes hat uns für dieses Pilotprojekt 240 000 Euro bewilligt", sagte gestern Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski gegenüber dieser Zeitung. Das Geld fließe zur Hälfte nach Mannheim und nach Dresden, wo das "wandernde Festival" bereits 2014 erstmals stattfinden wird.
Im Kuratorium des Festivals säßen neben Dresden und Mannheim auch das Junge DT Berlin, das Volkstheater des Badischen Staatstheaters Karlsruhe sowie das Aalborg Teater in Dänemark. "Es geht uns darum, auf die nationale und auch internationale Szene zu schauen, dass wir uns Einblicke und einen Überblick verschaffen", so Kosminski, der sich nicht nur "eine Leistungsschau" verspricht, sondern auch eine "starke internationale Vernetzung".
"Wir freuen uns wahnsinnig"
Geplant seien zunächst rund zwölf nationale und vier internationale Produktionen. Der Zeitpunkt sei zwar noch nicht fixiert. Es könne sich aber sehr gut um das Frühjahr 2015 handeln - einen Zeitpunkt, dem auch die "Internationalen Schillertage" unmittelbar folgen, die laut Kosminski trotzdem stattfinden werden. "Wir freuen uns wahnsinnig, dass wir hier ein anderes Licht hereinbekommen". Die Mannheimer Bürgerbühne wurde in der vergangenen Saison gegründet und spielt Produktionen mit Bürgern der Metropolregion derzeit noch meist auf den kleinen NTM-Nebenbühnen. Dms
(Mannheimer Morgen, 09.11.2013)

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Stuttgarter Zeitung, 14.9.2014: Interview mit Burkhard Kosminski

Her mit dem Kultur-Soli!

Das Mannheimer Nationaltheater feiert sein 175-jähriges Bestehen. Schauspielchef Burkhard Kosminski fordert die Einführung eines Solidaritätszuschlags für Kultur und Bildung. „Sonst sehe ich schwarz“, warnt er.
Das Mannheimer Nationaltheater schmückt sich mit einem Superlativ: 1839 von einem Hoftheater in städtische Trägerschaft überführt, ist es das älteste kommunale Theater der Welt! Zu danken ist diese Errungenschaft dem Engagement der Bürger, an das im Jubiläumsjahr wieder angeknüpft werden soll. In einem offenen Brief an Bundes- und Landesminister schlägt der Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard Kosminski die Einführung eines Solidaritätszuschlags für Kultur und Bildung vor. „Sonst sehe ich schwarz“, warnt der 52-jährige Kosminski.

Stuttgarter Zeitung:
Herr Kosminski, warum möchten Sie den Solidaritätszuschlag in eine Kultur- und Bildungsabgabe umwidmen?

Kosminski:
Weil ich mich um die Kultur- und Bildungslandschaft in Deutschland sorge. In meinem offenen Brief beschreibe ich ja die fatalen Auswirkungen der Schuldenbremse auf unsere Gesellschaft. Wenn diese Schuldenbremse in Bund und Land 2020 greift, wird als erstes bei den freiwilligen Ausgaben gekürzt: bei der Kultur. Ich befürchte, dass Kultur und Bildung dann jenen Stellenwert in der Politik verlieren, den sie über Jahrhunderte hatten. Ich sehe da wirklich schwarz.

Stuttgarter Zeitung:
Und warum sorgen Sie sich als Theatermann, der Sie sind, um die Bildung?

Kosminski:
Auch da liegt vieles im Argen. Nehmen wir Baden-Württemberg. Es gibt hier sehr gute Empfehlungen für kulturelle Bildung, die aber nicht umgesetzt werden, weil sie in den Bildungsplänen einfach nicht auftauchen. Das finde ich sehr bedauernswert. Denn Kultur braucht Bildung, Bildung braucht Kultur. Das sind wesentliche Bereiche unserer Gesellschaft, die sich nicht mehr voneinander trennen lassen. Ein weiteres großes Problem ist der gewaltige Sanierungsstau in Bildungs- und Kultureinrichtungen. Er stellt die Kommunen vor schier unlösbare Probleme.

Stuttgarter Zeitung:
Und Sie wollen Kultur und Bildung retten?

Kosminski:
Ich will zumindest meinen bescheidenen Teil dazu beitragen. Wir wissen doch alle, dass derzeit über die Zukunft des Solidaritätszuschlags geredet wird. Der Soli wurde 1991 eingeführt, um den Aufbau Ost mitzufinanzieren. 2019 läuft er in der jetzigen Form aus – und Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich schon öffentlich dafür ausgesprochen, den Soli zu erhalten und künftig auch den Ländern zugute kommen zu lassen. Und weil es eine Stärkung der Kultur- und Bildungseinrichtungen auch im Sinne der Generationsgerechtigkeit braucht, halte ich es für sinnvoll, den Soli entsprechend umzuwidmen.

Stuttgarter Zeitung:
Sie wissen schon, dass a) Finanzminister Schäuble den Soli ganz abschaffen will und b) unser Finanzsystem zweckgebundene Steuern sowieso nicht erlaubt?.?.?.

Kosminski:
Ja, das weiß ich. Aber als Theatermacher bewegt man sich immer im Utopischen.

Stuttgarter Zeitung:
Und Sie gehören zu denen, die noch an die Kraft der Utopie glauben?

Kosminski:
Unbedingt. Man muss visionäre Gedanken formulieren, denn nur so können wir die Gesellschaft verändern, nur so finden wir Gehör in der Politik. Im übrigen hielt ich bis vor kurzem eine im Grundgesetz fest­geschriebene Schuldenbremse ja auch für utopisch?.?.?. Aber es kommt mir mit meinem Vorschlag, den Soli umzuwidmen, auch auf etwas Grundsätzliches an: auf eine öffentliche Wertedebatte.

Stuttgarter Zeitung:
Wozu?

Kosminski:
Unsere Gesellschaft kennt keine Ziele mehr jenseits des Sparzwangs. Dass nur noch in ökonomischen Kategorien gedacht wird, finde ich höchst erschreckend. Mit dem Hinweis aufs Sparen kann jede Diskussion im Handumdrehen abgewürgt werden.

Stuttgarter Zeitung:
Und wie sähe die Debatte konkret aus?

Kosminski:
Ich bin Vater von zwei kleinen Kindern. Und da frage ich mich, wie ihre Zukunft aussehen wird, in welcher Gesellschaft sie in zwanzig, dreißig Jahren leben werden. Ich bin überzeugt, dass unser Zusammenleben um so humaner wird, je mehr Kultur und Bildung wir haben. Schauen Sie auf Griechenland, Spanien, Frankreich: wie schnell bricht eine Gesellschaft in Krisenzeiten auseinander! Wie schnell radikalisiert sie sich! Um aufs Theater zurück zu kommen: sie sind Streiträume für gelebte Demokratie im Herzen jeder Stadt, sie verhindern Intoleranz und radikale Strömungen. Darüber sollten sich Politiker im Klaren sein, bevor sie das Sparen zur neuen Religion erheben.

Stuttgarter Zeitung:
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren offenen Brief bisher erhalten?

Kosminski:
Positive. Und jetzt hat sich auch der Deutsche Bühnenverein in die Debatte eingeschaltet und gefordert, den Solidaritätszuschlag über 2019 hinaus zu verlängern und zur Stärkung der Kommunalfinanzen in ganz Deutschland einzusetzen. So könnten auch künftig die freiwilligen Ausgaben von Städten und Gemeinden finanziert werden.

Stuttgarter Zeitung:
Haben Sie auch schon Antworten der von Ihnen gezielt angeschriebenen Landes- und Bundesminister bekommen?

Kosminski:
Theresia Bauer, die baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, hat mir sofort geantwortet. Mittlerweile haben wir uns auch getroffen und ein sehr konstruktives Gespräch geführt. Von den anderen Ministern, etwa von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, habe ich noch keine Antwort erhalten. Nun ja, mein Brief kam ja auch in den Sommerferien?.?.?.
(Stuttgarter Zeitung, 14.09.2014)

 

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Rhein-Neckar Zeitung, 12.6.2014:

Burkhard Kosminski: "Kultur ist keine Handelsware"
Ein Brandbrief des Mannheimer Schauspiel-Chefs über die Kulturförderung, den Printjournalismus und das Freihandelsabkommen.

Manchmal ist es eine gute Sache, wenn kurz vor einem Festakt so richtig Dampf gemacht wird. Mannheims Schauspiel-Intendant Burkhard C. Kosminski nutzte die Gunst der Stunde, unmittelbar vor der Feierstunde aus Anlass der Kommunalisierung des Nationaltheaters vor 175 Jahren einen Offenen Brief über brennende Probleme der Kultur-Finanzierung zu verbreiten. Seine Adressaten: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Baden-Württembergs Kunstministerin Theresia Bauer sowie Volker Stoch, Kultusminister des Landes.
Besser hätte der Zeitpunkt für Kosminskis Brandbrief nicht gewählt sein können. Gerade erst wurde das Festival "Theater der Welt" in Mannheim beendet, und morgen beginnt dort die Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins. Erwartet werden dazu die Intendanten und Direktoren der deutschen Theater und Orchester und die dafür zuständigen Kulturpolitiker, zusammen rund 250 Teilnehmer. Der Bühnenverein berät über die Zukunft von Schauspiel, Oper, Tanz und Konzert und über aktuelle inhaltliche Fragen.
Burkhard C. Kosminski treibt die Sorge um, dass Kultur und Bildung den Stellenwert in unserer Gesellschaft verlieren, den sie über Hunderte von Jahren hatten. Es sei nicht mehr zeitgemäß, beide Bereiche voneinander zu trennen, sondern notwendig "gemeinsam eine neue Vision für die Zukunft zu entwickeln", schreibt er: "Die Kultur erlebt einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß; die öffentlichen Diskussionen sind von Fatalismus geprägt; die Demokratie scheint auf diese Herausforderungen nur schleppend zu reagieren."
Die Schuldenbremse, nach der sich Bund und Länder verpflichten, von 2020 an keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, werde fatale Konsequenzen haben: "Es gibt keine Ziele mehr jenseits des Sparzwangs. Es gibt keine verbindenden Werte jenseits der Ökonomie", so Kosminski. "Ich möchte nicht, dass unsere Kinder von Schulden erdrückt werden, ich will aber auch nicht, dass sie in einer orientierungs- und wertlosen Welt aufwachsen müssen. Deshalb halte ich es für eine gute Idee, den bislang für andere - und weitgehend erfüllte - Zwecke genutzten Solidaritätszuschlag der deutschen Steuerzahler umzuwidmen und zukünftig für Kultur und Bildung zu verwenden."
Kosminski richtet sich an die Öffentlichkeit, weil er einen radikalen Kahlschlag in der Kulturlandschaft durch die Schuldenbremse befürchtet. Ein Großteil der deutschen Stadttheater und damit ein großer Teil der Kultur stünden zur Disposition - ähnlich wie jetzt schon in Italien und Griechenland. Auch in anderen Bereichen fürchtet der Schauspiel-Intendant eine Erosion: "Zeitgleich mit dem Theatersterben erleben wir eine dramatische Krise der Printmedien. Das Zeitungssterben droht viel umfassender zu werden, als wir uns im Moment noch vormachen. Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es in den vergangenen Jahren die größte Entlassungswelle in der Presse seit Kriegsende. Millionenverluste selbst bei den überregionalen Leitmedien haben zu Massenentlassungen, Einstellungsstopps oder zur Insolvenz wie bei der ,Frankfurter Rundschau' geführt. Theater, Kunst und Zeitung sind Refugien kritischer Selbstreflexion, ohne die es keine Meinungs- und Willensbildung geben kann, ohne die die Demokratie selbst ihren Wert verliert. Es macht mir Angst, dass gleichzeitig Theater und Zeitungen in dieser Weise bedroht sind."
Die Gesellschaft bräuchte weiterhin gemeinsame Werte, die in den Städten diskutiert werden sollten. Solche Streiträume seien gelebte Demokratie und verhindertn radikale Strömungen. Kosminski schlägt nicht nur vor, den Solidaritätszuschlag zugunsten der Kultur umzuwidmen, sondern auch den Rundfunkbeitrag zugunsten der Printmedien: "Diese Steuer sollte kritischem Journalismus und der Medienvielfalt nutzen und nicht nur den Sendeanstalten und ihren Rentenempfängern. Ich fordere außerdem gemeinsam mit vielen anderen die Vertreter der Bundesregierung auf, alles dafür zu tun, damit die Kultur aus dem derzeit diskutierten Freihandelsabkommen mit den USA herausgelöst wird. Kultur ist keine Handelsware."

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Rhein-Neckar Zeitung, Interview, 19.7.2014:

Das Interview:
Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski über die Reaktionen auf seinen Offenen Brief

„Kultur ist keine Handelsware“

In einem Offenen Brief hatte sich Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit und vor allem die Politik gewandt, den Solidaritätszuschlag für Kultur und Bildung umzumünzen. Wie haben Fachleute und Politiker reagiert? Zeit für ein Gespräch.

Rhein-Neckar-Zeitung: Herr Kosminski, was ist Ihr Anliegen? Und was war der Auslöser für Ihr breitgestreutes Schreiben?

Kosminski: Am 11. Juni feierte die Stadt Mannheim das 175-jährige Jubiläum seines Theaters, das 1839 von einem Hoftheater in die städtische Trägerschaft überführt wurde. Dieses Jubiläum und ein Gespräch mit Ulrich Khuon, dem Vorsitzenden der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins, war der Anlass für meinen kulturpolitischen Brief. Ich möchte eine öffentliche Wertedebatte in Zeiten knapper werdender Mittel anregen und darüber, wie sich eine Stadt wie Mannheim in der Zukunft über Bildung und Kultur definiert.

Rhein-Neckar-Zeitung: Haben Ihnen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, Kulturstaatsministerin Monika Grütters oder aus Baden-Württemberg die Ministerien von Theresia Bauer und Andreas Storch geantwortet?

Kosminski: Ein erstes Gespräch auf Ministerebene wird Anfang nächsten Monats stattfinden.

Rhein-Neckar-Zeitung: Sie verhandeln da recht komplexe Sachverhalte, die nicht unmittelbar zusammengehören: Soli-Zuschlag, Schuldenbremse und Freihandelsabkommen. Wie wirken sie auf die Kulturlandschaft?

Kosminski: Ich habe den Eindruck, dass die Auswirkung der bevorstehenden Schuldenbremse in vielen hoch verschuldeten Kommunen verdrängt wird. Viele Kultur- und Bildungseinrichtungen sind strukturell unterfinanziert und werden von den Trägern regelmäßig entschuldet. Grund für die Unterfinanzierung sind die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst, die häufig von den Trägern nicht übernommen werden und die Kulturinstitute in eine finanzielle Schieflage bringen. Außerdem besteht ein extremer Sanierungsstau. Viele Städte und Kommunen sind heute schon hoch verschuldet.

Rhein-Neckar-Zeitung: Was sollen sie machen, wenn sie keine Schulden mehr aufnehmen dürfen?

Kosminski: Das bedeutet doch gerade die Schuldenbremse. Ich wünsche mir eine breite Diskussion über Kultur und Bildung. Denn Kultur braucht Bildung und Bildung braucht Kultur. Wenn man nur in föderalistischen Strukturen denkt, wird man diese Probleme nicht lösen. Bund und Länder müssen sich gemeinsam an einen Tisch setzen und neue Konzepte der kulturellen Bildung entwerfen.

Rhein-Neckar-Zeitung: Vermeldet oder veröffentlicht haben Ihr Schreiben Medien wie "Theater heute", "Frankfurter Rundschau", "Der Spiegel" , FAZ oder "Welt", doch die Kommentare sind teils nicht ohne. Ist ihr Vorschlag, Pardon, nicht etwas naiv?

Kosminski: Die Debatte ist angestoßen und polarisiert natürlich. Aber ich bekomme viel Zuspruch von Kollegen aus Kultur und Bildung. Gerade jetzt wird in der Politik darüber beraten, was mit dem Solidaritätszuschlag geschehen soll. Winfried Kretschmann hat sich schon öffentlich dafür ausgesprochen, dass der Soli auch den Ländern zugutekommen soll. Nach dem Solidaritätsgedanken könnte er jetzt auch den "ärmeren" Bundesländern zugutekommen. Es braucht eine offensive und in die Zukunft gerichtete Stärkung der Bildungs- und Kultureinrichtungen in den Kommunen auch im Sinne der Generationsgerechtigkeit.

Rhein-Neckar-Zeitung: Trotz beklagter Sparzwänge wird doch mancherorts immer noch ordentlich Geld verpulvert. Am Ende steht dann etwa das Schreckenswort "Burgtheater". . .

Kosminski: Die Vorgänge am Burgtheater sind ein bedauerlicher Einzelfall und haben nichts mit der gegenwärtigen kulturpolitischen Diskussion zu tun. Ihre Frage suggeriert ein Bild vom verschwenderischen Stadttheater, das nicht der Realität entspricht und bedient ein populistisches, kulturfeindliches Vorurteil. Am NTM arbeiteten wir extrem wirtschaftlich, was auch diverse Untersuchungen belegen. Natürlich muss ein Intendant seinen Wirtschaftsplan einhalten und seinen Fürsorgepflichten nachkommen.

Rhein-Neckar-Zeitung: Es geht Ihnen also grundsätzlich um die zunehmende Ökonomisierung von Kunst?

Kosminski: Das Freihandelsabkommen mit den USA macht unsere öffentlich subventionierte Kultur zur Handelsware. Wenn zum Beispiel privat finanzierte, kommerzielle Musicals aus den USA auch öffentliche Subventionen einfordern könnten, wäre das ein massiver Angriff auf unsere Kulturlandschaft. Öffentliche Kultur und Medienförderung ist unsere Stärke, in den USA dagegen kaum vorhanden. Das Freihandelsabkommen bedroht öffentlichen Rundfunk und Fernsehen, Filmförderung, Buchpreisbindung. Deshalb muss Kultur aus dem Freihandelsabkommen ausgeklammert werden. Kultur ist keine Handelsware.

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Allgemeine Zeitung, Interview, 28.6.2014:

Solidaritätsbeitrag für Kultur: Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski über seinen offenen Brief an die Politik

MANNHEIM - Droht der Kultur ein „radikaler Kahlschlag“? Der Mannheimer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski hat in einem offenen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundesbildungsministerin Johanna Wanka die Befürchtung geäußert, die von 2020 an geltende Schuldenbremse für Bund und Länder werde einen „Großteil der deutschen Stadttheater“ in ihrer Existenz bedrohen. Kosminskis Vorschlag: den Solidaritätszuschlag „umwidmen und zukünftig für Kultur und Bildung verwenden“. Im Gespräch mit unserer Zeitung vertieft Kosminski sein Anliegen.

Allgemeine Zeitung: Herr Kosminski, Sie sehen Kommunen und Länder in Zukunft bei den freiwilligen Leistungen für Kultur noch eifriger als bisher den Rotstift ansetzen. Bringen Sie die Politik damit nicht erst auf Ideen?

Kosminski: Nein, bestimmt nicht. Die Sparszenarien sind längst in den Köpfen. Siehe Mecklenburg-Vorpommern, wo die Landesregierung gerade dabei ist, aus vier Theatern eins zu machen. Mein Anliegen besteht vor allem darin, eine öffentliche Wertedebatte zu führen in Zeiten knapper werdender Mittel. Die Frage ist doch: Wie wollen wir leben?

Allgemeine Zeitung: Das Haus, an dem Sie arbeiten, gehört nach wie vor zu den gut ausgestatteten im Lande. Warum ausgerechnet von Ihnen dieser Debattenanstoß?

Kosminski: Das Nationaltheater Mannheim wird von seinen Bürgern und der Politik getragen und wertgeschätzt. Doch die Bevölkerung und die Kulturschaffenden haben noch gar nicht realisiert, was auf sie zukommt. Schon jetzt sind viele Kultur- und Bildungseinrichtungen strukturell unterfinanziert und werden von den Trägern regelmäßig entschuldet. Die Städte und Kommunen sind mittlerweile aber selber hoch verschuldet. Was sollen sie denn machen, wenn sie keine Schulden mehr aufnehmen dürfen? Das bedeutet ja die Schuldenbremse. Sparen können sie ja nur an den freiwilligen Ausgaben. Die Debatte, die mir wichtig ist, ist eben nicht nur eine über das Theater, sondern eine grundsätzliche über Bildung und Kultur. Es geht um Werte – darum, wie unsere Kinder aufwachsen werden.

Allgemeine Zeitung: Aber der Soli, den Sie zur Theaterfinanzierung anzapfen wollen, ist Sache des Bundes, die Theaterzuständigkeit liegt bei Ländern und Städten. Wie soll das zusammengehen?

Kosminski: Gerade jetzt haben sich die Kultusminister der Länder in Berlin getroffen und darüber beraten, was mit dem Soli geschehen soll. Winfried Kretschmann hat sich ja schon öffentlich dafür ausgesprochen, dass der Soli auch den Ländern zugutekommt. Ich meine das aber nicht nur konkret, sondern auch symbolisch. Dass der Solidaritätsgedanke jetzt auch den anderen Bundesländern zugutekommt. Ein großes Problem ist doch der immense Sanierungsstau von Bildungs- und Kultureinrichtungen in vielen Kommunen.

Allgemeine Zeitung: Was kann, was muss das Theater selbst tun, um wieder mehr Aufmerksamkeit beim Publikum zu finden?

Kosminski: Wir wissen alle, dass es einen demografischen Wandel gibt. Hinzu kommt: In Mannheim leben 170 Nationen, 38 Prozent der Bevölkerung haben Migrationshintergrund. Dass wir uns als Theater da öffnen müssen, um wie bisher kultureller Mittelpunkt der Stadt zu sein, ist klar.

Allgemeine Zeitung: Und was tun Sie?

Kosminski: Hier am Nationaltheater haben wir eine spartenübergreifende Bürgerbühne, wir arbeiten sehr stark mit kultureller Teilhabe. Wir machen mit unserem Autorentheater bewusst kein populistisches, sondern ein anspruchsvolles Programm, das aber für ein unverwechselbares Profil sorgt. Im vergangenen Jahr hatte das Schauspiel die zweithöchste Zuschauerzahl, seit überhaupt Zuschauerzahlen gemessen werden.

Allgemeine Zeitung: Das Internet kommt als Störfaktor in Ihren Erwägungen überhaupt nicht vor.

Kosminski: Das Internet ist mit seinen Utopien doch längst entzaubert. Es steht schon lange nicht mehr für Wissen und Freiheit, sondern für Gängelung und Überwachung. Das Internet ist nichts als ein Teil des großen Wirtschaftskreislaufs. Das Theater muss seine Chance nur nutzen und sich wieder ins Gespräch bringen als freier öffentlicher Ort der Selbstreflexion.

Allgemeine Zeitung: Klingt sehr viel zuversichtlicher als Ihr Brandbrief. Droht das große Theatersterben also doch nicht?

Kosminski: Wirklich zuversichtlich bin ich nicht. Fakt ist, viele Kommunen befinden sich in einer ausweglosen Situation. Kultur braucht Bildung, und Bildung braucht Kultur. Bund und Länder müssen sich gemeinsam an einen Tisch setzen und neue Konzepte der kulturellen Bildung entwerfen.

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Berichte zum Gastspiel in Teheran:

Die Eingeschlossenen von Teheran
Von Höbel, Wolfgang

Das iranische Kulturfestival Fadschr sollte mit neuen Bühnenshows und Filmen dieses Jahr entschieden den Willen zu kultureller Öffnung demonstrieren. Bejubelt wurden auch Gäste aus Deutschland: für ein Drama über rebellierende Frauen.
Eine splitternackte Frau baumelt am Glockenseil: Das ist die Startszene in der Mannheimer Version des Theaterstücks "Bernarda Albas Haus". Aber nur wenn das Drama, das von der Unterdrückung weiblicher Sexualität und jugendlicher Aufmüpfigkeit in einer streng religiösen Bunker-Gesellschaft erzählt, in Deutschland gezeigt wird.
Auf der Bühne des Teheraner Wahdat-Theaters, in dem mehr als 900 Menschen den Zuschauersaal füllen, ist die Akrobatin am Glockenseil nun vom Hals bis zu den Knöcheln mit einem schwarzen Gymnastikdress bekleidet. Dazu trägt sie eine Art Sturmhaube auf dem Kopf. Auch sämtliche ihrer Mitspielerinnen verbergen ihre Haare unter schwarzen Tüchern - weil es die Gastgeber verlangten. So verhüllt führen die deutschen Darstellerinnen im Stück des Spaniers Federico García Lorca die Schreckensherrschaft einer katholisch-sittenstrengen Horrormutter über ihre fünf Töchter vor.
"Wir haben uns vorher mit den Iranern bis ins kleinste Detail auf die Bedingungen der Verhüllung geeinigt", sagt der Mannheimer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski, der sein Frauenensemble in Teheran präsentiert. "Und so seltsam es klingt: Der Kampf der Frauen, die man auf der Bühne sieht, wirkt durch die Kopftücher oft stärker als ohne."
Die Schauspielerin Nicole Heesters sieht es nüchterner. Sie hat eine glorreiche Theater- und Filmkarriere hinter sich, war Ende der Siebziger die erste "Tatort"-Kommissarin im deutschen Fernsehen und spielt in "Bernarda Albas Haus" die brutale Mutterkrake. Nach der ersten Theatervorstellung in Teheran berichtet Heesters verblüfft von ihrer Begegnung mit iranischen Schauspielerinnen hinter der Bühne: "Die haben uns fast ein bisschen ausgelacht, weil wir es so streng nehmen mit den Kopftüchern und der Körperverhüllung. So vermummt wie wir, sagen die, würde keine iranische Schauspielerin auf die Bühne gehen."
Es sind kalte Januartage in Teheran, grauer Smog aus Autoabgasen und Kohlerauch verschleiert den Blick aus der Stadt hinauf ins schneebedeckte Elbrusgebirge. Auf den Plätzen im Stadtzentrum werben Plakate und Straßentheatergruppen für das zum 32. Mal ausgerichtete Fadschr-Kulturfestival, das Theater und Filme zeigt. Fadschr heißt "Morgenröte", ursprünglich wurde das Festival vom Regime des strengen Ajatollah Chomeini begründet, schon 1999 durften zum ersten Mal auch deutsche Theaterleute mitmachen. Diesmal will das Land, in dem nach dem Hardliner Mahmud Ahmadinedschad seit einem halben Jahr der vermutlich liberalere Hassan Rohani Staatspräsident ist, offensichtlich einen Willen zur kulturellen Öffnung demonstrieren.
Rohani gibt vielen, die auf tolerantere Zeiten warten, Anlass zur Hoffnung. Als 2008, zu Ahmadinedschads Zeiten, zuletzt Deutsche zum Fadschr-Festival reisten, war Claus Peymann mit einem Brecht-Gastspiel da. Peymann sah sich mit einem Protestaufmarsch vor seinem Berliner Theater konfrontiert und musste sich dafür rechtfertigen, dass er eine Diktatur beehrte. In diesem Jahr sind neun europäische Produktionen in Teheran eingeladen, unter anderem aus Italien, Norwegen und Frankreich. Niemand empört sich, dass das Mannheimer Nationaltheater mit "Bernarda Albas Haus", einer Regiearbeit des spanischen Regisseurs Calixto Bieito, dabei ist. "Im Gegenteil. Viele deutsche Intendanten gratulierten uns und sagten, wie sehr sie uns beneiden", sagt Mannheims Theaterchef Kosminski.
Nicht nur beim Theater, auch beim iranischen Film soll sich etwas ändern. Zur Eröffnung des Fadschr-Filmprogramms, das nach dem Theaterfestival angesetzt ist, lässt Staatspräsident Rohani eine Grußbotschaft an die jahrelang mit Zensur und Berufsverboten drangsalierten Filmkünstler vortragen. "Nach allem, was in Kunst und Kultur in den letzten Jahren geschehen ist, empfinde ich das Kino meines Landes als düster und bedrückend", so Rohani. "Aber nun dämmert ein neues Zeitalter herauf, und wir sollten hinter uns lassen, was passiert ist."
Tatsächlich herrsche große Erleichterung im wirtschaftlich gebeutelten Iran über den politischen Wandel, sagt der deutsche Botschafter in Teheran, Michael von Ungern-Sternberg. Er ist ein schmaler, ohne Floskeln formulierender Mann, der sichtlich Spaß daran hat, zur Abwechslung mal Theaterleute zu betreuen, als er das Mannheimer Gastspiel im Wahdat-Theater besucht. "Die Menschen hier haben die Nase voll von Revolutionen. Und sie haben enormes Interesse an Kultur und Sprachen, an Film und Theater."
Doch wie lange wird der von vielen Iranern beschworene Teheraner Frühling dauern? "Die größte Angst, die wir haben, ist nicht die vor der Staatsmacht", sagt eine junge Mitarbeiterin des Festivals, "vor der fürchtet sich im Augenblick kaum wer." Ihren Namen will sie trotzdem lieber nicht gedruckt haben. "Unsere größte Angst ist, dass es mit dem neuen Kurs plötzlich wieder zu Ende sein könnte." 2005, als sie beim Festival anfing, habe schon mal euphorische Aufbruchstimmung geherrscht. Ein paar Monate später sei Ahmadinedschad Irans Präsident geworden und habe durch seine Drohungen in Richtung USA und Israel das Land isoliert. "Er hat ungeheuren Schaden angerichtet. 95 Prozent der Menschen halten ihn heute für ein Unglück." Im Augenblick sei sie optimistisch, sagt die Festivalfrau. "In den letzten drei Monaten hat sich in der Kultur mehr verändert als in den acht Jahren zuvor."
Der neue Leiter des Theaterfestivals Fadschr hat seinen Job erst seit Anfang Januar. "Wenn der Staat sich erneuert, dann wechseln auch die Leute in den Führungspositionen", sagt Kader Aschena, ein freundlicher, etwas beamtenhafter Universitätsgelehrter und langjähriger Fadschr-Mitbetreuer. Im zentralen Festivalbüro sitzt Aschena in Sakko und gestreiftem Hemd und blickt noch ein bisschen schüchtern drein hinter seinem Chefschreibtisch, neben seinem Stuhl steht ein zwei Meter hoher Mast mit der iranischen Nationalflagge.
Mit einem kleinen Lächeln verteidigt Aschena, dass bis heute jede Theaterproduktion des Festivals von Zensoren begutachtet wird. "Jedes Land hat Gesetze, an die Künstler sich halten müssen, das ist auch in Deutschland so", sagt Aschena. Er kenne das deutsche Theater von diversen Reisen ganz gut. "Die iranischen Zensoren legen nur den Rahmen fest. Wer den beachtet, kann sich vieles erlauben."
Unter den 18 iranischen Produktionen im Theaterprogramm sind Inszenierungen westlicher Stücke wie "Der Kissenmann" von Martin McDonagh und "Lost in Yonkers" von Neil Simon. Iranische Schauspieler spielen Shakespeare-Helden wie Hamlet und Macbeth; die Gäste aus Deutschland werden in eine dröge iranische Version von Anton Tschechows "Onkel Wanja" geschleust und in eine herzerfrischende iranische Fortschreibung des "Robinson Crusoe"-Stoffs, in der die Inselhelden ein Fest der babylonischen Sprachverwirrung feiern.
Rund 50?000 großteils junge Zuschauer kommen zu den fast immer überfüllten Theatervorstellungen des Festivals, gegenüber den deutschen Gästen machen sich manche Einheimische lustig darüber, wie naiv viele Besucher aus dem Westen über die Abschottung der iranischen Kultur denken. "Der Austausch mit den Künstlern in anderen Ländern ist nie abgerissen, auch in finsteren Zeiten nicht", sagt zum Beispiel der 76-jährige Film- und Theaterregisseur Ali Rafii, der in den Sechzigern nach Paris emigriert ist und jetzt zwischen Frankreich und Iran pendelt: "Der Standard ist im Kino wie im Theater absolut international."
Demnächst drehe er eine iranische Version der Stefan-Zweig-Novelle "Brennendes Geheimnis" in einem alten Hotel am Kaspischen Meer, sagt Rafii. Schon seit Jahren versuche er, in Teheran ein festes Theaterensemble zusammenzustellen. Aber noch, erzählt der Regisseur, "findet man hier jede Gruppenbildung verdächtig." Er wartet ab, ob man den Vortrommlern des Wandels vertrauen könne.
"Glauben Sie mir, wir versuchen hier wirklich einen neuen Anfang", sagt der Festivalchef Aschena. "In früheren Jahren unserer Arbeit war es wichtig, aus welchen Ländern die Produktionen nach Teheran kamen. Heute sind wir so weit, dass die Menschen allein die Qualität der Kunst beurteilen. Und wenn es den Zuschauern nicht gefällt, dann stellen sie uns Festivalmacher dafür offen zur Rede."
Die deutsche Schauspielerin Nicole Heesters wurde für ihre Monsterrolle in "Bernarda Albas Haus" ausgiebig bejubelt. Natürlich für den Charme und den Witz, den sie selbst als böse Mutterkrake noch verströmt. Vor allem aber dafür, dass sie auf der Bühne Sätze sagt wie "Hier tut keiner einen Schritt, ohne dass ich es erlaube". Da gab es Gelächter im Saal. Noch mehr zum Lachen fanden es viele der mit Kopftüchern nur sehr lässig bedeckten iranischen Zuhörerinnen, als im Stück der Satz fiel: "Als Frau auf die Welt zu kommen ist die größte Strafe."
Am Ende des Fadschr-Festivals verleihen die Gastgeber traditionell Preise. Als beste Schauspielerin ehrten sie diesmal Nicole Heesters. Die Preisträgerin sagt: "Das gilt auch der Brisanz, die unsere Aufführung in Teheran hatte."
(Der Spiegel, 7/2014)

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Nationaltheater: Calixto Bieitos Produktion „Bernarda Albas Haus“ zu Festival in Iran eingeladen
Schauspiel reist nach Teheran
Von unserem Redaktionsmitglied Ralf-Carl Langhals

Aufregende Neuigkeiten sind von Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski zu erfahren: Die Nationaltheater-Produktion "Bernarda Albas Haus" ist zum renommiertesten Festival des Nahen und Mittleren Ostens in den Iran eingeladen. Das jährlich stattfindende "Fadjr International Theater Festival" zählt zu den wichtigsten Theater-Events der gesamten arabischen Welt, und die 32. Ausgabe des Festivals findet vom 16. Januar bis zum 1. Februar statt.
Das Wort Fadjr bedeutet Morgenröte und bezeichnet eigentlich den 1. Februar 1979, den Tag, als Ayatollah Chomeini aus dem französischen Exil zurück in das ehemalige Persien kam. Ursprungsgedanke war es, mit einem Festival die Geburtsstunde der Islamischen Republik zu feiern. Längst hat sich das Festival entwickelt: Schon vor Anbruch des sich aktuell abzeichnenden Tauwetters hatten sich die Festspiele künstlerisch trotz rigider Verhältnisse erstaunlich weit geöffnet.
Neben iranischen Theatergruppen zeigen dort auch ausgewählte internationale Gruppen und Theater ihre Inszenierungen. Zusätzlich werden Workshops von teilnehmenden Künstlern angeboten, die zum interkulturellen Austausch anregen. Eingeladene Inszenierungen aus der deutschen Theaterlandschaft waren bisher etwa Brechts "Mutter Courage" vom Berliner Ensemble in der Regie von Claus Peymann. Auf internationalem Parkett in solche Fußstapfen zu treten, ist durchaus eine besondere Ehre für die Inszenierung des Katalanen Calixto Bieito, das Mannheimer Schauspielensemble und dessen Intendanten.
Die Idee zu dem Gastspielbesuch entstand während der 17. Internationalen Schillertage im vergangenen Jahr, als das NTM die Deutsche Erstaufführung der iranischen Inszenierung von Friedrich Schillers "Die Räuber" in die Uraufführungsstadt lud. In der Alten Feuerwache spielten sechs junge iranische Frauen Schillers Räuberbande, eine Aufführung, die allein schon deshalb auch überregional für Aufsehen sorgte.
Unterstützer und Förderer
Die zwei NTM-Auftritte finden am 21. und 22. Januar in der Teheraner Vahdat Hall, einem 1967 erbauten Opernhaus mit 600 Plätzen und 20 Metern Deckenhöhe, statt. Dass diese außergewöhnliche Einladung auch angenommen werden konnte, ist freilich einer Reihe großzügiger Unterstützer und Förderer zu verdanken: auf kulturpolitischer Ebene etwa dem Goethe-Institut München, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, dem Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar sowie dem Stadtmarketing Mannheim.
Von unternehmerischer Seite wird der Teheraner Gastauftritt unterstützt von Roche Diagnostics und dem Unternehmer-Ehepaar Bettina Schies und Klaus Korte der Firma Korte Bauteile aus Heidelberg. Wir dürfen gespannt sein - und werden berichten ...
(Mannheimer Morgen, 13.01.2014)

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Notwendiges Zeichen
Von Ralf-Carl Langhals zum NTM-Gastspiel in Teheran

Als das Berliner Ensemble 2008 mit Claus Peymanns Brecht-Inszenierung "Mutter Courage" nach Teheran reiste, war das Gastspiel nicht unumstritten. Stützt man mit einer solchen Reise als deutscher Kulturträger das System Ahmadinedschad? So lautete damals die nicht unberechtigte Frage der Stunde. Einige Jahre war nun kein deutscher Gast im Iran zu sehen. Mittlerweile haben sich die politischen Verhältnisse in Teheran unter Präsident Hassan Rohani spürbar entspannt, auch wenn Organisationsschwächen und Sittenwächter immer noch eine Rolle beim Festival spielen.
Ist es nun besser, aufgrund weiter existierender Folter und Zensur politisch korrekt zuhause zu bleiben? Oder straft man damit nur die Zuschauer in Teheran, die es nach Kontakten und kulturellem Austausch mit dem Westen dürstet? Die Mannheimer Entscheidung, mit einer Teilnahme am Fadjr-Festival nun auch von deutscher Seite wieder Zeichen zu setzen, war richtig. Interessante Begegnungen mit offenen Menschen waren die Folge. Persönlich verteilte Burkhard C. Kosminski Programmhefte und Mannheimer Grußbotschaften. Bühnenkunst spricht eine internationale Sprache und nährt sich von Hoffnungen und Ängsten der Menschen. Und zwar überall.
(Mannheimer Morgen, 25.01.2014)

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Auszeichnung: Fadjr-Festival ehrt „Beste Schauspielerin“
Teheran lobt Heesters

Dass Nicole Heesters die Titelrolle in Calixto Bieitos Lorca-Inszenierung "Bernarda Albas Haus" ausgezeichnet spielt, bescheinigten der Actrice zahlreiche Kritiker schon nach der Mannheimer Premiere 2011. In dieser Rolle war Heesters mit ihren Kolleginnen des Nationaltheater-Schauspiels nach Bozen und Hamburg auch - wie berichtet - beim 32. Fadjr Theater Festival im Iran zu Gast. Am 21. und 22. Januar gastierte Burkhard C. Kosminskis Frauenensemble in Teherans opulenter Opernspielstätte Vahdat-Hall - vor zweifach ausverkauftem Haus.
Der sadistische Reigen religiös verbrämter Wohlanständigkeit um die von Nicole Heesters brillant verkörperte, bärbeißige Witwe Bernarda, die nach dem Tod ihres Mannes ihr Haus verschließt und ihren fünf Töchtern eine achtjährige Trauerzeit verordnet, bildet das katholische Landleben Spaniens in den 1930er Jahren ab, beeindruckte aber offensichtlich auch iranische Zuschauer und Preisrichter. Die Aufführung funktionierte nämlich - zumal in der an die Landessitte angepasste Kostümsituation - auch vor islamischem Hintergrund glänzend.
Hohe Schauspielkunst
Bei der Preisverleihung des am Wochenende auslaufenden Fadjr International Theater Festival erhielt die Schauspielerin (in Abwesenheit) den Preis als "Beste Schauspielerin" zuerkannt. Das beweist zum einen den hohen Stellenwert von Heesters' Schauspielkunst und belegt, dass die Festivaljuroren Heesters' Figur durchaus auch in ihren Reihen wiedererkannt haben. Für das Nationaltheater ist diese Auszeichnung freilich auch ein wohlschmeckender Nachschlag auf das erfolgreiche Iran-Gastpiel. Eine Rückkehr Bernarda Albas auf die NTM-Bühne ist für den Sommer 2014 geplant. rcl
(Mannheimer Morgen, 04.02.2014)

 

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Bürgerbühnenfestival 2015: Interview im Mannheimer Morgen

MM: Herr Kosminski, wie ist das Bürgerbühnenfestival entstanden und welche Ziele verfolgt es?

Burkhard C. Kosminski: Das Staatsschauspiel Dresden und wir haben vor zwei Jahren gemeinsam den Förderantrag bei der Bundeskulturstiftung gestellt, um die Kunstform der Bürgerbühne voranzutreiben. Das Bürgerbühnenfestival, wie wir es präsentieren wollen, soll eine repräsentative Leistungsschau des professionellen partizipativen Theaters sein und eine Debatte über dessen künstlerische Qualität anregen.

MM: Das Staatsschauspiel Dresden hat 2013 eine Fachtagung unter dem Schiller-inspirierten Titel „Was kann eine gute stehende Bürgerbühne eigentlich wirken?“ durchgeführt. Wir würden diese Frage gern an Sie weiterreichen...

Kosminski: Bürger, die selber auf der Bühne stehen, erfahren Theater anders und nehmen sich möglicherweise auch anders wahr. Eine Beschäftigung mit der eigenen Kreativität bewirkt, im weitesten Sinne auch ein größeres Interesse an Kultur allgemein. Ich hole jetzt mal ganz weit aus: Kulturelle Teilhabe löst Teilhabe in anderen gesellschaftlichen Bereichen aus. Also ist es auch eine Veränderung von demokratischen Prozessen einer Gesellschaft.

MM: Beim Festival ist die hiesige Bürgerbühne mit dem „Mannheimer Geräuschorchester #1“ vertreten. Wie hat sie sich seit ihrer Gründung im Jahr 2012 entwickelt?

Kosminski: Die Mannheimer Bürgerbühne ist eine Erfolgsgeschichte in allen Sparten: In der Oper mit dem Geräuschorchester, im Schauspiel und der jungen Bürgerbühne mit den Spielclubs und ambitionierten Produktionen, im Tanz mit diversen  Generationen übergreifenden Workshops. Interessant fand ich auch den Schreibworkshop unserer ehemaligen Hausautorin Theresia Walser. Bei ihrer Präsentation war ich überrascht viel Begabung es in einer Stadt wie Mannheim gibt, wenn man professionelle Hilfe bekommt.

MM: Gibt es eine Inszenierungen, auf die Sie selbst besonders gespannt sind?

Kosminski: Das Festival lebt von seiner Vielfallt und seinen unterschiedlichen Positionen. Etwas ganz Neues aber ist das Fußballstück „Michael Essien, I want to play as you“. Eine Performance aus Fußballtraining, Tanz und biographischen Geschichten von Profi-Fußballern aus Afrika, die in Europa ihr Glück suchen. Besonders interessant für das multikulturelle Mannheim ist die Produktion vom Schauspiel Köln „Die Lücke“. Deutsche und Türken rekapitulieren hier gemeinsam auf der Bühne die Anschläge der NSU in der Kölner Keupstraße.  Und natürlich sind wir auf die vielfach preisgekrönte Inszenierung „Qualitätskontrolle“ von Rimini Protokoll gespannt. Ein wichtiger Beitrag zum Thema Inklusion.

MM: Wie soll es nach Mannheim mit dem Festival weitergehen?

Kosminski: Der Dresdner Intendant Wilfried Schulz und ich wünschen uns, daß das Festival natürlich fortgeführt wird. Idealerweise als ein biennales Wanderfestival jeweils in einer anderen Stadt. In Baden-Württemberg bieten sich z. B. die Theater in Freiburg und Karlsruhe an. Unsere Hoffnung ist, daß die Bundesländer die Bedeutung des Festivals wahrnehmen und eine langfristige Finanzierung ermöglichen.

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Bürgerbühnenfestival 2015: Die Kunst und das Volk

Lebendig und bunt ging es beim Festival zu, das auch zahlenmäßig erfolgreich war. Die Vielseitigkeit der gezeigten ästhetischen Ansätze beweist, dass die Idee eines Mitmachvolkstheaters noch viele Angebote für Bürger bereithält, die ein Theater nicht nur mitfinanzieren und besuchen, sondern auch mitbespielen dürfen. So großartig wie konsequent war auch die Idee, mit dem "Club der Bürgerjury" keine Dramaturgen, Intendanten und Kritiker zum Preiskomitee über das Gesehene zu setzen, sondern Theaterfreunde aller Alters- und Bildungsschichten, ganz normale Theaterbesucher eben.

Die Bürgerbühne manifestiert sich - wenn auch noch auf qualitativ höchst unterschiedlichem Niveau - als Idee mit großer Zukunft, die innovationsfreudigen Demokraten und Volksvertretern schiere Freudentränen ins Gesicht treibt. Passiert das, wie in Mannheim, Dresden, Freiburg oder Karlsruhe, kontinuierlich und mit großem Engagement, gewinnen alle Seiten von der Bürgerbühne. Am meisten aber - das sollte nicht unerwähnt bleiben - die Theater selbst, die damit ihre eigene Bedeutsamkeit und ihren Bestand sichern.
(Mannheimer Morgen, 30.03.2015)

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Interview / spiegel online - Oktober 2015
Was können Künstler für Flüchtlinge tun? Eine ganze Menge, wie die deutschen Theater derzeit zeigen. In Mannheim organisiert der Intendant Burkhard C. Kosminski ein besonders ambitioniertes Projekt.
Deutsche Theater sammeln Spenden, stellen Schlafplätze zur Verfügung, organisieren Diskussionsrunden - und inszenieren ein Stück nach dem anderen zum Thema Flüchtlinge, darunter immer wieder Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen".
Ganz vorne mit dabei ist das Nationaltheater Mannheim, an dem Jelineks Text vor gut einem Jahr als Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters uraufgeführt wurde. Auf dem Mannheimer Spielplan steht Lutz Hübners neues Zuwanderungsstück "Phantom (Ein Spiel)", geplant ist zudem eine Volker-Lösch-Bearbeitung von Aischylos' "Die Schutzflehenden".
Am Tag der Deutschen Einheit kombiniert der Intendant Burkhard C. Kosminski zunächst Arthur Millers klassisches Flüchtlingsdrama "Blick von der Brücke" mit dem dokumentarischen Stück "Mannheim Arrival", das der Journalist Peter Michalzik aus Interviews mit Flüchtlingen destilliert hat. Teil der Inszenierung sind ein Chor und eine Band aus Flüchtlingen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Kosminski, hat es eine symbolische Bedeutung, Flüchtlinge auf die Bühne des Nationaltheaters zu holen?
Kosminski: Ich kann darin keine Symbolik sehen. Wir sagen nicht, dass sie damit Deutsche werden. Wir sagen nicht, dass sie die Nachfolger von Schiller sind. Aber, mal im Ernst, wir sagen: Sie sind hier.
SPIEGEL ONLINE: Was haben die Flüchtlinge davon?
Kosminski: Sie sind nicht mehr isoliert. Sie profitieren von Teilhabe, Integration, Beschäftigung, von Auseinandersetzung mit sich und der Gesellschaft. Sie wollen etwas tun, sie wollen eine Stimme.
SPIEGEL ONLINE: Ihr angekündigtes Ziel ist es, die Flüchtlinge auch über die Aufführungen hinaus ans Theater zu binden. Wie soll das funktionieren?
Kosminski: Wir versuchen, die Flüchtlinge dort abzuholen, wo sie sind. Im Rahmen der Mannheimer Bürgerbühne können sie Workshops und Seminare geben, in denen sie Zuschauern ihre Qualifikationen und Kenntnisse vermitteln. Zudem bekommen alle am Projekt beteiligten Flüchtlinge Bildungsgutscheine, zum Beispiel für Sprachförderung. Wir versuchen, ihnen Chancen zu eröffnen, und haben uns dafür mit vielen Partnern vernetzt: Landes- und Stadtpolitik, Sozialverbände wie die Caritas, Wirtschäftsverbände und Unternehmen wie BASF, Beratungsstellen wie das interkulturelle Bildungszentrum.
SPIEGEL ONLINE: Gehört es zu den Aufgaben eines Theaters, Sozialarbeit zu leisten?
Kosminski: Nein! Aber wir leben in einer Zeit, in der uns Theatermachern nachdrücklich bewusst wird, dass das Theater eine zentrale gesellschaftliche Einrichtung ist. Das Theater muss sich auf dem Gebiet der Zuwanderung engagieren, wie alle anderen Institutionen auch. Wir kommen nicht an der Frage vorbei: Wie können wir unsere Kompetenz, aktuelle Problemlagen auf die Bühne zu bringen, so erweitern, dass sie der Not der Flüchtlinge und der ungelösten Aufgabe unserer Gesellschaft gerecht wird?
SPIEGEL ONLINE: Auch sehr viele andere Theater starten zurzeit Flüchtlings-Projekte. Was können Kunst und Theater, was Politik und Sozialarbeit nicht besser können?
Kosminski: Unser Projekt wurde vor über einem Jahr entwickelt. Aber so sehr wir uns auch mühen, wir können selbstverständlich nur Kunst und Kultur wirklich, nicht Sozialarbeit. Wir können in unserer Stadt Impulse geben und Arbeitgeber, Politik, Verwaltung und Flüchtlinge vernetzen.
SPIEGEL ONLINE: Helfen die Flüchtlinge den Theatern dabei, wieder relevanter zu werden?
Kosminski: Wenn Theater sich nicht mit dem Heute beschäftigen und solche Themen umschiffen, dann bekommen sie ein Relevanzproblem.
SPIEGEL ONLINE: Das postdramatische Theater der vergangenen 15 bis 20 Jahre sah seine Aufgabe darin, Gewissheiten aufs Spiel zu setzen. Ändert sich das gerade? Predigt das Theater wieder?
Kosminski: Quatsch, fürs Predigen ist die Kirche zuständig.
SPIEGEL ONLINE: Im Ernst: Beobachten wir einen Paradigmenwechsel? Hin zu einem Theater, das politisch wieder deutlicher Position bezieht?
Kosminski: Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich die Gesellschaft und die Theater danach sehnen, politische Themen und Konflikte aufzugreifen und auf der Bühne zu verhandeln. Ob das ein Trend ist, vermag ich nicht zu sagen. Dabei gehen wir ein Risiko ein: Wir alle meinen zu wissen, Theater mit Flüchtlingen geht nicht. Sie wirken leicht ausgestellt und benutzt. Gleichzeitig wissen wir, wir müssen es versuchen. Zur humanitären Katastrophe unserer Zeit kann das Theater nicht schweigen.
SPIEGEL ONLINE: Kann engagierte Kunst denn gute Kunst sein? Ist gute Kunst nicht immer ambivalent?
Kosminski: Gute Kunst ist immer in irgendeiner Beziehung engagiert, und gute Kunst ist immer ambivalent. Wir werden schon damit umgehen müssen, dass unsere Welt schwierig und widersprüchlich ist. Auch beim Thema Flüchtlinge. Es gibt einfach Dinge, die man tun muss, auch wenn sie scheitern können.
(spiegel online, 02.10.2015)

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Schauspiel-Intendant Burkhard C. Kosminski im Exklusivinterview :
Ich begreife Theater als einen öffentlichen Ort der Auseinandersetzung
Mannheim, 25. Mai 2016.



Burkhard C. Kosminski feiert Jubiläum – aktuell geht der Schauspiel-Intendant in die zehnte Spielzeit am Nationaltheater Mannheim. Und die wird wieder aufregend. Der agile Theaterlenker hat einiges vor und sieht das Haus vor großen Herausforderungen – auf die er sich freut. Klagen überlässt er anderen – er redet hemdsärmelig von Chancen.
Interview: CHRISTIN RUDOLPH

Herr Kosminski, in dieser Spielzeit können Sie ein besonderes Jubiläum feiern – es ist Ihre zehnte am Nationaltheater. Was waren für Sie herausragende künstlerische Momente?

Kosminski:
Calixto Bieitos Inszenierung von „Bernarda Albas Haus“ mit dem Gastspiel in Teheran, Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ von Georg Schmiedleitner und Elmar Goerdens Inszenierung „Die Wildente“. Für mich persönlich war es die Entdeckung von Tracy Letts „Eine Familie“, ein Stück das nach uns in ganz Europa gespielt wurde. Highlights waren natürlich auch unsere Festivals: Die Internationalen Schillertage, das Bürgerbühnenfestival und Theater der Welt 2014.

Im Zentrum steht das zeitgenössische Autorentheater. Was macht für Sie das Schauspiel am Nationaltheater aus?

Kosminski:
Im Zentrum steht das zeitgenössische Autorentheater. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Autoren (Theresia Walser, Felicia Zeller, Philipp Löhle, Roland Schimmelpfennig, Ewald Palmetshofer u. v. a.) durch Stückaufträge und zahlreiche Ur- und Erstaufführungen ist das Nationaltheater zu einem lebendigen Autorentheater geworden. Fast alle wichtigen deutschsprachigen Autoren haben für Mannheim Stücke geschrieben, die nicht nur auf der Studiobühne, sondern auch im Schauspielhaus aufgeführt werden und einige Autoren waren dem Theater auch als Hausautor verbunden. Darüber hinaus gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit den internationalen Dramatikern Tracy Letts, Tony Kushner und Simon Stephens. Auch die Gründung der Mannheimer Bürgerbühne, seit 2012 unsere partizipative Sparte, ist ein wichtiger neuer Bestandteil des Schauspiels. Das Nationaltheater steht aber auch für die jungen Regiehandschriften von Simon Solberg, Cilli Drexel, Tim Egloff und anderen.

Mit der bevorstehenden Sanierung wird es in der Zukunft eine große Veränderung geben?

Kosminski:
Im Sommer 2016 wird das interdisiziplinäre Planungsteam feststehen, das die Generalsanierung des Hauses am Goetheplatz planen soll und die Ausschreibung der voraussichtlich im Sommer 2020 startenden Baumaßnahmen vorbereiten wird. Natürlich streben wir betriebliche und besucherorientierte Verbesserungen an, aber es wird sich um eine Bestandssanierung handeln. Das Gebäude ist schon jetzt ein hervorragendes Theater, das auch in wirtschaftlicher Hinsicht effizient betrieben werden kann.

Aus der künstlerischen Perspektive haben Sie sich sicher trotzdem schon einmal Gedanken gemacht, was das für das Schauspiel bedeutet?

Kosminski:
Einerseits ist das eine große Belastung, weil im Theater ja alles ineinander greift: Der Spielort, die Technik, die Werkstätten, das Stück, die Schauspieler und die Besucherstrukturen – das muss gut geplant und organisiert sein. Andererseits ist es eine Gelegenheit, Theater an neuen Orten neu zu machen. Man muss es als Chance begreifen und in die Stadt gehen. Mich persönlich würde auch interessieren andere Inszenierungskonzepte und Theaterformen auszuprobieren. Da muss man neu denken. Eine anspruchsvolle Herausforderung. Eine Spardebatte muss zusammen mit einer Wertedebatte geführt werden.

Wenn es zur Sanierung kommt, wird das teuer. Spüren Sie schon aktuell einen Spardruck?

Kosminski:
Im Moment bei uns nicht. Der Mannheimer Gemeinderat hat einen Fünf- Jahres-Plan für das
Nationaltheater beschlossen, der dem Theater eine langfristige Planung ermöglicht. Wenn man sich umschaut, spürt man aber einen zunehmenden Spardruck in den kommunalen Haushalten. Das liegt an der Schuldenbremse. Kunst und Kultur fallen im Haushaltsplan der Kommunen unter die freiwilligen Ausgaben und sind daher stark gefährdet. Ich denke, dass eine Spardebatte zusammen mit einer Wertedebatte geführt werden muss. Diese Wertdebatte wollen wir mit unserem neuen Format „Mannheimer Reden“ befördern. Eine Debatte über den gesellschaftlichen Wandel und darüber, welche Grundrechte nicht verhandelbar sind.

2014 wurde öffentlich diskutiert, ob der Solidaritätszuschlag noch gerechtfertigt sei. Damals haben Sie in einem offenen Brief an die Landes- und Bundesminister für Kultur und Bildung vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag für Kultur und Bildung zu verwenden. Sie beklagten, die Kultur erlebe “einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß”. Weiter, Theater und Zeitung seien gelebte Demokratie und würden radikale Strömungen, Intoleranz und rechtsextreme Tendenzen verhindern. Haben sich Ihre Sorgen in den vergangenen zwei Jahren bestätigt?

Kosminski:
Lassen sie mich bitte den Begriff „Bedeutungsschwund in der Kultur“ konkretisieren: Ein Bedeutungsschwund hat sich in der Kulturpolitik in Mannheim und Baden-Württemberg nicht bestätigt, ganz im Gegenteil. Die Landesregierung hat die Subventionen für das Nationaltheater erheblich erhöht und der Mannheimer Gemeinderat einen verbindlichen Fünf- Jahres-Plan verabschiedet. Auch unsere Zuschauerzahlen sind in der vergangenen Spielzeit weiter gestiegen und bleiben seit Jahren stabil. Erschreckend war für mich, als ich vor wenigen Wochen bei der jährlichen Konferenz der Nationaltheater in Warschau war. In Polen, Ungarn oder Kroatien berichten die Kollegen von einer erheblichen Einflussnahme seitens der Politik auf die Theater. Die ungelösten Flüchtlingsfragen, der zunehmende Rechtspopulismus und die erodierende Wertegemeinschaft in Europa bleiben besorgniserregend.

Wie muss für Sie Theater sein, um Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten?
Kosminski:
Ich glaube, man erreicht die Zuschauer nur, wenn man sich mit gesellschaftlich relevanten Themen beschäftigt und sich zu der Stadt, in der man lebt und arbeitet, bekennt. Ich begreife Theater als einen öffentlichen Ort der Auseinandersetzung innerhalb der Stadtgesellschaft. Die Schaubühne als moralische Anstalt und die ästhetische Erziehung gehören für mich genauso dazu wie die Bürgerbühne als partizipative Theaterform und gelebte Demokratie.

Wen soll das Theater am Nationaltheater ansprechen? Ist das bewusst eine andere Zielgruppe als zum Beispiel beim Ballett oder bei der Oper?

Kosminski:
Unser Spielplan ist eine Einladung an die ganze Stadt. „Die ganze Welt ist Bühne“, heißt es bei Shakespeare. Und nicht nur bei den Klassikern, sondern auch in der neuen Dramatik finden wir komplexe und widersprüchliche Beschreibungen unserer heutigen Lebenswirklichkeit. Im Idealfall ist Theater generationsübergreifend. Im Gegensatz zu Kino oder Konzerten, die immer zielgruppengesteuert sind. Genau das wollen wir vermeiden.

Mit “Ein Blick von der Brücke/Mannheim Arrival” wurde in dieser Spielzeit ein Stück gespielt, bei der erstmals Flüchtlinge Thema und Mitwirkende sind. Wie wurde das Stück aufgenommen?

Kosminski:
Am Ende der Spielzeit werden wir rund 25 Vorstellungen im Schauspielhaus gespielt haben, was für diese Form von Dokumentartheater außergewöhnlich ist. Der Abend erzählt sehr persönliche Geschichten von Flüchtlingen, ihrer Heimat, Fluchtursachen und ihren Erfahrungen mit Deutschland. Das hat unser Publikum sehr bewegt und auch zu verschiedenen Formen des Engagements geführt. Die Resonanz bei der regionalen und überregionalen Presse war sehr positiv.

Wird das Thema Flucht das Schauspiel am Nationaltheater auch in Zukunft beschäftigen?

Kosminski:
Wir planen auf Franklin, der Landeserstaufnahmestelle in Mannheim, eine Kulturschule, in der Künstler aus den Bereichen Schauspiel, Tanz, Musik und bildender Kunst mit Geflüchteten zusammenarbeiten. Die Kulturschule ist ein Angebot, ein erster Schritt zur Integration und kulturellen Teilhabe. Profis werden hier mit Laien arbeiten, ähnlich wie bei der Bürgerbühne. Vielleicht entdecken wir unter den Flüchtlingen Künstler, die dann selbst Workshops geben. Wir konnten international renommierte Regisseure wie Edith Kaldor und Oliver Frljic gewinnen. Im Schauspielhaus werden wir mit dem Showformat „Spiel ohne Grenzen – Theater des Gerüchts“, allen Vorurteilen, Urteilen und Gerüchten rund um das Thema Flucht und Integration in Mannheim nachgehen. Durch den Abend wird der deutsche Meister des Poetry Slams Nektarios Vlachopoulos führen.

Auf welche Inszenierung in der kommenden Spielzeit freuen Sie sich besonders?

Kosminski:
Als Intendant freue ich mich natürlich auf alle Neuproduktionen. Besonders aber darauf, dass es uns gelungen ist, die international prominenten Regisseure Edith Kaldor und Oliver Frljic, aber auch Jan-Philipp Gloger erstmals für Mannheim zu gewinnen. Als Regisseur bin ich glücklich über die Zusammenarbeit mit dem derzeit wichtigsten britischen Dramatiker Simon Stephens und dass Roland Schimmelpfennig mit „Das große Feuer“ wieder ein Stück für Mannheim geschrieben hat, das wir in Zusammenarbeit mit der Oper im Januar 2017 uraufführen werden.

(Rheinneckarblog, 25.05.2016)

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Streber unter sich
25. Januar 2016



Hat das Theater einen Auftrag?
Solche Fragen stellte ein Diskussion an der Akademie der Künste Berlin.
Von Mounia Meiborg

Claus Peymann war nicht eingeladen. Aber er wurde oft zitiert. Kürzlich hat der Intendant des Berliner Ensembles in der Zeit gesagt, die Arbeit mit Flüchtlingen diene Theatern nur dazu, die eigene Ratlosigkeit zu verhüllen. Peymann ist der ferne Gegenpol in einer Diskussion, in der sich viele einig, vielleicht manchmal allzu einig sind.
"Was soll das Theater?" hatte die Berliner Akademie der Künste gefragt und damit die allgegenwärtige Frage "Wie politisch soll das Theater sein?" ins Grundsätzliche vergrößert.
In einem Symposium suchten Schauspieler, Intendanten und ein Oberbürgermeister nach Antworten. Aber in fünf Stunden und auf diversen Podien gab es nicht allzu viele neue Erkenntnisse. Dazu waren sich die Positionen zu ähnlich, die Statements zu allgemein.

"Theater muss manchmal auch Selbstverständliches aussprechen und Mut machen."
So diskutierten Wilfried Schulz, Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, und Burkhard C. Kosminski, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, die Frage, ob Theater einen Auftrag hat.
Ja, fanden beide. Theater habe als "einzige soziale Kunst" eine Verantwortung, so Kosminski. Und Schulz - dessen Haus sich stark gegen Pegida positioniert - ergänzte, Theater müsse manchmal auch Selbstverständliches aussprechen und Mut machen.
Beide Häuser greifen konsequent Themen ihrer Stadt auf und wurden bei diesen Projekten mehrfach von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt. Deren Direktorin Hortensia Völckers saß ebenfalls auf dem Podium. Man hätte gern von ihr gewusst, ob es nicht auch Probleme birgt, wenn eine quasi-staatliche Einrichtung bestimmte Themen und Ästhetiken promotet.
Viele Theater wollen sich dauerhaft für Flüchtlinge engagieren. Schulz verhandelt derzeit mit der Stadt Dresden darüber, das wöchentlich im Theater stattfindende Flüchtlingscafé in ein interkulturelles Zentrum zu verwandeln. Und Kosminski bietet den Flüchtlingen, die bei ihm auf der Bühne stehen, Berufsberatung und Ausbildungsfinanzierung. Das klingt gut. Schulz und Kosminski sind allerdings auch Vorzeige-Intendanten. Ob an allen Theatern so umsichtig und langfristig gedacht wird, wäre zu überprüfen.
Ästhetische Fragen kamen in der Debatte etwas kurz. Der Schauspieler Ulrich Matthes und die Performerin Johanna Freiburg diskutierten unterhaltsam über "Authentizität versus Schauspielkunst". Kategorien, die sich zunehmend auflösen - etwa in Arbeiten von Yael Ronen, in denen die Darsteller gleichzeitig schauspielerisches Handwerk und die eigene Biografie auf die Bühne bringen.
Matthes beklagte die Ironie, die im Theater überhand genommen habe. Das ist sicher ein richtiger Befund. Aber die Anfänge einer Gegenreaktion sind längst sichtbar. Jungen Theaterautoren wie Wolfram Höll und Wolfram Lotz wird eine "ernste Ironie" attestiert. Und der Festivalmacher Florian Malzacher fordert in seinem Buch "Not just a mirror - looking for the political theatre of today" ein Theater, "das die Notwendigkeit der Selbstreflexion der letzten Jahrzehnte beibehält, aber die Falle der puren Selbstreferenzialität vermeidet". Auch darüber hätte man reden können.

(Süddeutsche.de, 25.01.2016)

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Lokal, engagiert, empathisch
26. Januar 2016



Was gehen die Flüchtlinge das Theater an?
Die Akademie der Künste lädt ein zur Diskussion
VON ASTRID HERBOLD

Sonntag, auf dem Weg zur Akademie der Künste. Unter der Brücke am Bahnhof Friedrichstraße liegt, wie immer, Roman auf seinem Matratzenlager. Letzte Woche haben wir uns unterhalten. Er ist 26 und kommt aus Estland. Seit zwei Jahren ist Berlin seine Stadt und das hier sein Platz. Im gläsernen Plenarsaal mit Blick auf die Quadriga ist es schön warm.
Ulrich Matthes hat in seiner Funktion als Direktor der Sektion Darstellende Kunst zum Gespräch gebeten: „Was soll das Theater?“ Gekommen sind Intendanten, Schauspieler, Kritiker, Wissenschaftler. Eloquente Selbstverortung steht auf dem Programm. Wieso noch mal? Ach ja, es gibt – immer noch oder schon wieder – diese Legitimationsdebatte.
„Viele können mit dem Theater nichts mehr anfangen“, sagt Matthes. Das höre er oft, auch von gebildeten Zeitgenossen. Zum Glück sind jetzt die Flüchtlinge da. Nein, pardon, so kann man das natürlich nicht formulieren, das wäre zynisch. Dennoch ist sich das Podium erstaunlich einig: Theater hat in diesen Zeiten einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Man solle zusätzliche Leute einstellen, fordert Hortensia Völckers, Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, „und dann in die Schulen gehen!“

Vermittlung und Identitätsbildung heißen die Zauberworte. Und hyperlokal sollte der Ansatz außerdem sein. „Jedes Theater braucht Profil und Haltung“, betont Burkhard C. Kosminski, Intendant in Mannheim. Sein Team arbeitet mit Bürgern und Flüchtlingen an ambitionierten Langzeitprojekten. Das örtliche Publikum dankt es mit hoher Auslastung. Ist das die Zukunft? Das Stadttheater erneuert sich in Richtung sympathisch-empathische Bildungs- und Integrationsanstalt?
Das Deutsche Theater (DT) stellt seit Monaten Schlafplätze für Flüchtlinge zur Verfügung. Das Staatsschaupiel Dresden betreibt ein Flüchtlingscafé. Am Theater könne man „Gedanken und Werte übermitteln“, meint DT-Schauspieler Christian Grashof. „Die neuen Aufgaben gebären neue ästhetische Formen“, ergänzt Wilfried Schulz, Intendant in Dresden. Trotzdem warnt er auch: „Alles, was wir an sozialer Arbeit tun, passiert on top.“ Auf Dauer sei das nicht leistbar.
Zwischendurch gerät der fast fünfstündige Abend dann noch mal auf ganz andere diskursive Gleise. Schauspieler Ernest Allan Hausmann beklagt, dass es in den Ensembles der deutschen Theater fast keine „People of Colour“ gebe. Und wenn, dann würden ihnen immer nur die gleichen drei Rollen angeboten. Das Theater müsse auch hinter den Kulissen diverser werden, wenn es die gesamte Gesellschaft repräsentieren wolle. Genervter Zwischenruf aus dem Publikum: Wo das Thema der Veranstaltung bleibe? „Wenn Sie nicht verstehen, dass auch das zum Thema gehört, dann tut es mir leid!“, erwidert Gastgeber Matthes.

(tagesspiegel.de, 26.01.2016)

 

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